Schwabmünchner Allgemeine

Gehasst, geliebt, aber immer gelesen

Vor 150 Jahren erschien das erste Reclam-Bändchen. Viele Generation­en verbinden mit den gelben Heften Erinnerung­en an die Schulzeit. Doch nur einer hat sie alle noch im Regal

- VON SIEGFRIED P. RUPPRECHT Landkreis Ursula Paun, Elisabeth Morhard, ferlen Markus Rechner, Hans Grünthaler Hildegard Häfele. Erich Pfef »Kommentar

Sie sind gelb, handlich und klein, passen in jede Hosentasch­e. Fast jeder hat in seiner Schulzeit ein Reclam-Heft in den Händen gehalten. Denn es gibt sie seit genau 150 Jahren, wenn auch zunächst ohne Farbe. Viele versahen ihre Bändchen mit Zeichnunge­n, Markierung­en und Notizen. Wenn man ihnen ansah, dass mit ihnen gearbeitet wurde, sie regelrecht zerlesen waren – spätestens dann waren sie Kult. Viele Menschen haben lange Zeit Erinnerung­en an diese Werke.

So schmucklos die Bändchen waren und sind – sie hatten damals wie heute einen großen Vorteil. Sie sind erschwingl­ich und mit dem unverwechs­elbaren grellgelbe­n Erscheinun­gsbild in den Verkaufsre­galen sofort erkennbar. Weiter punktet die Reclam-Reihe mit ihrer Vielfalt: Sie hält bereit, was in der deutschen und europäisch­en Literatur Rang und Namen hat. Hinzu kommen antike und philosophi­sche Texte sowie Gesetzesau­sgaben und Operntexte. Auch Unterhalte­ndes wird nicht verschmäht. Fakt ist: Reclam-Hefte sind zumindest aus dem Schulunter­richt nicht wegzudenke­n.

● Für Gemeinderä­tin in Langenneuf­nach, sind die Heftchen noch immer ein Dauerbrenn­er. Sie hat sie erstmals in ihrer Jugendzeit kennengele­rnt. Allerdings nicht in der Schule. Grund für den Erwerb waren ihre Theaterbes­uche. „Um vorab die Inhalte von Operetten und Schauspiel­e zu erfassen, griff ich auf die Reclam-Werke zurück“, erzählt sie. „So war ich vor dem Theaterbes­uch stets bestens informiert, und preisgünst­ig noch obendrein.“Die teuren Programmhe­fte zu den jeweiligen Gastspiele­n habe sie sich nicht leisten können.

Die Zuneigung zu den Heftchen hat sie sich bewahrt. Als sie mit ihrem Mann in Verona Georges Bizets Oper „Carmen“besuchte, war davor wieder das Reclam-Heft erste Wahl, und nicht die Recherche bei Google. Zudem haben die Bändchen für sie noch einen ganz praktische­n Wert: „Den Heftchen tut das eine oder andere Eselsohr nicht weh.“

● Auch Leiterin des Kulturamts Bobingen, hat mit den schmucklos­en, aber preisgünst­igen gelben Heftchen den Zugang zu den Klassikern der Weltlitera­tur erlebt. „Die Bändchen waren monatelang Klassenlek­türe“, erinnert sie sich. Dabei sei ihr vor allem Goethes Tragödie „Faust“bleibend haften geblieben. Und hier speziell Gretchens Zitat: „Heinrich! Mir graut’s vor dir.“„Dieser Ausspruch wurde in der Pubertät ein geflügelte­s Wort von mir“, so Morhard. Während der Schulzeit waren ihr die Heftchen in der Ausstattun­g zwar „nicht unsympathi­sch“. Dennoch haben sie einen „negativen Touch“gehabt, gesteht sie. „Die Gelben waren im Unterricht immer mit Aufwand, Arbeit, Mühe und Abfragen verbunden.“Mittlerwei­le steht bei ihr keines mehr im Regal.

● Auch Leiter der Leonhard-Wagner-Realschule in Schwabmünc­hen, hatte seinen ersten Kontakt zu einer Reclam-Lektüre in der Schulzeit. „Es war 1980 in der achten Klasse“, erzählt er, „Wir haben damals ,Bahnwärter Thiel‘ von Gerhart Hauptmann gelesen.“Der schaurige Inhalt dieser Geschichte sei ihm noch heute präsent. „Später kamen dann die Klassiker wie Fontanes ,Effie Briest‘, Schillers ,Räuber‘ oder Goethes ,Iphigenie‘ dazu. Bestimmt wichtige Werke der Literatur, aber so gepackt wie Hauptmanns ,Bahnwärter Thiel‘ haben mich diese Werke nicht mehr.“Hängen geblieben sei ihm, dass Reclam-Lektüren sehr handlich, gelb und erschwingl­ich waren.

● Für den Schwabmünc­hner Buchhändle­r sind die Reclam-Heftchen ein kleiner Ausflug in die Vergangenh­eit. Die Langeweile im Schulunter­richt weckte jedoch seine Kreativitä­t. Dazu lud der Freiraum auf dem Umschlag ein. „Er hat sich wunderbar für Verzierung­en, Zeichnunge­n und Notizen geeignet.“Dort seien zuweilen kleine Kunstwerke entstanden. Aus heutiger Buchhändle­r-Sicht sehe er die Heftchen natürlich positiver. „Sie weisen ein handliches Format und einen günstigen Preis auf“, stellt Grünthaler fest. Aktuell sei Johann Wolfgang von Goethes „Faust I“nach wie vor ein beliebter Kaufklassi­ker.

● Schlechter­e Karten haben die Reclam-Hefte heute bei Lesern in der Stadtbüche­rei Königsbrun­n, so Mitarbeite­rin Sie seien kaum gefragt. „Zu meinen Schulzeite­n standen sie in der Buchhandlu­ng Bändchen an Bändchen, ein Regal voller gelber Bücher.“Sie selbst bevorzuge inzwischen lieber gebundene Werke zum Schmökern.

● Pädagoge und Literat

aus Horgau, der zu Vorträgen in der ganzen Region unterwegs ist, denkt an einen Verlag, der sich treu geblieben ist in seiner schmalen, schmucklos­en Form: „Wer Reclam kauft, dem geht es um die Sache als solche.“Zudem handele es sich um Taschenbüc­her, „die auch tatsächlic­h in die Tasche passen“, schmunzelt er. In seinem Regal stünden Reclam-Bände in dreistelli­ger Stückzahl. Denn, so sagt er: „Reclam geht weit über den Schulhoriz­ont hinaus.“

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Foto: Siegfried P. Rupprecht Für Ursula Paun aus Langenneuf­nach waren und sind die gelben Reclam Bändchen wichtige Informatio­nsquellen für ihre Thea terbesuche.

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