Ist ein Süchtigen-Treff wirklich der richtige Weg?
Die Stadt will die Lage am Helmut-Haller-Platz entschärfen, bringt durch die Wahl einer Anlaufstelle mitten im Wohngebiet aber die Bürger auf die Barrikaden. Vielleicht gibt es Alternativen
Die Anwohner der Dinglerstraße in Oberhausen sind wütend. Ordnungsreferent Dirk Wurm hat ein Haus in ihrer Straße ausgewählt, um dort einen Treff für Alkoholund Drogenabhängige einzurichten. Dies allein bringt schon viele auf die Barrikaden. Was sie dem Referenten aber noch mehr verübeln, ist, dass er ein solches Geheimnis um den Standort machte. Wäre der Ältestenrat nicht eingeschritten, der Referent hätte zuerst den Mietvertrag unterschrieben, um die Anwohner dann vor vollendete Tatsachen zu stellen. Ein ungeschicktes Vorgehen!
Einsame politische Entscheidungen kommen beim Bürger nicht an. Sie vermitteln ein Gefühl der Ohnmacht und erwecken den Eindruck, zwar wählen zu dürfen, danach aber keinerlei Einfluss mehr auf Entwicklungen zu haben. Gerade auf kommunaler Ebene, wo die Menschen unmittelbar von politischen Beschlüssen betroffen sind, schürt dies den Unmut gegen die Regierenden. Das Ergebnis sind Proteste und Bürgerbegehren.
Die Augsburger Stadtregierung ist in dieser Hinsicht ein gebranntes Kind: Sowohl die geplante Fusion der Stadtwerke-Energiesparte mit Erdgas Schwaben als auch die Theatersanierung hatten Bürgerbegehren zur Folge. Warum? Die Augsburger fühlten sich nicht gut genug informiert. Sie hatten das Gefühl, mit unverrückbaren, für sie nicht nachvollziehbaren Entscheidungen konfrontiert zu werden – und wehrten sich.
Schon vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, was SPDOrdnungsreferent Dirk Wurm geritten hat, den Standort für den Süchtigen-Treff auszuwählen, ohne vorher darüber zu informieren. Nicht einmal Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) soll über die Immobilie Bescheid gewusst haben, was – sollte dies tatsächlich zutreffen – auch ein seltsames Licht auf die Regierungskoalition wirft.
Dass der Partner beim Süchtigen-Treff ausgerechnet die BraueHätte rei-Familie ist, die der Stadt vor zwei Jahren eine Immobilie für eine Asylbewerberunterkunft angeboten hatte (ebenfalls ein umstrittenes Projekt, das letztlich gekippt wurde), hat für viele zusätzlich ein „G’schmäckle“. Selbst wenn hinter dieser Koinzidenz nur ein Zufall steckt: Dadurch, dass Wurm andere mögliche Standorte nicht öffentlich machte, entsteht bei vielen Bürgern der Eindruck, dass hier gemauschelt worden sein könnte.
Wurm, der sich inzwischen für sein Vorgehen entschuldigt hat, hätte wissen müssen, dass er sich mit seiner Geheimniskrämerei Ärger einhandelt. Er wird aber gleichermaßen geahnt haben, dass jeder Ort für einen Süchtigen-Treff auf Widerstand stoßen wird. Trinker und Drogenabhängige mag niemand in seiner Nachbarschaft haben, auch wenn das kaum einer zugibt. der Referent Standorte zur Wahl gestellt, die Debatten wären wohl so hitzig geführt worden, dass es keine schnelle Entscheidung gegeben hätte. Doch Wurm ist unter Druck: Der Haller-Platz ist seit langem ein Brennpunkt, der Referent will ihn endlich entschärfen.
Ob ausgerechnet ein SüchtigenTreff in der Dinglerstraße der richtige Weg ist, darf bezweifelt werden. So stellt sich zunächst die Frage, ob die Szene sich durch das Angebot überhaupt vom HallerPlatz wegbewegen lässt. Zum Treff in der Dinglerstraße sind es 550 Meter. Zumindest bei gutem Wetter besteht für die meisten gar kein Grund, zum Süchtigen-Treff zu gehen, wo sie der Kontrolle durch die Betreiber unterliegen. Weil der Treff auch nicht rund um die Uhr geöffnet sein wird, wird sich die Lage am Haller-Platz nur zeitweise verbessern. Eine durchdachte Lösung sieht anders aus.
Was aber wäre der bessere Weg? Die Szene in ein Industriegebiet irgendwo am Stadtrand zu verbannen, würde der Stadt die Auseinandersetzung mit Nachbarn ersparen. Doch es geht ja nicht darum, Trinker und Junkies aus dem Stadtbild zu entfernen. Eine Kommune muss auch für diese Mitglieder der Gesellschaft Verantwortung übernehmen und Anlaufstellen schaffen, die im besten Fall dazu beitragen, den Abhängigen Wege aus ihrer Situation aufzuzeigen. Ein Ort wie der in der Dinglerstraße könnte Süchtige – die vor allem auch eines sind: Kranke – dazu bringen, nebenbei mit Hilfsangeboten in Kontakt zu kommen, die sie aktiv nie in Anspruch nehmen würden. Insofern ist es richtig, einen Treffpunkt zu schaffen. Im Fall Oberhausens aber wäre es besser, ihn nicht im Wohngebiet einzurichten.
Was spricht dagegen, in einer Pilotphase erst einmal auf ein Provisorium zu setzen? Ein Container am Haller-Platz wäre ein niederschwelliges Angebot, das wahrscheinlich besser angenommen würde als ein hunderte Meter entferntes Lokal. Wenn sich zeigt, dass die Präsenz von Suchtberatern vor Ort zu einer Entschärfung am Haller-Platz führt, könnte in einem zweiten Schritt immer noch darüber nachgedacht werden, einen festen Süchtigen-Treff einzurichten.
Der Referent ist unter Druck, die Bürger sind sauer