Ohne Bürgerbeteiligung geht es nicht...
...aber mit ist es auch schwierig. Kaum ein öffentliches Projekt kommt mehr ohne Workshops, Dialoge oder Ähnliches aus. Manchmal fühlen sich Bürger ernst genommen, manchmal nicht
In ihrer Eigendarstellung sieht die Stadt sich ganz nah am Bürger. „Bürgerbeteiligung wird großgeschrieben“, lautet die Schlagzeile in der aktuellen Ausgabe des städtischen Mitteilungsblatts „Augsburg direkt“unter Verweis auf diverse sogenannte Bürgerdialoge der Gegenwart und der Vergangenheit. Dass die Informationspolitik der Stadt zum Thema „SüchtigenTreff“kurz nach Erscheinen des städtischen PR-Organs massiv in die Kritik geraten würde, war da noch nicht absehbar. Das ist der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Spätestens seit „Stuttgart 21“ist der Anspruch, dass Bürger frühzeitig und intensiv einzubinden sind. Es ist eine ganze Branche aus Beratungsfirmen entstanden, die sich auf Bürgerdialoge und Ähnliches versteht. Die Schlagworte lauten Transparenz, Dialogbereitschaft, die Bürger „mitnehmen“und so weiter. Die Idee dahinter ist ja auch lobenswert: Die Verwaltung muss besser erklären, was sie vorhat, statt sich nur darauf zu berufen, dass Bürger ja im Zuge eines Genehmigungsverfahrens Einwendungen vorbringen dürfen. Auf Augenhöhe mit Bürgern zu kommunzieren, sieht anders aus. Das Ideal ist, gemeinsam mit der Bürgerschaft Lösungen zu erarbeiten. Manchmal klappt das auch: Der Bürgertalk zu „Modular“konnte manche Vorbehalte ausräumen, und die Beteiligung an Konzepten (Sport, Inklusion oder Stadtentwicklung) ist sinnvoll.
Es gibt aber auch eine andere Wirklichkeit beim Thema Bürgerbeteiligung. Wer schon einmal an einem solchen Workshop teilgenommen hat, weiß, dass es zähe Diskussionen sind, die manchmal fruchtbar, manchmal furchtbar sind, weil sich ein paar wenige Teilnehmer auf abseitige Nebenaspekte einschießen. Das ist aber noch das geringste Problem – im Stadtrat mit den gewählten Politikern ist es ja auch nicht anders.
Das Problem mit der Bürgerbeteiligung ist ein anderes: Verwaltung und Bürger verstehen darunter etwas anderes. Über das einer Maßnahme wird dabei nämlich gar nicht diskutiert, obwohl Bürger das durchaus wollen würden. Die Diskussion beschränkt sich eher auf das Nur wird das meist nicht klar gesagt, wenn die Politik hinterher stolz verkündet, dass man ja mit den Bürgern gesprochen habe – die Beteiligungsmaßnahme dient neben dem tatsächlichen Ansinnen, Bürgerwünsche aufzunehmen auch der Eigenabsicherung der Politiker und letztlich dem Durchsetzen eines Projekts.
Wie. Ob
Erinnert sei an die Art und Weise, wie die Beteiligung zur Theatersanierung ablief – Kernfragen, die damals in der politischen Diskussion eine Rolle spielten, nämlich wie die Sanierung deutlich günstiger werden könnte, waren da eher ein Randthema. Ein anderes Beispiel sind die Workshops zur Trassierung der Linie 5. Nachmittageweise diskutierten Anlieger der Trassenvarianten – am Schluss favorisierten die Stadtwerke eine Trasse durch die Hessenbachstraße, die von den Bürgern mehrheitlich eher nicht gewollt war. Kurz darauf musten sie wieder zurückru- dern, weil eine nähere Überprüfung zeigte, dass diese Trasse nicht klappt. Das nächste Mal sollte schon vor einer Bürgerbeteiligung feststehen, wo marode Kanäle verlaufen und wo wie viele Fledermäuse leben – sonst entsteht leicht der Eindruck von Willkürentscheidungen.
Die Politik befindet sich in einem unauflösbaren Widerspruch: Wünsche der Bürger sollen gehört und berücksichtigt werden, gleichwohl müssen auch unpopuläre Projekte umgesetzt werden. Die Wahrheit ist: Niemand will einen Süchtigen-Treff oder eine neue Straßenbahnlinie oder eine Hochspannungsleitung unmittelbar vor seiner Haustür haben. Es ist nichts Verwerfliches daran, wenn unmittelbar Betroffene gegen ein solches Projekt aufstehen. Es ist nur logisch, aber letzten Endes müssen ihre Interessen mit denen des Gemeinwohls abgewogen werden. Es ist eine sehr unbequeme Wahrheit, aber würde die Politik hier nur auf „die Bürger“hören – eigentlich geht es nur um die Bürger – , dann gäbe es alle diese Projekte nicht.
Die Informationspolitik von Ordnungsreferent Dirk Wurm beim Süchtigen-Treff war falsch, weil es eine viel zu lange Hängepartie zwischen Ankündigung und Bekanntgabe des Standorts gab. Dadurch bot er eine politische Angriffsfläche. Zu glauben, dass es entscheidend etwas geändert hätte, Anwohner früher zu informieren, ist aber naiv. Der Mietvertrag ist nach wie vor nicht geschlossen, und die Vorbehalte sind trotzdem da.
In der politischen Diskussion über den Standort – sie ist absehbar, weil die CSU das Projekt ohnehin noch nie wollte – wird es sicher auch um die zu späte Bürgerbeteiligung gehen. Klar sein muss den Politikern aber Folgendes: Sollte der Süchtigen-Treff an diesem Ort nicht kommen, lässt sich eines schon sagen: Auch an einem Alternativstandort werden sich Nachbarn beschweren – selbst wenn es im Gewerbegebiet ist. Und kommt gar kein Treff, dann werden sich die Anwohner vom Helmut-HallerPlatz über den Stillstand beklagen. Die Stimme welcher Bürger wiegt mehr?
betroffenen