Wie wichtig ist Angst für Sie, Herr Messner?
Der Extrem-Bergsteiger Reinhold Messner kommt nach Gersthofen. Uns hat er erzählt, wie seine Mutter mit dem riskanten Leben ihrer Kinder klarkommen musste. Und wie er es als Vater sieht, wenn sich sein Sohn in Gefahr begibt
Herr Messner, Sie sind oft an Grenzen gegangen. Nicht umsonst spricht man beim Bergsteigen auch von der Todeszone. Hatten Sie keine Angst?
Doch. Die Angst spielt eine große Rolle. Das Thema wurde lange Zeit beim Bergsteigen ausgeklammert. Dabei hat jeder Mensch, der in eine gefährliche Welt geht, Angst. Die Angst ist etwas Positives, weil sie uns sagt: Bis hierher und nicht weiter. Die Kunst ist es, sich so gut vorzubereiten, dass die Angst weniger wird. Dass Angst und Mut im Gleichgewicht sind.
Haben Sie die Angst in gefährlichen Situationen auch verdrängt?
Ich kann die Angst nicht mit Tricks wegschieben. Die Angst wird nur weniger mit Training und mit Erfahrung. Wir wachsen ja im Leben in kleinen Schritten in immer größere Problemstellungen hinein. Ich erzähle in meinen Vorträgen auch generell über das Leben, nicht nur über die Bergsteigerei.
Wann waren Ihre Ängste größer – vor einem Abenteuer oder währenddessen?
Die Ängste sind in aller Regel vorher da. Wenn ich losgehe und mich gut vorbereitet habe, schrumpfen die Ängste. Ich spüre dann: Es geht, ich kann das. Und wenn es kritisch wird, habe ich immer noch die Möglichkeit, zurückzugehen. Ich bin oft zurückgegangen. Allein an den Achttausendern bin ich 13 Mal gescheitert. Ich habe es aber als Lernprozess gesehen. Ich habe herausgefunden, was ich falsch gemacht hatte, es besser gemacht und wieder versucht.
Ist es schwer, sich das Scheitern einzugestehen und umzukehren, auch kurz vor dem Gipfel?
Je älter ich geworden bin, umso leichter wurde das Scheitern. In jungen Jahren ist es nicht einfach. Man bereitet sich lange auf eine Sache vor und freut sich. Und dann merkt man, es wird zu gefährlich. Aber mit zunehmendem Alter, mit den Erfolgen und der Erkenntnis, dass das Scheitern dazugehört, wird es ein Teil des Unterwegsseins.
Auch die Angehörigen von Extrembergsteigern müssen mit Ängsten leben. Wie war das bei Ihnen?
Vor allem unseren Müttern gegenüber ist das, was wir Grenzgänger tun, nicht zu verteidigen. Meine Mutter hat das einfach geduldet. Natürlich hatte sie Ängste. Wir sind schon mit 15, 16 Jahren schwierige Wände geklettert. Sie hat uns Frühstück gemacht, ohne zu wissen, ob wir am Abend wiederkommen. Wir waren mehrere Brüder, die kletterten. Sie hat uns nie ihre Ängste gezeigt, um uns Freiraum zu geben, damit wir uns entwickeln konnten. Das war großartig, sonst hätte ich nie der Mensch werden können, der ich bin.
Es kamen nicht alle aus ihrer Familie aus den Bergen zurück.
Messner: Die Mutter hat auch mächtig gelitten, sie hat zwei Söhne am Berg verloren. Mein Bruder Günther, der mit mir am Nanga Parbat unterwegs war, kam unter die Lawine. Mein Bruder Siegfried ist vom Blitz aus einer Wand gerissen worden und in eine Schlucht gestürzt. Angehörigen gegenüber ist das nicht zu rechtfertigen. Entweder wird es geduldet oder man nimmt sich die Freiheit. Die Kinder eines Bergsteigers haben eigentlich keine Angst. Sie trauen dem Papa alles zu. Aber wenn ein Bergsteiger umkommt, und leider passiert das häufiger, als wir denken, ist das für eine Familie mit kleinen Kindern ein großer Einschnitt. Ich werde das traditionelle, extreme Bergsteigen nicht verteidigen. Ich rede es keinem aus, aber ich werbe auch nicht dafür.
Wie gehen Sie als Vater damit um, dass auch Ihr Sohn Simon heute in den Bergen unterwegs ist?
Messner: Mein Sohn war gerade im Himalaya. Sie waren nur zu zweit, in einer gefährlichen Wand. Sie haben abgebrochen, waren also vernünftig. Jetzt ist er in die Westalpen aufgebrochen. Wenn ich zu ihm sagen würde, das geht nicht, lass das, würde er fragen: Was hast du gemacht? Er würde sagen, er sei volljährig und könne für sich entscheiden. Das ist ja auch richtig. Kinder müssen irgendwann selbst wissen, was sie tun und was sie zu verantworten haben. Das Bergsteigen ist eine selbstverantwortete Angelegenheit.
Haben Sie sich je gefragt, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie nicht in den Bergen aufgewachsen wären?
Messner: Nein. Das bringt nichts. Durch meine Geburt in den Dolomiten war es logisch, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe. Ich hatte keine andere Möglichkeit, um mich auszutoben und auszudrücken, als die Felsen. Ich bin ein horizontsüchtiger Abenteurer, der immer weiter hinaus will, hinter die nächste Kante schauen. Auch später, bei anderen Tätigkeiten, bin ich Abenteurer geblieben. Das hat mich ausgefüllt.
Ist das auch ein Rezept für ein glückliches, ausgefülltes Leben?
Für mich schon. Ich will das aber nicht verallgemeinern. Andere Leute leben ein anderes Leben. Das Schwierige ist, seinen Weg zu finden und ihn konsequent zu gehen. Das, glaube ich, ist mir zugeschoben worden. Es ist mir gelungen, weil mir in der Kindheit viele in diese Richtung geholfen haben.
Haben Sie Angst vor dem Älterwerden und dem Schwinden der Kräfte?
Nein, es ist leicht für mich. Weil ich dem Alter entsprechend neue Herausforderungen gefunden habe. Schon vor 20 Jahren wurden meine Ausdauer, meine Schnellkraft, auch meine Erfahrung weniger. Es ist interessant, dass auch die Erfahrung weniger wird. Da bin ich umgestiegen und habe hauptsächlich die Bergmuseen gebaut. Es hat mir die gleiche Befriedigung gegeben. Es war ein ähnliches Vorgehen. Man muss anerkennen, dass der Mensch ein zerbrechliches Wesen ist. Am Ende sterben wir alle. Wichtig ist nur, dass wir vorher das Leben ausgefüllt haben.
Würden Sie nicht gerne noch mal auf einem Achttausender stehen?
Messner: Ich habe keine Notwendigkeit mehr, auf einen Achttausender zu steigen. Ich habe auch keine Notwendigkeit mehr, in überhängenden Wänden zu klettern. Ich steige auf einen Sechstausender und bin gleich gefordert wie früher auf einem Achttausender. Das ist auch das Großartige beim Bergsteigen. Ein
„Es gibt einen Allgäuer, der mich in den Bann zieht.“
alter Mann mit 80 Jahren kann sich dabei noch selbst erfahren wie ein fünfjähriges Kind, das nur nach vorne schaut und sagt: Ich hab’ das geschafft, ich hab’ da raufgefunden.
Von Augsburg aus ist es nicht weit bis in die Berge. Viele fahren gern in die Allgäuer Alpen. Gibt es da einen Berg, der Sie besonders fasziniert?
Messner: Es gibt eine Persönlichkeit aus den Allgäuer Alpen, die mich in den Bann zieht. Adolf Schulze war in den Jahren um 1900 der beste Kletterer weltweit. Ein Genie. Er ist vor allem in den Allgäuer Alpen bestimmt Wände und Routen geklettert, von denen ich einige anschauen möchte. Vielleicht werde ich sogar eine Route wiederholen. Ich schließe nicht aus, dass mich Adolf Schulze in meinem nächsten Lebensabschnitt, der gerade beginnt, eine Zeit lang im Geiste begleiten wird.
Wie wird das aussehen?
Adolf Schulze hat eine irrsinnig interessante Biografie und die Kletterkunst, die er beherrschte, möchte ich auf die Leinwand bringen. Ich möchte einen Film machen. Da arbeite ich gerade dran. Die Berge finden bei mir jetzt im Kopf statt. Die Abenteuer nehme ich aus dem Leben, aber dann werden sie in meinem Kopf bearbeitet, sodass später ein Film daraus wird. Das ist meine jetzige Begeisterung und mein jetziges Tun.