Mit Engelsflügeln über den Jakobsweg
Wolfgang Niederzoll pilgert die vielseitige Strecke durch den Norden Spaniens und trifft seine Weggefährten wieder
Dass nicht nur viele Wege nach Rom, sondern auch nach Santiago de Compostela führen, zeigte Wolfgang Niederzoll im Informationspavillon 955 auf einer Karte der Iberischen Halbinsel, auf der zahlreiche verschiedene Jakobswege verzeichnet waren. Er selbst pilgerte schon auf einigen dieser Wege, zuletzt auf dem Camino del Norte, auf Deutsch dem Weg des Nordens, der von Irún nach Santiago de Compostela führt, und dabei das Baskenland, Kantabrien, Asturien und Galicien durchquert. Eindrückliche Fotos von grünen Wiesen, bunten Städten und fröhlichen Menschen boten den Rahmen eines Vortrages, welcher nicht nur die spirituelle Seite des Pilgerns zeigte, sondern die Zuhörer auch in die beruhigende Welt des Nichtsdenkens im Wandern begleitete.
Das Kulturbüro der Stadt Königsbrunn organisierte die Veranstaltung. Als Mitbringsel von der 30-tägigen Reise schenkte Niederzoll der Leiterin, Ursula Off-Melcher, eine Jakobsmuschel, die, so sie zerbrochen wird, weißglänzenden Engelsflügeln gleichsieht, welche die Pilger stets begleiten sollen.
Denn der Weg ist hart: Der Camino del Norte beginnt in den Ausläufern der Pyrenäen im Baskenland und führt über das Gebirge Los Picos de Europa (spanisch für „die Gipfel Europas“), die laut Niederzoll „Berge im Zugspitzformat“sind, bis an den äußersten Nordwesten Spaniens, der ebenfalls alles andere als flach ist. Zu sehen gab es auf der Strecke durch vier spanische Provinzen aber nicht nur Natur. Einige bekannte Städte wie San Sebastián, Bilbao, Guernica, Santander oder Oviedo liegen auf dem Weg. Der Wandel der Industriestadt Bilbao zu einer Kulturstadt beeindruckte Niederzoll besonders. Durch den Bau des GuggenheimMuseums in der größten Stadt des Baskenlandes konnte hier ein Tourismus-Hotspot entstehen, der jährlich gut eine Millionen Besucher anlockt. Unter diesen befanden sich während Niederzolls Besuch auch einige andere Pilger, mit denen man schnell Bekanntschaft schloss.
Mal in der Gruppe und mal alleine absolvierte Niederzoll den Weg mit Birgit Gruber aus Bregenz, Hartmut Schaz aus Frankfurt und Gertrud Reinfrank aus der Nähe von Tübingen. Außerhalb des Wanderweges wären sich diese vier wohl nie begegnet, aber im Norden Spaniens trifft man sich – ob gewollt oder nicht. „Den Hartmut nannte ich Gespenst“, scherzte Niederzoll. „Ich hätte schwören können, er wanderte ein paar Stunden hinter mir, und dann saß er plötzlich wieder im Café vor mir.“Alle drei Begleiter begrüßte Niederzoll auch am vergangenen Freitag im Informationspavillon 955.
Zusammen besuchten sie auch den Ort in Spanien, der das wohl traurigste Bild der deutsch-spanischen Geschichte zeichnet. Während des spanischen Bürgerkriegs 1936 bis 1939 unterstützte die deutsche Luftwaffe die Putschisten Francos und zerstörte die Stadt Guernica. Pablo Picasso verarbeitete den Luftangriff später in seinem gleichnamigen Werk. Der dunkle Schatten dieser Episode schwang zwar auf der Reise immer mit, doch die Steine der Kathedrale von Santiago de Compostela, die am Ende des langen Weges in der Sonne bernsteinfarben glänzten, standen sinnbildlich für einen gelungenen Pilgerweg. „Das ist das Wunder von Santiago“, sagte Niederzoll: „Die grauen Kirchensteine in der Abendsonne funkeln zu sehen.“