Lernen heißt auch, sich die Welt zu erfühlen
Professor Hartmut Paffrath erklärt das Prinzip der Ästhetischen Bildung anhand von bunten Blättern
Was versteht man heute unter Bildung? Ist ein gebildeter Mensch jemand, der sich ausschließlich viel Wissen aneignet? Mit diesen Fragen beschäftigte sich Professor Dr. F. Hartmut Paffrath bei seinem Vortrag im Königsbrunner Hort Süd. Der Abend bildete den Abschluss einer Veranstaltungsreihe zur Feier der Gründung der Königsbrunner Horte.
Deren Leiter Achim Friedrich kennt Paffrath noch als studentische Hilfskraft, da dieser die treibende Kraft eines Initiativkreises „Künstlerische Gestaltung“zur Verschönerung der nüchternen Universitätsräume gewesen sei. Dazu passe das Thema seines Vortrages über „Ästhetische Bildung“doch vortrefflich, sagte der Professor.
Zu Beginn seiner Ausführungen nahm Paffrath die Begriffe Bildung und Ästhetik unter die Lupe. Wird Bildung im Zeitalter von weltweiten Bildungswettläufen nicht verengend mit Ausbildung gleichgesetzt?, fragte der Professor. Befähigungen in mathematischen und technischen Leistungen, Fremdsprachen und abstraktem Denken seien wichtig. Doch würde der Druck auf Kinder immer mehr erhöht, ganz früh wissensmäßig zu lernen statt sie mit sinnlicher Wahrnehmung über eigene Erfahrungen und eigenständiges Denken erlernen zu lassen.
Englisch und Chinesisch schon in der Kita zu lernen, sei nicht selten. Fulminant in früher Kindheit auch das „Grundschulabitur“in der vierten Klasse sowie die weiteren (An-)Forderungen nach Abschlüssen und Zertifikaten, um am Ende im Arbeitsprozess bestens zu funktionieren. So würde der Mensch als Humankapital dem Moloch des Kapitalismus geopfert.
Nein, Bildung sei eben mehr, betonte der Pädagoge: „Zu Bildung gehört auch, dass man sich für die Umwelt einsetzt oder die Welt zu verbessern sucht.“Dazu müsse sie einem zuvor auch erfahrbar gemacht worden sein. Um die Bedeutung der Ästhetik abzuklopfen, führte der Pädagoge den Begriff der Schönheit ein, der Mode und Zeitgeist unterworfen sei. War früher Blässe das Ideal, gelte heute intensive Bräune, für nicht wenige ein gepiercter oder tätowierter Körper als schön. Über Globalisierung, von (sozialen) Medien befeuert, erhöhten auch hier standardisierte Normen über alle Nationen hinweg den Druck. So boomten einerseits die Geschäfte der Schönheitschirurgie und Kosmetikbranche, andererseits hätten sich bei einer internationalen Umfrage, was eine Frau denn schön mache, über 60 Prozent für deren Lächeln ausgesprochen.
In seinem zweiten Teil zeigte Paffrath die geschichtliche Entwicklung der ästhetischen Bildung als eigenständige Disziplin auf, die sich auf die menschliche Urkraft und Freude am schöpferischen Sein gründe (Höhlenmalerei und Malerei, Musik, Tanz aller Naturvölker). Ästhetische Bildung könne auch heute nicht als beliebig verhandelbarer Luxusartikel abgetan werden, noch als überflüssig betrachteter schulischer Kanon.
Ästhetische Bildung beginne in den ersten Lebensjahren. Mittels der sinnlichen Wahrnehmung und Körperempfindungen würde das Fundament für weitere Entwicklungsprozesse gelegt. Dass Körperkoordination, Denken, Reflexion und letztlich der Zugang und die Auseinandersetzung sowohl mit der Welt als auch mit sich selbst im Zusammenhang mit Ästhetischer Bildung stünden, würde heute immer wieder von psychologischen wie neurobiologischen Forschungen bewiesen. Barbara Kotter, Erzieherin aus dem Hort Nord, überzeugte besonders dieser Blick auf die ganzheitliche Bildung: „Es war für mich die Intensivierung meiner täglichen Arbeit.“
In einem dritten Teil überraschte Paffrath die Zuhörer mit einem Fundus ganz unterschiedlicher Baum- oder Gewürzblätter, die er gesammelt auf einem Tisch ausgelegt hatte. Jeder möge sich eines herauszusuchen sowie – ganz wichtig, auch einen der darauf liegenden Schokomarienkäfer. Er forderte den Einzelnen auf, sein Blatt zu beschreiben und den persönlichen Impuls seiner Wahl zu erklären. Deutlich zu spüren war, wie plötzlich Bewegung und Emotionalität aufkam und ein gemeinsamer Spaßfaktor beim gegenseitigen Vergleichen und Teilen der Information. So empfand es auch Gaby Kramny: „Der praktische Teil mit den Blättern hat mir ungeheuer Freude bereitet und man kam dadurch auch miteinander ins Gespräch.“Paffrath selbst, der zuvor auch schon die Gefahr der Hybris der wissenschaftlichen Pädagogik angemerkt hatte, schloss den Abend mit dem bekannten Satz vom kleinen Prinz „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“