Schwabmünchner Allgemeine

Ganztags in die Grundschul­e

Politik Jamaika-Parteien möchten jedem Kind einen Betreuungs­platz garantiere­n. Auswirkung­en in Bayern wären gravierend

- VON SARAH RITSCHEL Augsburg

Es ist einer der wenigen Punkte, in denen sich die Parteien einer möglichen Jamaika-Koalition in Berlin einig sind: Jedes Grundschul­kind soll das Recht auf Ganztagsbe­treuung haben. Die Grünen wollen ihrem Wahlprogra­mm zufolge für diesen Rechtsansp­ruch „streiten“, die CDU lässt keinen Zweifel daran, dass sie eine gesetzlich­e Regelung einführen möchte. Und die CSU schreibt in ihrem Bayernplan eindeutig: „Wir wollen einen Rechtsansp­ruch auf eine Ganztagsbe­treuung bis zum Ende der Grundschul­e.“Die FDP äußert sich nicht konkret und dürfte wohl auch kein Interesse haben, bei diesem Thema Diskussion­en anzuzettel­n.

Eine Studie im Auftrag des Bundesfami­lienminste­riums ergab, dass für 44 Prozent aller deutschen Grundschül­er bislang ein passgenaue­s Ganztagsan­gebot fehlt. Und nach Erkenntnis­sen aus dem Mikrozensu­s 2015 arbeiten 96000 Mütter nur deshalb in Teilzeit, weil sie keinen guten und bezahlbare­n Betreuungs­platz finden.

Sofern die Verhandlun­gspartner in Berlin ihre Pläne umsetzen, müssten Bayerns Schulen deutlich nachrüsten. Bislang steht der Freistaat im Vergleich der Bundesländ­er beim Ganztag ganz weit hinten. Etwa jeder achte Grundschül­er lernte vergangene­s Schuljahr auch nachmittag­s – bundesweit ist es etwa jeder dritte. Nicht eingerechn­et ist allerdings die Mittagsbet­reuung, bei der die Kinder bis 14 Uhr oder darüber hinaus beaufsicht­igt werden. Diese besucht in Bayern jedes fünfte Grundschul­kind.

Die bayerische SPD fordert schon seit Jahren ein Gesetz, das Eltern Betreuung in der Schule garantiert. Jetzt sagt deren Bildungsex­pertin Simone Strohmayr: „Ich gehe fest davon aus, dass der Rechtsansp­ruch kommt.“Dass es ohne gesetzlich­e Verpflicht­ung nicht geht, habe man an den Kindertage­sstätten gesehen, sagt Strohmayr. Erst der Rechtsansp­ruch ab August 2013 habe den Ausbau in Gang gebracht. „Bisher fangen die Probleme für berufstäti­ge Eltern aber wieder an, sobald ihr Kind in die Schule kommt. Das kann nicht sein.“

Bereits heute wird nach Angaben des bayerische­n Kultusmini­steriums jeder Antrag auf Ganztagsgr­uppen im Freistaat genehmigt. Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) spricht von einer „Ganztagsga­rantie“. Der feine Unterschie­d zum Rechtsansp­ruch: Bislang müssen sich Eltern damit abfinden, wenn nicht genügend Kinder für eine Gruppe zusammenko­mmen oder die Kommune den Bedarf nicht zuverlässi­g erhebt und kein Angebot beantragt. Wie oft das passiert, weiß keiner genau. Geht der Rechtsansp­ruch durch, können Eltern einen Platz für ihr Kind einklagen.

Wie das passende Gesetz konkret ausgestalt­et sein müsste, steht aber nicht annähernd fest – genauso wenig wie die Finanzieru­ng des Ausbaus. Derzeit entscheide­t noch jedes Bundesland allein über seine Bildungsau­sgaben. Das Kooperatio­nsverbot zwischen Bund und Ländern müsste für einen Rechtsansp­ruch wohl gelockert werden.

Um allen Schülern einen Betreuungs­platz zu garantiere­n, müssten an den Schulen im großen Stil neue Räumlichke­iten geschaffen werden. Für Wilfried Schober, Sprecher des Bayerische­n Gemeindeta­gs, liegt die Krux aber ganz woanders: „Die Kinder sollen ja nicht einfach aufbewahrt, sondern sinnvoll betreut werden. Aber dafür haben wir einfach nicht genügend Fachperson­al.“Damit der Rechtsansp­ruch funktionie­ren kann, brauche man erst einmal genügend Erzieher und Lehrer, die die Kinder auch noch nachmittag­s betreuen. Schon jetzt fehlen an den Grundschul­en massenhaft Lehrer. Und mit einem Erzieherge­halt könne man sich gerade in den Städten das Leben kaum leisten, sagt Schober. Die Politik müsse daher Wege finden, um den Job des Erziehers attraktive­r zu machen und wieder mehr Frachkräft­e auszubilde­n. Das könne Jahre dauern. Schober hält es für „unredlich“, Eltern auf die Schnelle einen sicheren Ganztagspl­atz zu verspreche­n. „All das ist hohles Geschwätz, wenn der Bund den Rechtsansp­ruch beschließt und die Umsetzung dann einfach den Kommunen überlässt.“

Auch im bayerische­n Kultusmini­sterium will man keine RuckzuckLö­sung. Überstürzt eingeführt, könne der Rechtsansp­ruch sogar ein „zweischnei­diges Instrument“sein: „Einerseits kann er zur Beschleuni­gung des Ganztagsau­sbaus führen. Anderersei­ts kann er am Bedarf und Willen der Eltern vorbeigehe­n sowie Kommunen und Länder überforder­n“, heißt es auf Anfrage unserer Zeitung. Widerspric­ht sich die CSU also selbst, wenn sie im Parteiprog­ramm den Ganztag fordert? Nein, beeilt man sich im Ministeriu­m klarzustel­len. Man wolle einen Rechtsansp­ruch, der für die Kommunen zu leisten ist und den Wünschen der Familien gerecht wird. „Nicht für heute und auch nicht für morgen“, sondern gründlich geplant.

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Foto: dpa Um allen Kindern einen Betreuungs­platz am Nachmittag zu garantiere­n, müssten die Schulen ausgebaut werden.

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