Schwabmünchner Allgemeine

Eltern verklagen nach Tod der Tochter die Polizei

Eine 24-Jährige verunglück­t nachts mit ihrem Wagen auf der A 8. Zwei Zeugen setzen Notrufe ab, doch die Retter finden die Unfallstel­le nicht. Die Frau stirbt. Jetzt geht es vor Gericht um die Frage, ob Fehler gemacht worden sind

- VON JÖRG HEINZLE

Das Leben einer jungen Frau endet viel zu früh. Es ist der 26. Juli 2015, etwa eine Stunde nach Mitternach­t. Janka D.*, 24, fährt mit ihrem Auto, einem Audi Q3, auf der A 8 in Richtung München. Der Wagen kommt von Straße ab, prallt mit Wucht gegen eine Böschung. Es spricht einiges dafür, dass die Frau noch eine Weile am Leben ist, ehe sie an ihrem Blut erstickt. Ein Gutachter geht davon aus, dass man ihr womöglich das Leben hätte retten können, wenn schnell Hilfe da gewesen wäre. Doch erst am anderen Morgen entdeckt ein Jogger das verunglück­te Auto mit der toten Frau.

Die Eltern der Frau hadern zwei Jahre nach dem Unfall noch immer mit diesem Schicksal. Sie glauben, dass nicht gründlich genug nach ihrer Tochter gesucht wurde. Dass man die Suche zu schnell aufgab und Janka D. deshalb keine Chance hatte. Die Fehler sehen die Eltern bei der Polizei. Deshalb klagen sie vor dem Augsburger Landgerich­t gegen den Freistaat. Sie fordern rund 26000 Euro. Kosten für die Bestattung sowie Schmerzens­geld, weil ihr Kind nach dem Unfall leiden musste. Doch um Geld allein geht es ihnen nicht. Sie suchen auch Antworten. Der Vater erscheint als Kläger Gerichtssa­al. Er ringt um Fassung. Die Mutter lässt sich entschuldi­gen, es belastet sie zu sehr.

Es gibt zwei Zeugen, die in jener Nacht ebenfalls auf der A8 unterwegs sind und den Unfall beobachten. Beide schlagen Alarm. Ein Mann aus Bremen, unterwegs in den Urlaub, wählt den Notruf. Er teilt dem Beamten in der Einsatzzen­trale der Augsburger Polizei mit, dass ein Auto von der Autobahn „geflogen“sei, kurz hinter Dasing. Die Lichter des Wagens, sagt er, waren plötzlich weg. Der Anrufer fragt, ob er warten soll. Doch der Notrufbeam­te meint, er könne ruhig weiter.

Ein Streifenwa­gen der Autobahnpo­lizei fährt mit Blaulicht zur vermeintli­chen Unfallstel­le. Etwa dort, wo sie den verunglück­ten Wagen vermuten, treffen die Polizisten auf ein Auto mit Anhänger, das auf dem Standstrei­fen steht. Der Fahrer sagt, ihm sei plötzlich das Licht ausgegange­n. Die Beamten gehen jetzt davon aus, dass der Anrufer dieses Gespann wahrgenomm­en hat. Auch ein Fahrzeug der Feuerwehr trifft ein. Die Feuerwehrl­eute berichten, dass es einen zweiten Notruf gab. Er ging nicht bei der Polizei, sondern bei der Rettungsle­itstelle unter der 112 ein. Ein Auto, so der Hinweis, habe sich überschlag­en, es sei verschwund­en. Polizei und Retter ent- sich, die Autobahn abzusuchen. Sie fahren langsam einen fünf Kilometer langen Bereich ab.

Vom Standstrei­fen aus leuchtet einer der Beamten mit einer Taschenlam­pe den Fahrbahnra­nd an. Doch sie finden nichts. Keine Spuren, keine Autoteile, keine Schäden an den Leitplanke­n oder am Wildschutz­zaun, der hier durchgängi­g entlang der Autobahn verläuft. Die Polizisten fahren die Strecke auch noch ein zweites Mal ab. Sie ahnen nicht, dass dicht neben der Autobahn, in einer Senke, eine schwer verletzte Frau um ihr Leben ringt.

Der Ablauf des Unfalls ist von einem Gutachter untersucht worden. Demnach kommt das Auto ausgeim rechnet an einer Stelle ohne Leitplanke von der Fahrbahn ab. Der Wagen fährt noch rund 200 Meter die Böschung entlang. Parallel zur Autobahn, genau zwischen Leitplanke und Wildschutz­zaun. Dann kommt eine Senke, weil ein Feldweg unter der A 8 hindurchfü­hrt. Als die Senke beginnt, hebt das Auto ab. Es fliegt über den Wildschutz­zaun und den Weg und kracht dahinter in die wieder ansteigend­e Böschung. Am anderen Tag erkennt man neben der Autobahn eine Spur im platt gedrückten Gras. Doch in der Dunkelheit ist das nicht zu sehen.

Janka D. erleidet schwere Brüche im Beckenbere­ich. Sie verliert viel Blut und erstickt durch das Einatschei­den men des Blutes. Ein Rechtsmedi­ziner nimmt an, dass sie aber noch mindestens etwa eine Stunde am Leben war. Die Verletzung­en seien nicht zwingend tödlich gewesen. Es bestehe „eine Wahrschein­lichkeit“, dass die Frau bei einer schnellen Versorgung den Unfall überlebt hätte. Mit absoluter Sicherheit lässt sich das alles aber im Nachhinein nicht mehr feststelle­n.

Für Richter Christoph Kern ist die Frage entscheide­nd, ob die beteiligte­n Polizisten einen Fehler gemacht haben. Die Streifenbe­amten vor Ort, sagt er, hätten richtig gehandelt. Etwas fragwürdig­er ist in den Augen des Richters das Vorgehen des Beamten am Notruf. Beide Streifenpo­lizisten sagen nämlich, es wäre besser gewesen, wenn der Unfallzeug­e gewartet hätte und nicht von der Einsatzzen­trale weitergesc­hickt worden wäre. Einer der Polizisten meint: „Dann hätte es eventuell anders ausgesehen.“Doch muss der Freistaat deshalb haften? Es sei ein „absoluter Grenzfall“, sagt Richter Kern. Eine Entscheidu­ng will er Ende November verkünden.

Die Staatsanwa­ltschaft hatte den Fall ebenfalls untersucht. Die Ermittler erkannten aber kein strafbares Verhalten bei den Beteiligte­n. Die Ermittlung­en wurden deshalb eingestell­t.

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Archivfoto: Jörg Heinzle Die Unfallstel­le an der Autobahn A 8 nahe Dasing: Das Auto einer 24 jährigen Frau kam hier von der Fahrbahn ab, flog über den Zaun (am unteren Bildrand) und über den Feldweg in der Senke. Dann krachte es in die gegenüberl­iegende Böschung. Der Unfall...
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