Vorsicht, Deutschland!
Das kluge Gesellschaftsdrama „Unterleuten“hat der Star-Autorin kürzlich ihren größten Bestseller beschert. Jetzt legt sie nach – mit einem Zukunfts-Thriller über die Krise der Demokratie. Daraus ist was zu lernen
Die Nachricht in Literatur und Leben ist die gleiche: Höchste Zeit, politisch zu werden! Nicht nur die deutsche Star-Autorin Juli Zeh hat sich direkt nach der Bundestagswahl bestürzt geäußert: Wenn reine Angstszenarien bereits zu einem solchen Rechtsruck in Deutschland führen – was passiere dann erst, wenn wirklich mal eine Krise hier ankomme? Zeh ist umgehend öffentlichkeitswirksam in die SPD eingetreten – um sich für Demokratie und das Soziale einzusetzen. Und jetzt liefert sie auch als Roman die Antwort auf ihre düstere Frage. Der Thriller „Leere Herzen“muss als politisch alarmierendes Szenario für unsere unmittelbare Zukunft gelesen werden.
Juli Zeh schreibt das Jahr 2025, das bedingungslose Grundeinkommen ist eingeführt, die Digitalisierung fortgeschritten. Vor allem aber ist nach einer zweiten Wirtschaftskrise Angela Merkel nun tränenreich gescheitert und die Regierung von der „BBB“übernommen worden, von der „Besorgte-Bürger-Bewegung“. Unter der Führung der neuen Kanzlerin namens Regula Freyer vollzieht Deutschland endgültig eine nationalistische Wende, zu der auch eine Wagenknecht als prinzipienharte Innenministerin beiträgt und alle demokratischen Instanzen durch sogenannte „Effizienzpakete“aushöhlt: Ein autoritärer Staat ist ein schlankerer Staat. Es ist zugleich ein Spiegel der internationalen Entwicklungen. Die EU ist nach weiteren Austritten gescheitert, und die Uno steht vor der Auflösung, weil sich die großen Player in schwieriger werdenden Zeiten lieber untereinander einigen, als sich vor einer Weltorganisation verantwortlich zu zeigen. Die Sorge vor den Trumps und Freyers ist weitestgehend verstummt, weil die Mehrheit der noch Wählenden ihnen zustimmt und sich die anderen resigniert von der Demokratie abgewandt haben …
Dies ist der düstere Horizont von „Leere Herzen“. Auch wenn das Buch frappierend schnell auf Juli Zehs letztjährigen Publikumsknüller „Unterleuten“folgt – also auf jene literarisch packende, inhaltlich blitzgescheite Gesellschaftsanalyse, in der ein Streit um den Bau eines Windparks die unterschwellig schwelende Gegenwart der deutschdeutschen Geschichtsgräben aufdeckt –, so ist es sicher mehr der aktuellen politischen Lage geschuldet als dem puren Draufsatteln auf einen Bestseller-Erfolg, den die 43-jährige Autorin jetzt schon wieder liefert.
Ein politischer Kopf war die gebürtige Bonnerin, die seit ihrem Debüt „Adler und Engel“im Jahr 2001 aus der deutschen literarischen Landschaft nicht mehr wegzudenken ist, immer schon. Als studierte Philosophin und examinierte Juristin hat sie immer wieder mit experimentellen Konstruktionen in die Gesellschaft geleuchtet: Hat in „Spieltrieb“die Auflösung der Moral bei Jugendlichen im digitalen Zeitalter untersucht, hat in „Corpus Delicti“den sich womöglich abzeichnenden Wandel zu einer Gesundheitsdiktatur skizziert. Zehs Breitenwirkung wurde immer größer; das Buch „Schilf“geriet bereits zum Kinofilm, „Unterleuten“erscheint sogar als Fernsehserie. Kein Wunder also, dass die aktuellen Geschehnisse Juli Zeh nun zu diesem, ihrem politischsten Roman bislang getrieben haben. In Essays beackert sie das Feld ja ohnehin immer wieder. Jetzt verlangte es sie offenbar nach einer knalligen Inszenierung.
Denn eine knallige Idee hat sie in den Rahmen von „Leere Herzen“gesetzt: Eine Managerin namens Britta Söldner (!) entwickelt mit ihrem computerspezialisierten Partner Babak Hamwi eine dermaßen zynische Geschäftsidee, dass daraus in Zeiten wie diesen nur ein Erfolg werden kann. Nachdem selbst der islamistische Terror immer mehr Probleme bekommen hat, noch überzeugte Selbstmordattentäter zu finden, zugleich aber immer mehr Menschen ohnehin den Suizid wählen, führt ihre Agentur beides zusammen. Sie bietet: 1. ausgewählten Lebensmüden einen furiosen, anscheinend sinnvollen Abgang, 2. für Organisationen aller möglichen Separatisten bis hin zu radikalen Umweltaktivisten einen zuverlässig buchbaren Anschlagsservice, 3. gezielten, professionellen Terror ohne Zivilbevölkerungsopfer als Dienst an der Gesellschaft.
Ein Thriller wird daraus, weil sich zu Brittas und Babaks Unternehmen plötzlich Konkurrenz anbahnt. Deren Typen, markiert durch die titelgebende Tätowierung „Empty Hearts“(„Leere Herzen“), einem im Jahr 2025 aktuellen Pop-Hit, sind nicht so pragmatisch und zynisch wie die Terror-Dienstleister, sondern explizit politisch. Aber für oder gegen die BBB? Und wenn gegen die demokratiezersetzenden Populisten: Könnte man das dann als moralisch nützlichen, also als irgendwie positiven Terror ansehen?
Ein sehr gewagtes Spiel, das Juli Zeh treibt – und haushoch verliert. Für eine bloß symbolisch drohende Gesellschafts-Utopie knüpft sie das Ganze einerseits viel zu unmittelbar an unseren heutigen Alltag. Für eine plausible Fortführung andererseits kippt ihr Szenario allzu deutlich ins Bizarre, Absurde, ja Alberne, jedenfalls Unglaubwürdige. Sie erweist ihrem Anliegen, vor den möglichen Folgen der aktuellen realen Entwicklungen durch eine literarische Vision zu warnen, einen Bärendienst. Denn Hysterie und Klischee vereinen sich – ähnlich wie bei dem Amerikaner Dave Eggers mit seiner drohenden Internet-Vision „The Circle“– zu einem solch kruden Oberflächen-Spektakel, dass die tatsächlichen Probleme darin unerkennbar bleiben. Als rein literarisches Experiment scheitert Juli Zeh wie Eggers daran, dass ihre Charaktere bloße Schachfiguren in einem ideologischen Konstrukt bleiben. Bei „Unterleuten“hatte Juli Zeh das durch den steten Perspektivwechsel zwischen Beteiligten aufzubrechen verstanden – hier dagegen bleibt alles
Wagenknecht ist jetzt die Innenministerin der Bundesrepublik
Wie eine Projektion aus dem linksliberalen Kopfkino
bei zudem achtlos hingeworfen wirkenden Formulierungen fadenscheinig, konstruiert, leblos.
Gleichwohl ist es ein interessantes Scheitern. Gerade das politisch Engagierte kann den versierten Autor in seiner Kunst unfruchtbar werden lassen. Zwar ist jeder Negativ-Entwurf für die Zukunft, ist jede Dystopie auf eine eskalierende Spiegelung der gegenwärtigen Verhältnisse angewiesen – aber umso mehr muss diese Schilderung durch literarische Qualität für die mögliche Wahrheit dieses Lebens sorgen.
Ansonsten droht im Roman wie in der wirklichen politischen Auseinandersetzung als Wirkung: das Gegenteil der beabsichtigten Warnung. Derlei Untergangsszenarien sind allzu leicht als ängstliche Projektionen aus dem linksliberalen Kopfkino abzutun. Und das betrifft nun ausgerechnet die sonst so kluge Juli Zeh. Schade. Dass es an der Zeit ist, politisch zu werden, ist doch wirklich eine wichtige Botschaft.
Verlag Luchterhand Mün chen, 352 Seiten, 20 Euro