Österreichische Sozialdemokraten im freien Fall
Es nennt sich „dirty campaigning“– den Gegner mit üblen Methoden verunglimpfen, wo es nur geht. Die Schlammschlacht im Wahlkampf der Alpenrepublik liefert ein Beispiel aus der untersten Schublade
Welch schmutziges Geschäft Politik sein kann, zeigen amerikanische Fernsehserien sehr treffend. Den Beweis, dass die Realität die Fiktion noch übertreffen kann, liefern Intrigen und Niedertracht im derzeit tobenden österreichischen Wahlkampf für die Parlamentswahl am 15. Oktober. Die Sozialdemokraten mit ihrem Noch-Kanzler Christian Kern mussten zugegeben, dass einer ihrer langjährigen Wahlkampfmanager an einer „bisher einzigartigen Schmutzkampagne“auf Facebook gegen den Herausforderer Sebastian Kurz (ÖVP) beteiligt war. Am Dienstagabend wurde der Mann vom Dienst suspendiert.
Gleichzeitig gestand der ehemalige Kanzlerberater Tal Silberstein, er habe als Wahlkampfmanager die beiden vermeintlich rechten Facebookseiten namens „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“und „Wir für Sebastian Kurz“selbstständig initiiert. Dort wurde der amtierende Außenminister diffamiert. „Der Kanzler hatte nicht einmal das entfernteste Wissen oder die entfernteste Information darüber“, nahm Silberstein den Regierungschef in Schutz. Silberstein war dem Ex-Manager Kern vom ehemaligen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) empfohlen worden: „Ich kenne Tal Silberstein und arbeite geschäftlich mit ihm zusammen. Das hat mit der SPÖ gar nichts zu tun. Er bekam von mir bzw. meiner Firma Aufträge, das war’s“, sagte Gusenbauer der Wiener Zeitung. Da die SPÖ bestreitet, Silberstein bezahlt zu haben, kursieren in Wien Gerüchte, Gusenbauer könnte die Seiten und Werbepostings finanziert haben. Gusenbauer bestreitet das.
Kern hatte Silbersteins Vertrag gekündigt, als dieser am 14. August in Israel wegen Korruptionsverdachts vorläufig festgenommen worden war. Der Rauswurf hinderte Silbersteins Kontaktmann in der SPÖ-Zentrale aber nicht daran, die Anti-Kurz-Facebook-Seiten solange weiter zu betreiben, bis ihre Urheberschaft vor kurzem Medien gegenüber aufgedeckt wurde. Die Seiten sollten offensichtlich Kurz-Anhänger schrecken. Der konservative Politiker wurde dort zum Beispiel als Marionette des früheren ÖVPKanzlers Wolfgang Schüssel dargestellt, als jemand, der Glyphosat auf Äckern versprüht und Willkommenskultur und Offenheit für den Islam vertritt. Außerdem wurde Kurz eine feindliche Haltung gegenüber dem jüdischen Milliardär George Soros angedichtet, wohl in dem Glauben, Antisemitismus und Rassismus würden seine Anhänger abstoßen.
Die beiden Facebook-Seiten hatten eine sehr geringe Reichweite. Politische Beobachter rätseln darum darüber, warum die SPÖ-Wahlkampfmanager den zwielichtigen Berater Silberstein unterstützt haben könnten. Besonders erstaunlich ist, dass die SPÖ akzeptierte, dass Silberstein für die Schmutzkampagne („dirty campaigning“) gegen Kurz Ex-Mitarbeiter der ÖVP und der liberalen Partei Neos engagierte. SPÖ-Chef Kern bezeichnete Silbersteins Vorgehen als „verrückt“und „unverständlich“. Tatsache sei, „dass die Facebook-Seiten von uns nicht gewünscht waren. Es war nicht nur unmoralisch, sondern unglaublich blöd“. Noch sind viele Fragen offen, die nur durch Facebook beantwortet werden könnten. Die SPÖ hat am Montag die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, um Informationen über Betreiber und Geldgeber zu erzwingen.
Der 31-jährige Kurz sprach von einer „massiven Grenzüberschreitung“bei der SPÖ-Kampagne, in deren Zuge auch sein privates Umfeld durchleuchtet worden sei. Auf der Seite „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ist der ÖVP-Chef mit Pinocchio-Lügennase
Kurz kritisiert „massive Grenzüberschreitungen“
abgebildet – als Marionette von Industrie und mächtigen ÖVP-Granden im Hintergrund.
Für Kern geht es jetzt nur noch darum, nicht völlig abzustürzen. Nach den letzten Umfragen von Ende September liegt die ÖVP fast zehn Prozent vor den Sozialdemokraten, die sogar bei einigen Demoskopen hinter die rechtspopulistische FPÖ zurückfallen sind. Gut möglich, dass sich die Zahlen für Kern und seine SPÖ nach den jüngsten Enthüllungen noch verschlechtern.