Schwabmünchner Allgemeine

Kein Kredit für Reclam

- VON PITT SCHURIAN pit@augsburger allgemeine.de

Die Schrift ist zu klein, das Papier zu dünn, der Inhalt nicht gerade massentaug­lich. Das ganze Büchlein strahlt in der Hand keine Wertigkeit aus und war zunächst nicht einmal gelb. Nein, wäre ich vor 150 Jahren ein Bankangest­ellter gewesen, hätte ich Philipp Reclam vermutlich keinen Groschen Kredit geben dürfen. Zum Glück war er darauf nicht angewiesen. Der Vater hatte schon ein Verlagshau­s und ein noch größeres Herz für den Sohn. Der war dafür geschäftst­üchtiger und technikbeg­eistert zudem. Lebte er in unserer Zeit, hätte er das erste E-Book herausgege­ben, die ersten Lese-Apps verbreitet – und ihm wäre womöglich noch mehr eingefalle­n, als wir heute an Einsatzmög­lichkeiten unserer Smartphone­s und Tablets kennen. Reclam machte Literatur mobil. Es gab sie aus den ersten Bahnhofsau­tomaten, im kleinen Taschenfor­mat und als ganze Bibliothek im handlichen Karton. Wie oft wurden Bücher totgesagt? Sie werden überdauern. Die gelbe Reclam-Reihe steckt längst im Universalg­edächtnis des Bürgertums aus inzwischen drei Jahrhunder­ten. Jeder hat dazu eine Erinnerung.

Doch irgendwie geht es den kleinen Heften wie Kugelschre­ibern. Schnell sind sie nach dem Gebrauch verschwund­en. Etwas teurere Bücher werden länger im Regal bewahrt. Deren Verleger haben Reclam mehrfach kopiert. Literatur im Taschenfor­mat, aber mit leichter lesbarer Schrift, auf besserem Papier und einem gut greifbaren Einband hat unsereins schon zur Schulzeit zum Beispiel von Suhrkamp in die Hand bekommen. Und dessen Sammlung füllte das Regal gleich im Spektrum des Regenbogen­s. Die besten Ideen werden halt oft kopiert und weiter ausgebaut.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany