Wenn das Autofahren immer schwieriger wird
Ein 78-Jähriger hat einen Schwächanfall erlitten und mit seinem Wagen die Fassade eines Juweliergeschäfts gerammt. Die Polizei sagt: Ab 60 steigt das Unfallrisiko. Warum die Behörden deswegen aber nicht Alarm schlagen
Im Schaufenster sind lange Risse zu sehen, der Steinsockel an der Hauswand ist an zwei Stellen eingebrochen. Mehr ist am Tag danach nicht mehr zu sehen von einem dramatischen Unfall, der sich in der Karolinenstraße abgespielt hat. Die Polizei geht davon aus, dass der 78-jährige Fahrer eines BMW am Donnerstagvormittag einen Schwächeanfall erlitten hat, dadurch die Kontrolle über seinen Wagen verlor und ungebremst gegen die Fassade des Juweliergeschäfts Hörl krachte. Er verfehlte eine Fußgängerin nur knapp. Gravierende Unfälle dieser Art – ausgelöst durch ältere Autofahrer – seien nach wie vor Einzelfälle, heißt es bei der Augsburger Polizei.
Doch wie sieht der Trend langfristig aus? Obwohl die Menschen älter werden und sie im Schnitt auch länger mit dem Auto fahren, gebe es bis jetzt keine dramatische Entwicklung bei den Unfallzahlen, sagt Polizeisprecher Michael Jakob. Dazu komme: Senioren seien in den meisten Fällen Verursacher von kleineren Unfällen – etwa Rempler beim
Eine andere Gruppe bereitet der Polizei mehr Sorgen
Parken. Die größeren Sorgen bereitet der Polizei nach wie vor die Altersgruppe der jungen Fahranfänger von 18 bis 24. Sie sind spürbar häufiger in schwere, auch tödliche Unfälle verwickelt. Generell aber gilt: Mit zunehmendem Alter steigt auch das Unfallrisiko. Laut Polizei beginnt das bei den Autofahrern im Durchschnitt ab 60 Jahren, bei Radfahrern ab dem 75. Lebensjahr.
Bislang kontrollieren die Behörden nicht generell, ob ein Autofahrer trotz höheren Alters noch in der Lage ist, ein Auto zu steuern. Anders als bei Lastwagen- oder Busfahrern, die regelmäßig belegen müssen, dass sie fit genug sind. Die Führscheinstellen werden nur aktiv, wenn ein konkreter Verdacht gemeldet wird. In der Regel kommt die Information von der Polizei. Wenn ein Autofahrer einen Unfall hatte und der Verdacht besteht, die Ursache könnte sein Gesundheitszustand sein, dann melden die Beamten das an die Stadt weiter.
Die Führerscheinstelle kann dann eine sogenannte Überprüfungsfahrt anordnen. Das funktioniert ganz ähnlich wie die praktische Führerscheinprüfung. Ein Prüfer, etwa vom TÜV, oder ein Verkehrspsychologe sitzt mit im Wagen und bewertet, ob der Autofahrer noch am Verkehr teilnehmen kann. Im vorigen Jahr erlosch bei 42 Senioren im Alter von über 65 Jahren die Fahrerlaubnis, teilt die Stadt mit. Sie mussten den Führerschein entweder abgeben oder entschlossen sich freiwillig dazu. Im Jahr 2015 waren es 24 Fälle. Die Augsburger Fahrlehrerin und Verkehrspsychologin Sabine Keinath stellt fest, dass die Ämter bei der Überprüfung älterer Autofahrer strenger geworden sind und häufiger reagieren. Gleichzeitig steige aber auch die Zahl der Senioren, die aus eigenem Antrieb testen wollen, ob sie sich noch hinters Steuer setzen sollen.
Es gibt Fahrschulen, die spezielle Tests für ältere Autofahrer im Angebot haben – mit einer Fahrt und einer theoretischen Prüfung. Teils bieten sie auch Computertests an, bei denen Fähigkeiten wie Reaktionsvermögen, Merkfähigkeit oder Konzentration abgefragt werden. „Man sollte darauf achten, dass die Fahrlehrer dafür speziell ausgebildet sind“, sagt Sabine Keinath. In solchen Kursen bekämen die Autofahrer eine ehrliche Einschätzung. Das wollten die meisten Teilnehmer auch. „Es ist ja so, dass man es sich selbst oft schönredet“, sagt Keinath. Die Tests seien vertraulich, kein Amt bekomme Ergebnisse. Auch die Augsburger Verkehrswacht bietet regelmäßig Auffrischungskurse für ältere Autofahrer an.
Die Verkehrspsychologin weiß, dass sich Menschen oft schwertun, den Führerschein freiwillig abzugeben. „Es ist ein Verlust an Freiheit und Eigenständigkeit“, sagt sie. Unabhängig von praktischen Fragen wirke sich solch eine Entscheidung auch auf das Selbstbewusstsein aus. Mit dem Auto zu fahren sei für viele immer noch ein Statussymbol. Auch Ärzte zögern, die Führerscheinstelle über ihre Patienten zu informieren. Sie fühlen sich an ihre ärztliche Schweigepflicht gebunden. Zwar gibt es der Rechtsprechung zufolge ein Melderecht. Ärzte können demnach bei uneinsichtigen Patienten, die trotz ihrer Fahruntüchtigkeit weiter Auto fahren und so eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, die Behörden verständigen. Sie müssen das aber nicht tun.
Oft ist es die eigene Familie, die es bemerkt, wenn ein älterer Autofahrer nicht mehr sicher unterwegs ist. Wer deshalb das Amt informieren will, kann das aber nicht anonym tun – und riskiert damit unter Umständen den Familienfrieden. Anonymen Hinweisen werde in der Regel nicht nachgegangen, teilte die Stadt dem Augsburger Gunnar M.* mit, als er telefonisch melden wollte, dass seine an Demenz erkrankte 84-jährige Mutter noch immer mit dem Auto fahre. Diskussionen mit seiner Mutter führten nicht weiter. Auch bei der Polizei habe man ihm gesagt, erzählt er, dass man nichts machen könne. Er fürchtete, dass bei einem Unfall etwas Schlimmeres passieren, dass eventuell ein Mensch sterben könnte. Er kam zum Schluss: „Ich würde mir das nie verzeihen.“Er entschloss sich, die Batterie im Auto abzuklemmen. Später brachte er seine Mutter dann doch dazu, dass sie einverstanden damit war, dass er das Auto woanders abstellt.
*Name geändert