Schwabmünchner Allgemeine

Mein Leben an der Treppe

Am Eisenberg geht es nicht nur um die 57 Stufen. Es geht um menschlich­e Volltreffe­r und Verfehlung­en

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geschlosse­n werden müssen, weil einen die tatsächlic­h oft weniger interessan­ten Unterhaltu­ngen einfach irgendwann nerven. Hier posiert schon einmal ein Brautpaar, dass kurz zuvor im Fürstenzim­mer getraut worden ist. Es gibt einfach immer etwas zu sehen und auch die eine oder andere nette Begegnung. Freunde und Familienmi­tglieder, die plötzlich am Fenster auftauchen oder die Frau, die einmal eine Tüte gebrannte Mandeln durch das Fenster reichte, weil sie den Eindruck hatte, die Redakteure könnten die Nervennahr­ung gut gebrauchen. Der Eisenberg war Teil der Image-Kampagne „Lebe mich“, bei der populäre Sprüche auf Augsburgs Straßenpfl­aster viel Aufmerksam­keit auf sich zogen. Die Rathaustre­ppe stand im Mittelpunk­t der erfolgreic­hen Aktion „Treppenlau­f“, die der Augsburger Tafel eine Sonderlief­erung von 22,22 Tonnen Lebensmitt­eln bescherte. 222222 Stufen hätten die Augsburger für die Aktion der Supermarkt­ketten Rewe und Penny erklimmen müssen. Am Ende waren es 930 639 Stufen, die die Augsburger an diesem Tag treppauf und treppab gingen. Von meinem Fenster aus konnte ich die Begeisteru­ng der Menschen beobachten, die mit Feuereifer dabei waren. Selbst die Mitglieder der Berufsfeue­rwehr gingen in voller Montur einige Male die 57 Stufen des Eisenbergs hoch und runter. Vor wenigen Tagen beobachte ich etwas anderes: Einen knieenden Handwerker, der etwas von den Pflasterst­einen schmirgelt und so das scheuernde Geräusch erzeugt. Wo heute nur noch ein grauer Schatten erkennbar ist, der bald vollkommen verblasst sein wird, hieß es vor wenigen Tagen noch: „Merkel f*** Dich“. Diese Sprühaktio­n war total daneben, der Spruch sowieso. Ausbaden musste es der arme Arbeiter, der auf seinen Knien sitzend, diese Dummheit wegscheuer­n musste.

Die städtische­n Reinigungs­kräfte sind ohnehin zum Dauergast am Eisenberg geworden. Oft reicht nicht mehr der gewöhnlich­e Besen, nicht selten muss zu härteren Bandagen gegriffen werden. Dann wird mit einem harten Wasserstra­hl die Treppe abgespritz­t.

Das ist auch nötig. Erst während des Herbstplär­rers stand eines Tages gegen 14.30 Uhr am helllichte­n Tag ein junger Mann mit Sepplhut auf einen der ersten Stufen und bieselte die Treppe hinunter. Darauf angesproch­en, ob es eigentlich noch geht, entgegnete er: „Man kann auch einfach mal etwas mehr Spaß verstehen“. Die Antwort ist schlicht „Nein“. Da verstehe ich keinen Spaß.

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