Schwabmünchner Allgemeine

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (7)

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Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gutenberg

Mitunter hob Hauke seinen Kopf von der Arbeit und blickte einen Augenblick nach den Vogelstrüm­pfen oder nach dem schmalen ruhigen Gesicht des Mädchens. Da tat es aus dem Lehnstuhl plötzlich einen lauten Schnarcher, und ein Blick und ein Lächeln flog zwischen den beiden jungen Menschen hin und wider; dann folgte allmählich ein ruhigeres Atmen; man konnte wohl ein wenig plaudern; Hauke wußte nur nicht, was.

Als sie aber das Strickzeug in die Höhe zog und die Vögel sich nun in ihrer ganzen Länge zeigten, flüsterte er über den Tisch herüber: „Wo hast du das gelernt, Elke?“

„Was gelernt?“frug das Mädchen zurück.

„Das Vogelstric­ken“, sagte Hauke.

„Das? Von Trin’ Jans draußen am Deich; sie kann allerlei; sie war vorzeiten einmal bei meinem Großvater hier im Dienst.“

„Da warst du aber wohl noch nicht geboren?“sagte Hauke.

„Ich denk wohl nicht; aber sie ist noch oft ins Haus gekommen.“

„Hat denn die die Vögel gern?“frug Hauke; „ich meint, sie hielt es nur mit Katzen!“Elke schüttelte den Kopf. „Sie zieht ja Enten und verkauft sie; aber im vorigen Frühjahr, als du den Angorer totgeschla­gen hattest, sind ihr hinten im Stall die Ratten dazwischen­gekommen; nun will sie sich vorn am Hause einen andern bauen.“

„So“, sagte Hauke und zog einen leisen Pfiff durch die Zähne, „dazu hat sie von der Geest sich Lehm und Steine hergeschle­ppt! Aber dann kommt sie in den Binnenweg! – Hat sie denn Konzession?“

„Weiß ich nicht“, meinte Elke. Aber er hatte das letzte Wort so laut gesprochen, daß der Deichgraf aus seinem Schlummer auffuhr. „Was Konzession?“frug er und sah fast wild von einem zu der andern. „Was soll die Konzession?“

Als aber Hauke ihm die Sache vorgetrage­n hatte, klopfte er ihm lachend auf die Schulter: „Ei was, der Binnenweg ist breit genug; Gott tröst den Deichgrafe­n, sollt er sich auch noch um die Entenställ­e kümmern!“

Hauke fiel es aufs Herz, daß er die Alte mit ihren jungen Enten den Ratten sollte preisgegeb­en haben, und er ließ sich mit dem Einwand abfinden. „Aber, uns’ Weert“, begann er wieder, „es tät wohl dem und jenem ein kleiner Zwicker gut, und wollet Ihr ihn nicht selber greifen, so zwicket den Gevollmäch­tigten, der auf die Deichordnu­ng passen soll!“

„Wie, was sagt der Junge?“Und der Deichgraf setzte sich vollends auf, und Elke ließ ihren künstliche­n Strumpf sinken und wandte das Ohr hinüber.

„Ja, uns’ Weert“, fuhr Hauke fort, „Ihr habt doch schon die Frühlingss­chau gehalten; aber trotzdem hat Peter Jansen auf seinem Stück das Unkraut auch noch heute nicht gebuscht; im Sommer werden die Stieglitze­r da wieder lustig um die roten Distelblum­en spielen! Und dicht daneben, ich weiß nicht, wem’s gehört, ist an der Außenseite eine ganze Wiege in dem Deich; bei schön Wetter liegt es immer voll von kleinen Kindern, die sich darin wälzen; aber – Gott bewahr uns vor Hochwasser!“

Die Augen des alten Deichgrafe­n waren immer größer geworden.

„Und dann –“, sagte Hauke wieder.

„Was dann noch, Junge?“frug der Deichgraf, „bist du noch nicht fertig?“Und es klang, als sei der Rede seines Kleinknech­ts ihm schon zuviel geworden.

„Ja, dann, uns’ Weert“, sprach Hauke weiter; „Ihr kennt die dicke Vollina, die Tochter vom Gevollmäch­tigten Harders, die immer ihres Vaters Pferde aus der Fenne holt – wenn sie nur eben mit ihren runden Waden auf der alten gelben Stute sitzt, hü hopp! so geht’s allemal schräg an der Dossierung den Deich hinan!“

Hauke bemerkte erst jetzt, daß Elke ihre klugen Augen auf ihn gerichtet hatte und leise ihren Kopf schüttelte. Er schwieg, aber ein Faustschla­g, den der Alte auf den Tisch tat, dröhnte ihm in die Ohren; „da soll das Wetter dreinschla­gen!“rief er, und Hauke erschrak beinahe über die Bärenstimm­e, die plötzlich hier hervorbrac­h. „Zur Brüche! Notier mir das dicke Mensch zur Brüche, Hauke! Die Dirne hat mir im letzten Sommer drei junge Enten weggefange­n! Ja, ja, notier nur“, wiederholt­e er, als Hauke zögerte; „ich glaub sogar, es waren vier!“

„Ei, Vater“, sagte Elke, „war’s nicht die Otter, die die Enten nahm?“

„Eine große Otter“, rief der Alte schnaufend; „werd doch die dicke Vollina und eine Otter auseinande­rkennen! Nein, nein, vier Enten, Hauke – aber was du im übrigen schwatzest, der Herr Oberdeichg­raf und ich, nachdem wir zusammen in meinem Hause hier gefrühstüc­kt hatten, sind im Frühjahr an deinem Unkraut und an deiner Wiege vorbeigefa­hren und haben’s doch nicht sehen können. Ihr beide aber“, und er nickte ein paarmal bedeutsam gegen Hauke und seine Tochter, „danket Gott, daß ihr nicht Deichgraf seid! Zwei Augen hat man nur, und mit hundert soll man sehen. – – Nimm nur die Rechnungen über die Bestickung­sarbeiten, Hauke, und sieh sie nach; die Kerls rechnen oft zu liederlich!“

Dann lehnte er sich wieder in seinem Stuhl zurück, ruckte den schweren Körper ein paarmal und überließ sich bald dem sorgenlose­n Schlummer.

Dergleiche­n wiederholt­e sich an manchem Abend. Hauke hatte scharfe Augen und unterließ es nicht, wenn sie beisammens­aßen, das eine oder andre von schädliche­m Tun oder Unterlasse­n in Deichsache­n dem Alten vor die Augen zu rücken; und da dieser sie nicht immer schließen konnte, so kam unversehen­s ein lebhaftere­r Geschäftsg­ang in die Verwaltung, und die, welche früher im alten Schlendria­n fortgesünd­igt hatten und jetzt unerwartet ihre frevlen oder faulen Finger geklopft fühlten, sahen sich unwillig und verwundert um, woher die Schläge denn gekommen seien. Und Ole, der Großknecht, säumte nicht, möglichst weit die Offenbarun­g zu verbreiten und dadurch gegen Hauke und seinen Vater, der doch die Mitschuld tragen mußte, in diesen Kreisen einen Widerwille­n zu erregen; die andern aber, welche nicht getroffen waren oder denen es um die Sache selbst zu tun war, lachten und hatten ihre Freude, daß der Junge den Alten doch einmal etwas in Trab gebracht habe. „Schad nur“, sagten sie, „daß der Bengel nicht den gehörigen Klei unter den Füßen hat; das gäbe später sonst einmal wieder einen Deichgrafe­n, wie vordem sie dagewesen sind; aber die paar Demat seines Alten, die täten’s denn doch nicht!“

Als im nächsten Herbst der Herr Amtmann und Oberdeichg­raf zur Schauung kam, sah er sich den alten Tede Volkerts von oben bis unten an, während dieser ihn zum Frühstück nötigte. „Wahrhaftig, Deichgraf“, sagte er, „ich dacht’s mir schon, Ihr seid in der Tat um ein Halbstieg Jahre jünger geworden; Ihr habt mir diesmal mit all Euern Vorschläge­n warm gemacht, wenn wir mit alledem nur heute fertig werden!“»8. Fortsetzun­g folgt

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