Das neue MAN Kraftpaket für die Meere
Die Sparte Diesel & Turbo hat einen sparsameren Schiffsmotor entwickelt. Dass er gut ankommt, ist wichtig für die Zukunft des Werks und 4000 Arbeitsplätze in der Region
Den Moment, wenn ein Motor zum ersten Mal zündet, vergleicht Ingenieur Thomas Kremser mit der Geburtsstunde eines Menschen. Mit dem ersten Atemzug. Das neue Mitglied der Großmotoren-Familie von MAN Diesel & Turbo erlebte diesen Augenblick im März 2016. Die erste Zündung fand auf dem Prüfstand in einer der Backstein-Hallen statt, hier, auf dem Werksgelände im Norden der Stadt. Die Spannung war groß. Denn der Motor mit dem Kürzel 45/60CR steht für eine neue Produktgeneration bei einem der wichtigsten Augsburger Arbeitgeber. Auf der Neuentwicklung ruhen große Hoffnungen.
„Die erste Zündung ist immer ein spannender Moment“, sagt Thomas Kremser. Der groß gewachsene Ingenieur ist der Leiter des Prototypen-Versuchs am Standort Augsburg. Rudolf Diesel zündete seinen ersten Dieselmotor nur wenige Meter entfernt in der gleichen Halle. Dieses Jahr ist dies 125 Jahre her. Das neue „Baby“von MAN ist allerdings ungleich schwerer als Diesels erster Motor.
Der „Neue“ist noch immer auf dem Prüfstand zu besichtigen. Wer das Aggregat in der Halle sieht, kann erahnen, welche Energie es freisetzen kann. Der Besucher blickt auf 238 Tonnen Stahl und Guss. Die Maschine überragt die Größe eines Lastwagens. Sie ist über elf Meter lang, über vier Meter breit und mehr als fünf Meter hoch. Damit die Ingenieure nah genug herankommen, führt eine Balustrade ringsherum. Hinter sicherem Glas können die Ingenieure zudem Kühlwasser-, Öl- und Abgastemperaturen, die Drehzahl und andere Werte mehr ablesen.
Die Tests laufen seit mehreren Monaten. „Sicherheit hat bei uns oberste Priorität“, sagt Versuchsleiter Kremser. Schließlich kommt die Maschine in Schiffen zum Einsatz. „Wenn man auf hoher See ist, wenn fünf Tage Wasser vor einem liegen und fünf Tage Wasser hinter einem, wenn Windstärke elf herrscht, dann darf nichts stehen bleiben“, beschreibt es der Ingenieur.
Der neue Motor hat die Tests offenbar gut gemeistert. Denn die monatelange Testphase ist bald zu Ende. Lange ließ MAN von dem Projekt nicht viel nach außen dringen. Kürzlich zeigte das Unternehmen aber seine Neuentwicklung der Öffentlichkeit. Rund 100 MANKunden aus der ganzen Welt waren eingeladen, einen ersten Blick auf die Maschine zu werfen.
Wer sich für das neue Motorenfamilienmitglied interessiert, hört viel Begeisterung bei den Mitarbeitern. Das gilt auch für Sokrates Tolgos, der den Vertrieb im Bereich Fähren und Kreuzfahrtschiffe leitet. „Dies ist der leistungsstärkste Viertaktmotor, den es weltweit gibt“, sagt er. Der Zwölf-Zylinder-Motor auf dem Prüfstand leistet 15 600 Kilowatt, das entspricht der Leistung von 183 handelsüblichen VW Golf. „Wir haben den Motor von null auf neu entwickelt“, erklärt Tolgos. „Es ist eines unserer Kernprodukte für die nächsten 20 Jahre.“Doch der Die- selmotor steht auch in der Kritik. Das gilt seit der VW-Abgasaffäre nicht nur für Autos.
Auch über die Abgase von Kreuzfahrtschiffen und Frachtern gibt es kritische Berichte. Vertriebschef Tolgos aber ist überzeugt, dass der neue Motor einen Beitrag für die Umwelt leistet: „Wir stoßen in eine neue Liga vor, was die Effizienz betrifft“, sagt er. Der Verbrauch liege vier bis sechs Prozent unter dem Vorgängermodell. Das schlage sich 1:1 in einem niedrigeren Ausstoß des Treibhausgases CO2 nieder. Gegen Stickoxide habe MAN einen Katalysator entwickelt, gegen Schwefeloxide helfe eine AbgasNachbehandlung. „Wir können mit dem Motor mit der entsprechenden Nachbehandlung der Abgase alle geltenden und künftigen Emissionsvorschriften einhalten“, sagt Tolgos. MAN setzt sich für die Energiewende auf See ein. Tolgos ist aber auch überzeugt, dass viele Schiffe noch auf Jahre mit Flüssigtreibstoffen fahren werden.
Als weiterer Entwicklungsschritt sind noch sauberere Versionen des
neuen Motors vorgesehen. Die Neuentwicklung ist Basis einer ganzen Modellfamilie. Geplant ist als Nächstes eine sogenannte „Dual Fuel“-Variante. Der Motor kann dann mit Öl, aber auch mit Gas laufen, das bessere Abgaswerte hat.
Tolgos rechnet damit, dass die in Augsburg gebauten Motoren vor allem Kreuzfahrtschiffe und große Fähren, aber auch Flüssiggas-Tanker und Schwimmbagger antreiben werden. Im französischen Saint-Nazaire baut MAN zudem die größeren Varianten mit bis zu 20 Zylindern. Sie sollen in Kraftwerken zum Einsatz kommen.
Noch muss der neue Motor für den Einsatz auf Schiffen zertifiziert werden, dann könnte MAN Diesel & Turbo den ersten Marineauftrag bearbeiten. Der erste Motor könnte dann 2020 ausgeliefert werden, sagt Tolgos.
Die neue Generation Großmotoren aus Augsburg soll dann weitere Jahrzehnte Schiffe auf den Weltmeeren sowie Kraftwerksanlagen antreiben. Und in Augsburg viele der derzeit über 4000 Arbeitsplätze im Werk sichern.
„Es ist unser Kernprodukt für die nächsten 20 Jahre.“Sokrates Tolgos, MAN Diesel & Turbo