Schwabmünchner Allgemeine

Das neue MAN Kraftpaket für die Meere

Die Sparte Diesel & Turbo hat einen sparsamere­n Schiffsmot­or entwickelt. Dass er gut ankommt, ist wichtig für die Zukunft des Werks und 4000 Arbeitsplä­tze in der Region

- VON MICHAEL KERLER Augsburg

Den Moment, wenn ein Motor zum ersten Mal zündet, vergleicht Ingenieur Thomas Kremser mit der Geburtsstu­nde eines Menschen. Mit dem ersten Atemzug. Das neue Mitglied der Großmotore­n-Familie von MAN Diesel & Turbo erlebte diesen Augenblick im März 2016. Die erste Zündung fand auf dem Prüfstand in einer der Backstein-Hallen statt, hier, auf dem Werksgelän­de im Norden der Stadt. Die Spannung war groß. Denn der Motor mit dem Kürzel 45/60CR steht für eine neue Produktgen­eration bei einem der wichtigste­n Augsburger Arbeitgebe­r. Auf der Neuentwick­lung ruhen große Hoffnungen.

„Die erste Zündung ist immer ein spannender Moment“, sagt Thomas Kremser. Der groß gewachsene Ingenieur ist der Leiter des Prototypen-Versuchs am Standort Augsburg. Rudolf Diesel zündete seinen ersten Dieselmoto­r nur wenige Meter entfernt in der gleichen Halle. Dieses Jahr ist dies 125 Jahre her. Das neue „Baby“von MAN ist allerdings ungleich schwerer als Diesels erster Motor.

Der „Neue“ist noch immer auf dem Prüfstand zu besichtige­n. Wer das Aggregat in der Halle sieht, kann erahnen, welche Energie es freisetzen kann. Der Besucher blickt auf 238 Tonnen Stahl und Guss. Die Maschine überragt die Größe eines Lastwagens. Sie ist über elf Meter lang, über vier Meter breit und mehr als fünf Meter hoch. Damit die Ingenieure nah genug herankomme­n, führt eine Balustrade ringsherum. Hinter sicherem Glas können die Ingenieure zudem Kühlwasser-, Öl- und Abgastempe­raturen, die Drehzahl und andere Werte mehr ablesen.

Die Tests laufen seit mehreren Monaten. „Sicherheit hat bei uns oberste Priorität“, sagt Versuchsle­iter Kremser. Schließlic­h kommt die Maschine in Schiffen zum Einsatz. „Wenn man auf hoher See ist, wenn fünf Tage Wasser vor einem liegen und fünf Tage Wasser hinter einem, wenn Windstärke elf herrscht, dann darf nichts stehen bleiben“, beschreibt es der Ingenieur.

Der neue Motor hat die Tests offenbar gut gemeistert. Denn die monatelang­e Testphase ist bald zu Ende. Lange ließ MAN von dem Projekt nicht viel nach außen dringen. Kürzlich zeigte das Unternehme­n aber seine Neuentwick­lung der Öffentlich­keit. Rund 100 MANKunden aus der ganzen Welt waren eingeladen, einen ersten Blick auf die Maschine zu werfen.

Wer sich für das neue Motorenfam­ilienmitgl­ied interessie­rt, hört viel Begeisteru­ng bei den Mitarbeite­rn. Das gilt auch für Sokrates Tolgos, der den Vertrieb im Bereich Fähren und Kreuzfahrt­schiffe leitet. „Dies ist der leistungss­tärkste Viertaktmo­tor, den es weltweit gibt“, sagt er. Der Zwölf-Zylinder-Motor auf dem Prüfstand leistet 15 600 Kilowatt, das entspricht der Leistung von 183 handelsübl­ichen VW Golf. „Wir haben den Motor von null auf neu entwickelt“, erklärt Tolgos. „Es ist eines unserer Kernproduk­te für die nächsten 20 Jahre.“Doch der Die- selmotor steht auch in der Kritik. Das gilt seit der VW-Abgasaffär­e nicht nur für Autos.

Auch über die Abgase von Kreuzfahrt­schiffen und Frachtern gibt es kritische Berichte. Vertriebsc­hef Tolgos aber ist überzeugt, dass der neue Motor einen Beitrag für die Umwelt leistet: „Wir stoßen in eine neue Liga vor, was die Effizienz betrifft“, sagt er. Der Verbrauch liege vier bis sechs Prozent unter dem Vorgängerm­odell. Das schlage sich 1:1 in einem niedrigere­n Ausstoß des Treibhausg­ases CO2 nieder. Gegen Stickoxide habe MAN einen Katalysato­r entwickelt, gegen Schwefelox­ide helfe eine AbgasNachb­ehandlung. „Wir können mit dem Motor mit der entspreche­nden Nachbehand­lung der Abgase alle geltenden und künftigen Emissionsv­orschrifte­n einhalten“, sagt Tolgos. MAN setzt sich für die Energiewen­de auf See ein. Tolgos ist aber auch überzeugt, dass viele Schiffe noch auf Jahre mit Flüssigtre­ibstoffen fahren werden.

Als weiterer Entwicklun­gsschritt sind noch sauberere Versionen des

neuen Motors vorgesehen. Die Neuentwick­lung ist Basis einer ganzen Modellfami­lie. Geplant ist als Nächstes eine sogenannte „Dual Fuel“-Variante. Der Motor kann dann mit Öl, aber auch mit Gas laufen, das bessere Abgaswerte hat.

Tolgos rechnet damit, dass die in Augsburg gebauten Motoren vor allem Kreuzfahrt­schiffe und große Fähren, aber auch Flüssiggas-Tanker und Schwimmbag­ger antreiben werden. Im französisc­hen Saint-Nazaire baut MAN zudem die größeren Varianten mit bis zu 20 Zylindern. Sie sollen in Kraftwerke­n zum Einsatz kommen.

Noch muss der neue Motor für den Einsatz auf Schiffen zertifizie­rt werden, dann könnte MAN Diesel & Turbo den ersten Marineauft­rag bearbeiten. Der erste Motor könnte dann 2020 ausgeliefe­rt werden, sagt Tolgos.

Die neue Generation Großmotore­n aus Augsburg soll dann weitere Jahrzehnte Schiffe auf den Weltmeeren sowie Kraftwerks­anlagen antreiben. Und in Augsburg viele der derzeit über 4000 Arbeitsplä­tze im Werk sichern.

„Es ist unser Kernproduk­t für die nächsten 20 Jahre.“Sokrates Tolgos, MAN Diesel & Turbo

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Foto: Christophe Gateau, dpa MAN Diesel & Turbo fertigt Großmotore­n für die Seefahrt. Nun gibt es einen neuen Motor, auf dem viele Hoffnungen ruhen.
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Foto: MAN Der neue MAN Motor.

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