Mit Kindern auf dem Friedhof
An einem ihnen fremdem Ort erfahren Buben und Mädchen etwas über Bäume, Gräber und Berufe
Der Friedhof ein Ort für Kinder? Freilich kommen Erwachsene hier schon mal ins Gespräch über den einen oder anderen Bestatteten und gerade älteren Ortskundigen erinnert manches Grab an Familiengeschichten. Doch der heimatkundige Geschichtsexperte Reinhold Lenski macht den städtischen Friedhof jetzt zu einem Schauplatz der Kinderkulturtage.
Und tatsächlich, die Buben und Mädchen ließen sich tatsächlich dafür interessieren. So staunten die jungen Teilnehmer schon gleich am Eingang zur Friedhofsführung, wie groß ein Baum in hundert Jahren werden kann.
Denn die hohen Linden rechts und links des Weges zur Aussegnungshalle sind genauso alt wie der Friedhof selbst – fast einhundert Jahre. Aber die Geschichte der Linden ist nur die erste einer Reihe von Geschichten, denen man beim Gang über den städtischen Friedhof begegnen kann und die die Gräber erzählen.
Reinhold Lenski ist einer, der diese Geschichten spannend zu erzählen weiß. Der langjährige Kulturamtsleiter und Kulturpreisträger der Stadt 2017 zeigt einer kleinen Gruppe interessierter Kinder, was es hier alles zu entdecken gibt. Teilnehmer Florian hat ein persönliches Interesse. Ein Bekannter der Familie sei hier begraben. Daher: „Mich interessieren die Geschichten und wer hier beerdigt ist“, sagt er.
Aber was passiert vor der Beerdigung? Lenski informiert über das Prozedere – die Toten werden gewaschen und neu bekleidet in den Sarg gelegt. Früher wurden sie in der Aussegnungshalle aufgebahrt.
Und die Inschriften auf alten Grabsteinen verraten einiges über die Verstorbenen, ihre Berufe und Titel. Immer wieder taucht eine, den Kindern unbekannte Berufsbezeichnung auf: Was ist ein Ökonom? „So hat man früher die Bauern genannt und davon gab es sehr viele in Bobingen“, erklärt Reinhold Lenski.
Schon die Größe und Gestaltung des Grabsteins sagt viel aus. Die prächtigen Grabmale etwa, die die Allee säumen, gehören Persönlichkeiten, die in Bobingens Geschichte eine Rolle gespielt haben. Wie die Brauereibesitzer Deuringer. Oder Seraph Kiederle und Dr. Josef Jaufmann, die eine gemeinsame Grabstätte haben. „Dr. Jaufmann hat den Weg Bobingens vom Markt zur Stadt entscheidend vorbereitet und eine Schule ist nach ihm benannt“, erzählt Lenski. Hier taucht auch die Bezeichnung Ehrenbürger bei der Grabinschrift auf – eine Bezeichnung für Menschen, die für die Stadt Besonderes geleistet haben, erfahren die Kinder. Jetzt nach Allerheiligen kann man ihre Gräber gut erkennen, weil die Stadt jeweils ein Gesteck mit blau-weißem Band niederlegt. So ein Gesteck entdecken die Kinder etwas abseits der Allee. Franz Xaver Frey lautet die Inschrift. „Er war Landrat, der Chef des Augsburger Landkreises, zu dem wir gehören“, berichtet Reinhold Lenski.
Dann ein Grab, das gleich einer ganzen Gruppe von Menschen gewidmet ist – den Franziskanerinnen. Sie haben früher in Bobingen als Krankenschwestern gearbeitet.
Auch die drei Holzkreuze mit fremdländischen Namen erzählen eine Geschichte. Nämlich von hier gestorbenen Zwangsarbeitern, die im Zweiten Weltkrieg in der Fabrik arbeiten mussten. Die Kinder sind berührt. „Es ist ein Glück, dass wir in Deutschland wohnen und jetzt geboren sind“, weiß eine Teilnehmerin.
Berührend ist auch der Bereich mit dem Schmetterlingsgrab für tot geborene Kinder. In dessen Mitte steht eine Stele. Die Bobinger Bildhauerin Gisela Heim hat sie geschaffen. Und nicht nur das, viele der Grabsteine hat sie angefertigt, und sie ist schließlich selbst auf dem Friedhof begraben.
Als rätselhaft für Kinder erweist sich eine Inschrift auf dem Stein von Sebastian März, der vor etwa 200 Jahren lebte. Bader steht da als Beruf. „Vielleicht hat er die Toten gebadet oder gewaschen?“mutmaßen die Teilnehmer. „Nein, er war Friseur und eine Art Arzt, der Kranke behandelte“, klärt Lenski auf. Viele interessante Eindrücke nahmen die Kinder mit nach Hause. Der Friedhof ist kein fremder Ort mehr für sie.