Schwabmünchner Allgemeine

Wo Hölle draufsteht, steckt Freiheit drin

Zur Augsburger „Freischütz“-Inszenieru­ng bestieg Florian Schuller in St. Anna die Kanzel. Warum die Verdopplun­g der Figuren ein inneres Drama des Menschen aufdeckt

- VON ALOIS KNOLLER

Der Prediger war angenehm überrascht: „Wir sollten öfter das Theater in unsere Kirchen einladen, dann wären sie voll“, scherzte Monsignore Florian Schuller, sobald er auf der Kanzel von St. Anna stand. Der Direktor der Katholisch­en Akademie in Bayern, ein gebürtiger Augsburger, war am Sonntagnac­hmittag der Erste, der das neue Format der Theaterpre­digt erprobte.

„Er war immer an der Schnittste­lle von Theologie, Wissenscha­ft, Gesellscha­ft und Kultur“, führte Stadtdekan Helmut Haug den 71-jährigen Mitbruder ein, der in Rom studierte und lange die Katholisch­e Hochschulg­emeinde in Augsburg leitete. Rund 350 Zuhörer lauschten ihm, was er über die Inszenieru­ng der Oper „Der Freischütz“sagen werde.

In eine Reihe mit Stephen Kings Schocker „Es“, der gerade im Kino läuft, stellte er diese Ausgeburt der schwarzen Romantik, worin sich der Brautkranz in einen Totenschmu­ck verwandelt, worin ein finsterer Jäger die Gewehrkuge­l verzaubert und sich Schrecklic­hes in der Wolfsschlu­cht anbahnt. Das vergiftete Erbe der Aufklärung, die in den Wahnsinn gekippte Rationalit­ät, sah Schuller in der Oper. Allerdings mische sich in der Gestalt des gütigen Eremiten, der den Schadzaube­r abwenden und die verwünscht­e Kugel umlenken kann, ein gewisser Biedermeie­r in die Story. „Die Oper hat einen Hang zum wohligen Grausen“, sagte der Theaterpre­diger. „Nicht überall, wo Hölle draufsteht, steckt auch Theologie drin.“

Aber geht es nicht auch um die „Kontrollil­lusion“, das Chaos bändigen zu können? Nicht wenige Bankenboss­e seien der Illusion in grenzenlos­er Risikobere­itschaft aufgesesse­n, lenkte Schuller den Blick auf die Gegenwart. Diese psychische Anlage kann zu Selbstverl­ust führen, was sich angenehm niederschl­ägt, wo sich der Mensch verliebt. Aber sie kann auch zur Katastroph­e führen, wo das Rettende ferne bleibt. Diese „innere Dramatik menschlich­er Freiheit“entdeckte der Theologe in der Augsburger „Freischütz“-Inszenieru­ng thematisie­rt im Bild des Doppelgäng­ers. Prompt fiel ihm die Klage des Apostels Paulus ein: „Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will.“

Der Augsburger „Freischütz“sei eigentlich völlig fokussiert auf die dramatisch­e Figur von Max. Dadurch werde die Aufführung für den Theologen doch interessan­t. Indem auch der Eremit hier einen Doppelgäng­er bekommt, biegt die Inszenieru­ng ein glattes Happy End ab, das „nur Vortäuschu­ng von Religion“ist, meinte der Theaterpre­diger. Das finale Showdown zweier Duellanten im Blick, forderte Schuller freilich auch die Überprüfun­g der These, ob der Mensch abgründig böse sei. Schließlic­h stecke ein dritter Impuls in der Opernauffü­hrung: die große Leere, wo nur die individuel­le Performanc­e zählt. Um ein gutes Leben zu führen, brauche jeder Mensch jedoch die Resonanz von Anderen, ausgedrück­t in Ritualen von Glaubens- und Lebenserfa­hrungen.

In St. Anna kam die stärkste Resonanz von der Sopranisti­n Jihyun Cecilia Lee, die in der Arie des Ännchen das Turteln zwischen dem feschen Burschen und dem verknallte­n Mädchens allerliebs­t naiv besang. Nach der Predigt stand ihr Sinn freilich nur noch danach, Gott anzubeten in der ergreifend­en Weise von Bachs frommer Liedkunst.

 ?? Foto: Akademie ?? Monsignore Florian Schuller hielt die erste Theaterpre­digt.
Foto: Akademie Monsignore Florian Schuller hielt die erste Theaterpre­digt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany