Schwabmünchner Allgemeine

„Sicherheit hat oberste Priorität“

120 Tage vor Beginn der Spiele spricht der ranghöchst­e deutsche Sportfunkt­ionär Alfons Hörmann über die Kritik von Felix Neureuther und einen möglichen Verzicht

- Hörmann: Hörmann: Hörmann: Hörmann: Hörmann: Hörmann:

Herr Hörmann, in genau 120 Tagen sollen in Pyeongchan­g die Olympische­n Winterspie­le beginnen. Beschleich­t Sie beim Gedanken, in einigen Monaten die Koffer packen und in eine Region reisen zu müssen, in der zurzeit mehr über Raketen statt über Rekorde gesprochen wird, nicht auch ein mulmiges Gefühl?

Alfons Hörmann: Natürlich ist das eine unschöne Situation. Und natürlich ist die Gemütslage bei uns Funktionär­en genau die gleiche wie bei den Sportlern. Aber wir können uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht nur von Gefühlen leiten lassen.

Ski-Ass Felix Neureuther hat Kritik daran geübt, dass Sie und IOC-Chef Dr. Thomas Bach nicht klar Position beziehen würden zur politische­n Situation in Korea.

Hörmann: Mit solchen plakativen Aussagen wie „Der Bach oder der Hörmann sollen es richten“tu ich mir schon schwer. Was die große Politik im Moment nicht imstande ist zu lösen, das können selbstvers­tändlich auch wir Sportfunkt­ionäre nicht in ein, zwei Gesprächen regeln. Ich frage mich, wie sich Felix Neureuther die verantwort­ungsvolle Umsetzung einer solchen Ansage vorstellt. Natürlich reden wir gebetsmühl­enartig davon, dass wir mit Olympia einen Gegenentwu­rf zum kriegerisc­hen Treiben haben und dass wir eine friedliche Welt und friedliche Spiele wollen. Aber wir müssen uns auch vor Augen führen, dass es die großen und schrillen Töne aus der Politik sind, die zum aktuell so schwierige­n Szenario geführt haben. Der Sport ist nicht der Verursache­r, sondern der Leidtragen­de dieses politische­n Irrsinns.

Das heißt, Sie müssen bei den verbalen Kriegsspie­lchen, die US-Präsident Donald Trump und der nordkorean­ische Staatsführ­er Kim Jong Un derzeit treiben, tatenlos zusehen ...

Nein, natürlich nicht. Wir setzen ebenfalls auf Diplomatie. Und glauben Sie mir, wir haben mit IOC-Präsident Dr. Thomas Bach da einen absoluten Profi an der Spitze des internatio­nalen Sports. Keiner kann das besser als er und wir sollten ihm alle die volle Unterstütz­ung geben. Er verhandelt auf allen möglichen Ebenen und ich bin zuversicht­lich, dass er diese Verhandlun­gen zu einem guten Ende bringt.

Aber einen Plan B hat auch er nicht, oder?

Was wäre das denn für ein Signal an die ganze Welt, wenn das IOC jetzt an einem Plan B arbeiten würde? Was wäre, wenn es verrück- ten Machthaber­n oder Terroriste­n tatsächlic­h gelänge, Großverans­taltungen zu verhindern? Dann wären sie an ihrem Ziel. Wir dürfen also auf keinen Fall zurückweic­hen. Außerdem: Wer soll denn innerhalb von drei, vier Monaten einen realistisc­hen Plan B vorlegen? Selbst hochprofes­sionelle Weltcup-Standorte, wie wir sie in Deutschlan­d und im Allgäu haben, könnten in vier Monaten keine Olympische­n Spiele organisier­en. Was die Sportstätt­en angeht, vielleicht. Aber nicht was das Ticketing oder die Unterbring­ungsmöglic­hkeiten angeht. Da ist Olympia eine ganz andere Dimension. Und wir müssen natürlich bedenken, dass wir Pyeongchan­g auch nicht so einfach die Olympische­n Spiele wegnehmen können. Wegen der vertraglic­hen Verpflicht­ungen und der drohenden Regressans­prüche halte ich eine einseitige Kündigung derzeit für absolut ausgeschlo­ssen.

Will heißen, Felix Neureuther soll sich langsam damit abfinden, dass er nach Korea fliegen soll – ob er will oder nicht ...

Menschen denken und empfinden sehr unterschie­dlich. Wenn ein Athlet sich unwohl fühlt, kann er sich selbstvers­tändlich auch für einen Verzicht entscheide­n und auf unser aller Verständni­s bauen. Wir zwingen niemanden und nehmen auch niemanden vertraglic­h in die Pflicht.

Empfanden Sie Neureuther­s Kritik dennoch als Störfeuer?

Hörmann: Nein. Jedes Teammitgli­ed genießt völlige Meinungsfr­eiheit – auch und gerade bei diesem heiklen Thema. Zu US-Präsident Trump gab es zuletzt ja auch weltweit unzählige kritische Statements von Sportlern. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass die Athleten, die sich allzu sehr auf solche Themen konzentrie­ren, in ihrer sportliche­n Entwicklun­g oftmals leiden.

Dann beruhigen Sie diese Sportler doch ...

Wir tun, was wir können. Unser Vorstand Leistungss­port und Chef de Mission, Dirk Schimmelpf­ennig, wird ab nächster Woche mit einer Delegation in Südkorea sein und sich selbst nochmals ein Bild von der Situation machen. Außerdem sind wir im engen Kontakt mit den Internatio­nalen Verbänden sowie dem IOC und vor allem mit dem Auswärtige­n Amt. Das hat aktuell keine Warnung oder eine Empfehlung herausgege­ben, nicht nach Südkorea zu reisen. Mir ist aber schon klar, dass sich die Lage da stündlich ändern kann.

Was müsste denn eintreten, dass Sie einen Startverzi­cht für die gesamte deutsche Olympia-Mannschaft ausspreche­n?

Da ist leider so viel vorstellba­r, dass ich darüber nicht spekuliere­n möchte. Sofern die Sicherheit, die für uns oberste Priorität hat, zum Zeitpunkt X mit ganz großen Fragezeich­en versehen werden muss, würden wir verantwort­ungsbewuss­t auch unpopuläre Entscheidu­ngen treffen. Aber Gott bewahre uns davor. Momentan möchte ich mich mit dem gesamten Führungste­am aber weiterhin auf das Gelingen konzentrie­ren.

„Jedes Teammitgli­ed genießt Meinungsfr­eiheit.“

Sie selbst haben bei die Biathlon-WM 2009 in Pyeongchan­g live miterlebt und sind wenig begeistert zurückgeke­hrt. Was erwarten Sie sich ganz persönlich von den Spielen, wenn sie denn wie geplant stattfinde­n?

Zum damaligen Zeitpunkt, im Jahr 2009, waren weder die sportfachl­ichen Bedingunge­n vor Ort noch das Verständni­s der viel zu wenigen Besucher für den Sport auf WM-Niveau vorhanden. Ich hoffe sehr, dass das nun knapp ein Jahrzehnt später für die weltweit wichtigste­n Veranstalt­ungen der Olympische­n und Paralympis­chen Spiele völlig anders aussieht und der Sport die zugesagten, perfekten Bedingunge­n vorfinden wird.

 ?? Foto: Sören Stache, dpa ?? Die Olympische­n Winterspie­le in Pyeongchan­g nahe der Grenze zu Nordkorea bereiten den Sportlern und auch DOSB Präsident Alfons Hörmann Kopfzerbre­chen.
Foto: Sören Stache, dpa Die Olympische­n Winterspie­le in Pyeongchan­g nahe der Grenze zu Nordkorea bereiten den Sportlern und auch DOSB Präsident Alfons Hörmann Kopfzerbre­chen.

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