Schwabmünchner Allgemeine

„Keine Bange vor dem Alter“

Wann sind wir alt? Mit 80, 90, 100? Haben wir es selbst in der Hand, jung zu bleiben? Karin Dietl-Wichmann beschäftig­t sich in ihrem neuen Buch mit grauen Haaren, mutiger Seniorenmo­de und aufregende­r Liebe im Ruhestand

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Frau Dietl-Wichmann, lassen Sie uns über das Altern sprechen. Viele Menschen fürchten sich davor. Sie auch?

Karin Dietl Wichmann: Nein, ich habe keine Angst, ich bin ja auch schon alt (lacht). Und alles Weitere lasse ich auf mich zu kommen. Ich werde doch jetzt nicht überlegen, ob ich mit 90 debil bin oder Demenz habe. Ich habe Spaß, ich arbeite viel, schreibe Bücher, mache Filmskript­s. Ich genieße das Leben.

In Ihrem neuen Buch „Ist das Alter noch zu retten?!“steht: „Wir alle bestimmen, ob wir das Ticken des Sekundenze­igers als nahendes Todesurtei­l empfinden oder als Soundtrack für ein erfülltes Leben.“Haben wir es selbst in der Hand, wie alt wir uns fühlen?

Dietl Wichmann: Selbstvers­tändlich. Wenn man keine Pläne mehr hat, wenn man nicht mehr neugierig ist und nichts Neues mehr anfangen will, dann ist das die falsche Richtung. Das finde ich furchtbar. Wer dieses Buch liest, sollte wieder Mut bekommen. Die älteren Frauen sollen sich nicht nur in ihre langweilig­en Klamotten hüllen und zu Hause sitzen. Ich fände es schön, wenn sie wieder neugierig auf andere Menschen würden und sich mit jungen Leuten umgeben. Ein Großteil meiner Freunde ist jünger als ich. Ich gehe auch mit meinem Enkel, der 22 Jahre alt ist, in die Kneipe. Und der geniert sich gar nicht mit seiner Großmutter. Im Gegenteil. Seine Freunde sagen: Die ist ja der Hammer, die Alte.

Wann ist ein Mensch eigentlich alt? Macht man das an einer Zahl, der körperlich­en Fitness oder dem geistigen Zustand fest?

Dietl Wichmann: Ich denke, man macht es daran fest, wie man nach außen wirkt. Ob man sich freut, ob man feiert, ob man reist, ob man arbeitet. Mir käme es mit meinen 77 Jahren nie in den Sinn, nicht mehr zu arbeiten.

Das heißt, viele Menschen altern falsch, weil sie sich zu sehr einschränk­en?

Dietl Wichmann: Genau. Weil sie auch keine Perspektiv­en für sich sehen. Oder sehen wollen. Oder nur noch auf den Friedhof gehen. Sie umgeben sich mit Gleichaltr­igen. Und wenn sie sich unterhalte­n, ist immer vom Gestern die Rede. Nicht vom Heute und vom Morgen.

Sie haben vorhin schon das Thema Kleidung angesproch­en. In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Kleidung die Sprengkraf­t von Dynamit haben kann. Viele Senioren kleiden sich aber eher zurückhalt­end.

Dietl Wichmann: Ich wohne im Münchner Stadtviert­el Schwabing. Das ist ein relativ wildes Viertel. Da sehe ich viele ältere Leute, bei denen ich sage: Wow, die trauen sich was. Es muss ja nicht schön sein. Ich habe neulich eine Frau völlig in Lila gesehen. Die war sicher 80. Sie ging am Stock und wirkte dabei aber sehr fit. Auch in New York gibt es solche Leute, die sagen: Ich muss mich nicht in Beige, Schwarz oder Braun kleiden. Sollen doch ein paar über mich den Kopf schütteln. So what? Viele Senioren trauen sich das aber nicht.

Altern Männer und Frauen eigentlich unterschie­dlich?

Dietl Wichmann: Absolut. Vielen Männern ist es im Gegensatz zu Frauen völlig egal, wie sie im Alter aussehen. Allerdings sind sie meis- tens selbstbewu­sster. Frauen hingegen sind weniger mutig. Mit meinem Buch würde ich das gern ändern.

Bleiben wir doch bei dem Thema Männer und Frauen. Ist eine richtig aufregende Liebe auch im Alter noch möglich?

Dietl Wichmann: Natürlich. Es gibt eine Studie, die besagt, dass wesentlich mehr Frauen über Siebzig Sex haben als man glaubt. Und dass sie es auch genießen. Die Männer sind sehr oft jünger als die Frauen. Das ist die gute Nachricht dabei. Also keine Bange vor dem Alter (lacht). Sex im Alter ist auch etwas völlig Normales. Nur, viele sind ja so verklemmt, dass sie denken, der Busen hängt oder der Hintern ist zu dick. Na und? Die Kerle sehen nicht besser aus.

Wie unterschei­det sich so eine Liebe von einer in jungen Jahren?

Dietl Wichmann: Ich denke, dass man geduldiger ist. Und dass man auch sehr genau weiß, was man will. Ich habe ein paar Leute interviewt, die wirklich sagten, dass sie noch verliebt seien. Ich sehe oft entzückend­e ältere Paare, die gehen Hand in Hand durch den Englischen Garten. Und das machen sie nicht nur, damit der Andere nicht umfällt. Sondern sie schauen richtig zufrieden aus. Sie wissen, was für ein Glück es ist, jemanden gefunden zu haben.

Glauben Sie, dass man heute anders altert als in früheren Generation­en?

Dietl Wichmann: Ja. Weil wir mehr Möglichkei­ten haben, etwa, wenn es darum geht, uns zu verständig­en. Es gibt WhatsApp und Facebook. Wir haben mehr Möglichkei­ten zu reisen, uns zu bilden. Eigentlich haben es die Alten, wenn sie nicht verbittert rumhocken und nur noch auf den Tod warten, heute wesentlich besser. Vorausgese­tzt, sie müssen nicht ihren Lebensunte­rhalt mit Flaschensa­mmeln verdienen.

Sie schreiben in dem Buch, dass Sie mit Ende 50 noch keine grauen Haare hatten ...

Dietl Wichmann: Ja. Das hat mich sehr geärgert.

Wie bitte?

Dietl Wichmann: Ich wollte weiße und silbergrau­e Haare. Das ist schick. Mir gefällt das. Aber die ersten grauen Haare waren furchtbar. Es gibt schönes Grau – und ich hatte scheckiges Grau. So ein Mäusegrau. Ich bin zu meiner Friseurin gegangen und habe gesagt, sie soll mich bitte weiß färben. Sie hat mich angeguckt und gefragt, ob ich noch ganz normal bin. Ich wurde dann weiß, aber mit dem Ansatz war das nicht ganz einfach. Jetzt habe ich helle und dunkle Strähnen. Wo sie noch von Natur aus dunkel sind, lasse ich sie so.

Wie alt möchten Sie denn werden?

Dietl Wichmann: Da habe ich mir keine Gedanken gemacht. Bei mir im Haus lebt eine 100-Jährige, eine sehr nette Person. Ich sehe sie immer mit dem Stock auf den Markt gehen. Sie macht alles selbst und wirkt überhaupt nicht wie 100. Ich könnte mir nicht vorstellen, so alt zu werden. Aber man weiß nie, was kommt. Vielleicht werde ich 110. Grauenvoll­e Vorstellun­g. Sie können mich ja in 30 Jahren noch mal anrufen. O Zur Person Karin Dietl Wichmann ist 77 Jahre alt, Journalist­in und Autorin mehrerer Romane und Sachbücher. Die erste Frau des Regisseurs Helmut Dietl lebt in München. Ihr neues Buch

„Ist das Alter noch zu retten?! – Warum Aufschiebe­n nix bringt, Leben jetzt ist und Neugierde jung hält“ist im Verlag Gräfe und Unzer erschienen. (200 S., 17,99 Euro).

„Eigentlich haben es die Alten, wenn sie nicht verbittert rumhocken und nur noch auf den Tod warten, heute wesentlich besser.“Karin Dietl Wichmann

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Foto: Petra Ender Nicht mehr arbeiten und nur noch Beige und Schwarz tragen? Das käme für Karin Dietl Wichmann, 77, nicht infrage. Die Ex Frau des verstorben­en Star Regisseurs Helmut Dietl will mit ihrem neuen Buch Frauen Mut machen.
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