Die Frage der Woche Läden auf an Heiligabend?
Diejenigen, die dagegen wettern, die Läden an Heiligabend zu öffnen, sind wahrscheinlich alle supergut organisiert und haben sämtliche Weihnachtsgeschenke spätestens Anfang Dezember liebevoll eingepackt unterm Bett liegen. Doch die Menschen sind erstens verschieden und zweitens Gewohnheitstiere. Das heißt: Wer in der Vergangenheit am 24. Dezember noch Einkäufe erledigen musste, muss das möglicherweise auch in diesem Jahr tun. Warum also für noch mehr Stress sorgen, wenn sich – geöffneten Geschäften sei Dank – Streit unterm Baum verhindern lässt?
Denn, so bedauernswert man diese Entwicklung auch finden mag, Weihnachten ist längst nicht mehr nur das Fest der Liebe, sondern auch eine Konsum-Orgie ohnegleichen. Da müssen auch am 24. Dezember noch Geschenke besorgt werden. Besinnlichkeit? Fehlanzeige.
Für viele Menschen ist der Morgen des
24. Dezember sowieso alles andere als besinnlich. Das Programm ist vollgepackt. Kochen, putzen, Geschenke einpacken, die verbleibenden Stunden bis zur Ankunft der Schwiegereltern zählen. Die Uhr tickt, Weihnachten soll schließlich perfekt werden! Ein Drama, wenn dann etwas fehlt und wegen geschlossener Läden nicht besorgt werden kann.
Übrigens: Wer sich an der vormittäglichen Einkaufshektik am
24. Dezember stört, der tut das höchstwahrscheinlich nicht nur in diesem Jahr, wo Heiligabend auf einen Sonntag fällt, sondern auch in allen anderen Jahren. Ein Tipp für mehr Seelenheil: Dinge hinnehmen, die man nicht ändern kann, und sich vom Auslöser des Missmuts fernhalten. Sprich: an Heiligabend die Einkaufsmeilen meiden und die weihnachtliche Vorfreude bewusst daheim genießen oder bei einem Waldspaziergang. Ist sowieso viel gesünder als der ganze Stress rund ums Fest.
Die schönste Zeit an Heiligabend ist immer das Ruhigwerden am Nachmittag, wenn die letzten Zuckungen und Besorgungen der Vorweihnachtshektik versickern und plötzlich diese Ruhe in den Dämmerlicht-Straßen wirkt. Eine Stille, die ausholt wie sonst nie im Jahr. Als hätte jemand den großen Ausschalter gedrückt. Dieses Geschenk soll es also nun gar nicht geben, weil der Sonntag ja sowieso ein entschleunigter Tag ist? Unbekannte Dramaturgie für den Heiligen Abend: Einer ohne Parkplatzsucher und ohne Auf-denletzten-Drücker-Kolonnen, ein
Tag im Sonntagsgewand. Auch gut.
Denn eigentlich geht es hier gar nicht um die eine Ausnahme für Leute, die Wochen vorher schon wissen, dass sie zu spät dran sein werden mit ihrem Konsumgehechel. Es geht um die grundsätzliche Frage, ob wir die Errungenschaft des stillen Sonntags für was auch immer aufgeben sollen. Auf dass auch dieser Tag gleichgeschaltet aussieht und sich anfühlt wie Montag, Mittwoch oder sonst ein Ladentag, geprägt von Job, Konsum und Bezahlen. Fußgängerzonen, in denen sich wattierte Jacken aneinander reiben und Hände, die Tüten tragen. Und sag jetzt bloß keiner, Internet und die Tankstellen hätten ja auch immer offen. Das prägt kein Straßenbild. Denn es geht ja nicht gegen Kaufgelüste, auch nicht um Pädagogik und Zwangsbeglückung des Volkes durch Entzug. Wer nicht kapiert, dass das „Nicht“ein Ideal ist (nicht erreichbar, nicht verplant, nicht im Werktagmodus, nicht anschaffend), dem ist eh nicht zu helfen. Aber die kulturelle, auch gesellschaftliche Errungenschaft eines langweiligen, ruhigen, widerständigen Tages, an dem die Orte ausatmen und in Schaufenstern sich spiegeln können, ist unbedingt schützenswert. Immer. Zur Not eben auch an Heiligabend.