Was Bäume erzählen können
Experte Bernhard Frey erklärt Wesenszüge und Lebenserfahrungen von Linden, Buchen und Eichen. Er spricht aber auch über hohle Baumstämme, Bulben sowie menschliche Fehler bei der Pflanzung
Zum Spaziergang durch die Natur fanden sich 18 Interessierte auf Einladung des Landschaftspflegeverbands beim Untermeitinger Friedhof ein. Der Baumexperte des Landkreises Augsburg, Bernhard Frey, führte die Gruppe zu der alten Lindenallee, die entlang der Hochterrassenkante, dem sogenannten Johannisberg, zum Untermeitinger Schloss führt.
Frey wandte sich zuerst an die in Begleitung ihrer Mutter teilnehmenden Kinder und fragte: „Wie können sich Bäume mitteilen, da sie doch nicht sprechen können?“Ein Kätzchen zum Beispiel, welches ja auch nicht spricht, kann zumindest mittels Drohgebärden Abwehr oder aber durch Schnurren Zuwendung äußern. Aber wie wehrt sich ein Baum? Und wie zeigt er, dass es ihm gut geht? Die Antwort auf diese Fragen gab Frey selbst: „Ein Baum muss sich an alles anpassen, was ihm im Laufe seines Lebens widerfährt, weil er im Gegensatz zu den Tieren nicht aktiv kämpfen oder fliehen kann, wenn ihm Unheil droht. Ein Baum kann nur wachsen.“
Das Wachstum ist also seine einzige Reaktionsmöglichkeit. An der Art, wie der Baum sein Wachstum gestaltet, lässt sich laut dem Experten ablesen, welche Gefahren er schon überstanden hat, mit welchen Problemen er gerade kämpft und in welcher gesundheitlichen Verfassung er aktuell befindlich ist. Am Beispiel des Linden-Torsos, der nahe des Schlosses steht, erklärt Frey, mit welchen verschiedenen Strategien einheimische alterungsfähige Baumarten wie Linde, Buche und Eiche im Durchschnitt bis zu 300 Jahre alt werden.
Gerbsäure zum Schutz vor Pilzen und Bakterien
Die Eiche wird sehr alt, weil sie sehr hartes Holz ausbildet, das sehr dauerhaft ist. Die Buche wehrt bis ins hohe Alter erfolgreich holzzerstörende Pilze und Bakterien ab durch Einlagerung von Gerbsäure in ihren Holzkörper. Die Linde, bei den Schnitzern beliebt wegen ihres weichen Holzes, hingegen setzt, um alt zu werden, ganz auf Regeneration. Sie besitzt eine schier unendliche Austriebsfähigkeit und kann so aller Zerstörung zum Trotz immer wieder neu ergrünen und eine neue Baumkrone errichten.
Dies zeigt der besagte LindenTorso beim Schloss überdeutlich. Aus den drei gewissermaßen als Ruine übrig gebliebenen Stamm- schalen dieses alten Linden-Torsos entstehen durch kräftigen Ausschlag neuer, grüner, baumkronenbildender Zweige und durch intensives Dickenwachstum an den alten Stammschalen gegenwärtig drei neue Linden. Diese sind keine neuen Lebewesen, sondern setzen einfach das Leben der alten, beinahe niedergegangenen Linde fort.
Auf die Frage eines Exkursionsteilnehmers, warum alle alten Bäume innen hohl sind, erklärt Frey: Holzzerstörende Pilze und Bakterien dringen während des gesamten Baumlebens über Rindenverletzungen in den Holzkörper des Baumes ein. Diese Verletzungen der Rinde können verschiedenste Ursachen haben: Astausbrüche durch Sturmereignisse, schlimme Sägewunden durch unsachgemäße Astentnahmen oder Rindenverletzung an Baumstamm und Wurzelwerk während Baustellentätigkeit. Viele dieser Wunden, die ein Baum während seines Lebens erleidet, sind zu groß und können nicht schnell genug verheilen.
Die dann eindringenden Pilze und Bakterien zersetzen zuerst das trockengefallene Kernholz, weil sie in den saftführenden äußeren Jahresringen von den im Saftstrom transportierten Abwehrsubstanzen ferngehalten werden. So wird der Baum mit zunehmendem Alter langsam hohl. Solange die Wandstärke von Stammhöhlen ein Drittel des Stammdurchmessers beträgt, steht der Baum sicher da. Nimmt die Wandstärke darüber hinaus ab, wird der Baum instabil.
Fäule ist irgendwann schneller als die Reaktionsholzbildung
Bernhard Frey zeigt den Exkursionsteilnehmen Baumstämme mit sogenannten Bulben, die aussehen wie wuchtige Beulen, und Baumstämme mit stark aus dem Stamm hervortretenden Leisten, die wie Säulen den Stamm verdicken, und erklärt: „Meistens nimmt der Baum die Schwächung seiner Stabilität durch die besagte Hohlfäule wahr und verstärkt dann durch die Bulben und Leisten sein Stammholz wieder. Irgendwann im hohen Alter ist aber die Ausbreitung der Hohlfäule schneller als die Reaktionsholzbildung in den Bulben und Leisten. Dann verfällt der Baum zusehends, bricht unaufhaltsam in sich zusammen und stirbt.“
An einer Linde aus der Allee zeigt Frey Wachstumsanomalien, die noch heute von einem Fehler erzählen, welche die Menschen seinerzeit bei der Pflanzung dieses Baumes machten. Die Wurzeln dieser Linde gehen nicht sternförmig vom Stamm weg, sondern sind alle einseitig in eine Richtung orientiert. „Das kommt von der sogenannten Schuhlöffelpflanzung“, sagt Frey. „Weil das Pflanzloch nicht groß genug gemacht worden war, wurde der Setzling irgendwie ins Loch gezwängt. Dabei wurden alle seine Wurzeln in eine Richtung gedrängt.“Die heranwachsende Linde konnte diese Wurzelstellung nicht mehr korrigieren, und so ist das Phänomen noch heute am Wurzelansatz ihrer Stammbasis erkennbar. Diese Wurzelstellung schwächt die Windfestigkeit der Linde. Nur weil die Linde im Alleenbestand geschützt steht, ihre Wurzeln glücklicherweise gegen die Hauptwindrichtung weisen und somit dort gleichsam einem gespannten Tau volle Zugkraft besitzen, blieb sie bis heute erfolgreich stehen.
Als Baumexperte des Landratsamtes ist Frey für die Pflege aller rund 80 Naturdenkmale im Landkreis Augsburg, wie zum Beispiel die Lindenallee beim Schloss, zuständig. Frey erstellt zudem Baumgutachten für Gemeinden. Über seine Tätigkeit für die Gartenbauvereine erfährt auch der Landkreisbürger gartenfachliche Beratung.