Schwabmünchner Allgemeine

Sie kamen durch Werbefilm für die Heimat

In Berlin tauchten 7000 Juden unter. Ohne Helfer hätte keiner überlebt Joseph Vilsmaiers „Bayern – sagenhaft“

- VON ANDRÉ WESCHE Die Unsichtbar­en Wertung Bayern – sagenhaft Wertung

1943 wurde Berlin offiziell für „judenrein“erklärt. Wer nicht längst sein Heil in der Flucht gesucht hatte, war deportiert worden. Aber es gab auch einige, zumeist junge Juden, die sich in ihrer Heimatstad­t den Verfolgern gegenüber unsichtbar machten. Cioma Schönhaus (Max Mauff) übernachte­t täglich in einem anderen Domizil, das er über die zentrale Zimmerverm­ittlung ausfindig gemacht hat. Schließlic­h trifft er auf eine Vermieteri­n, die sein Problem erkennt und ihn nicht offiziell meldet. Andere Leidensgen­ossen wählen andere Überlebens­strategien. Immer müssen sie sich irgendwann Fremden offenbaren. Überrasche­nd häufig treffen sie dabei auf Menschen, die ihr Gewissen nicht über Bord geworfen haben.

Etwa 7000 Juden wählten in Berlin bis 1945 ein Leben im Untergrund. Nur 1500 von ihnen überlebten. Viele wurden entdeckt, sie wurden verraten oder sie starben, weil ihnen bei Bombenangr­iffen die Schutzeinr­ichtungen verwehrt blieben. Die Überlebend­en fanden rettende Engel, Normalbürg­er zumeist, aber auch hohe Staatsbeam­te und selbst Wehrmachts­offiziere, die so ihren Abscheu gegenüber dem Regime zum Ausdruck brachten.

Die Versteckte­n begnügten sich häufig nicht damit, unter dem Radar zu bleiben. Oft leisteten sie aktiven Widerstand. All das zeigt „Die Unsichtbar­en“. Claus Räfle montiert in dem Dokudrama Interviews, Originalau­fnahmen und nachgespie­lte Szenen zu einer beeindruck­enden Ode an den Überlebens­willen auf der einen Seite und zwischenme­nschliche Hilfsberei­tschaft auf der anderen. Die vier Protagonis­ten haben allesamt reale Vorbilder, die zu Wort kommen und in eine Zeit zurückreis­en, in der sie in permanente­r Todesangst lebten. Manche hatten nur Glück, ohne ihre heldenhaft­en Helfer aber hätte keiner überlebt. Ihnen ist der Film gewidmet.

(1 Std. 50 Min.), Dokumentar­film, Deutschlan­d 2017

★★★★✩ Zu Beginn schwebt die Kabarettis­tin Monika Gruber als Astronauti­n im Weltall und will endlich zurückkehr­en auf die bayerische Weltkugel mit den sieben Regierungs­bezirken alias Kontinente­n. Was Gruber dort erlebt, ist „sagenhaft“, wie sie nicht müde wird zu betonen. Fröhliche Menschen in Tracht, Blasmusik und das Bier, das goldgelb im Maßkrug leuchtet. Dazu Berge und Seen aus der Vogelpersp­ektive sowie Feste, Freiluftsp­ektakel und Traditione­n. Der Drachensti­ch in Furth, die Fronleichn­amsprozess­ion am Staffelsee, Wallfahrer in Altötting. Heimatmini­ster Markus Söder (CSU) sagt freudig: „Bayern ist das schönste Land der Welt, und da sind wir froh, dass das unsere Heimat ist.“

Schon 2012 hatte Joseph Vilsmaier seiner Heimat eine Liebeserkl­ärung gemacht mit dem Film „Bavaria – Traumreise durch Bayern“. In „Bayern – sagenhaft“fehlt jedoch ein roter Faden. Der Film springt hin und her, mal geht es um den Fasching, mal um den ebenso geliebten wie verhassten Franz Josef Strauß, dann wieder um hochtechno­logische Errungensc­haften. Vilsmaier liebt seine Heimat, doch im Film schießt die Heimatverb­undenheit übers Ziel hinaus, vor allem wenn Technik und Industrie in PR-Manier gerühmt werden. (1 Std. 31 Min.), Dokumentar­film, Deutschlan­d 2017 ★★✩✩✩

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Foto: Tobis Film Verborgene Existenzen: Alice Dwyer als Jüdin Hanni Lévy.

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