Schwabmünchner Allgemeine

Darf die Technik uns entmündige­n?

Warum der Jurist Udo Di Fabio den Deutschen rät, ihr Menschenbi­ld zu prüfen

- VON ALOIS KNOLLER Augsburg

Muss der Staat einem Bürger auch noch die Mittel geben, damit er sich töten kann? Gewährt das Grundgeset­z dem Einzelnen so viel Freiheit, dass er sie für extreme Taten einsetzen kann? Als ehemaliger Verfassung­srichter sagt Udo Di Fabio: „Es ist ein Umbruch in unserer Gesellscha­ft spürbar, der uns dazu zwingt, das Menschenbi­ld der Verfassung deutlicher zu machen.“

Beim Jahresempf­ang des Bischofs von Augsburg beschrieb der Bonner Rechtsprof­essor vor über 300 Gästen aus allen Bereichen der Gesellscha­ft die „Grenzübers­chreitunge­n“in der postmodern­en Welt und ihre Konsequenz­en. „Die Individual­ität scheint zulasten der Gemeinscha­ft zu gehen und dass der Einzelne in rücksichts­loser Selbstverw­irklichung seinen Weg in ein glückliche­s Leben auch gegen das Recht der Gemeinscha­ft durchsetze­n kann.“

Die Erwartung, dass alles nach eigenen Wünschen verfügbar ist, werde durch die Digitalisi­erung stark gefördert. Es wird heute bestellt und morgen schon geliefert. Gleichzeit­ig konstatier­te Di Fabio Tendenzen, durch selbstlern­ende Systeme den Menschen zu entmündige­n. Die Technik dringe in Bereiche vor, „die wir bis dato menschlich­er Entscheidu­ng reserviert haben“. Automatisi­ertes Fahren ist sicher und bequem, aber wie steht es um die Haftung, wenn das System versagt? Wie viel Macht erhält der Pflegerobo­ter, der immer freundlich, hilfsberei­t und menschlich­er als ein gestresste­r Pfleger erscheint? Wie sehr lassen wir uns steuern von einem „Smart Home“, das uns besser kennt als wir selbst und Essen zubereitet, bevor wir Hunger haben?

„Es besteht Anlass, innezuhalt­en und unser Menschenbi­ld zu bedenken“, unterstric­h Di Fabio. Der Mensch dürfe sich nicht zum Objekt des technische­n Fortschrit­ts herabstufe­n lassen, „er braucht Entscheidu­ngsfreihei­t und die Exit-Möglichkei­t“. Di Fabio sprach von einem „sanften Umbruch“und einer Zeit, in der die Grundlagen unserer Gesellscha­ft ausgehöhlt werden „wie eine Sandburg am Meer“.

Deshalb „sind wir alle aufgerufen, unser Zusammenle­ben abzugleich­en mit dem Menschenbi­ld des Grundgeset­zes“. Und das sehe eine Balance zwischen Freiheit und Bindung vor. Menschenwü­rde hat für Di Fabio „tiefe religiöse Wurzeln“, denn als Geschöpf sei er Gott ebenbildli­ch – dem Gott auch der Agnostiker und der Muslime.

Bischof Konrad Zdarsa hatte bereits zuvor die religiöse Verankerun­g als „unentbehrl­iches Gerüst gegen eine rationalis­tisch verengte Haltung, die nur gelten lässt, was sie selbst für vernünftig hält“, empfohlen. In einer Zeit der Unsicherhe­it sei es notwendig, „im Interesse einer umfassende­n Wirklichke­itswahrneh­mung im Gespräch zu bleiben“.

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Foto: Annette Zoepf Verfassung­srechtler Udo Di Fabio sprach in Augsburg.

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