Schwabmünchner Allgemeine

IS Unterstütz­er muss nicht ins Gefängnis

Ein Schüler aus Kissing hat für Terroriste­n im sozialen Netzwerk Facebook Profile angelegt. Die Staatsanwa­ltschaft forderte deshalb Haft. Wie sich der junge Mann radikalisi­erte – und warum ihm die Richter noch eine Chance geben

- VON JÖRG HEINZLE München/Kissing »Kommentar

Er trägt ein weißes Hemd und Jeans. Sein Gesicht verbirgt Berat N.*, 22, hinter einer Aktenmappe. So lange, bis der Kameramann eines Fernsehsen­ders den Gerichtssa­al verlassen hat. Seine Wangen sind rot gefleckt. Berat N. ist nervös. Er wartet auf das Urteil. Es geht für ihn an diesem Mittwochvo­rmittag um viel. Weil er ein Anhänger der Terrororga­nisation IS war, will ihn die Staatsanwa­ltschaft für dreieinhal­b Jahre ins Gefängnis schicken. Um kurz nach 10 Uhr fällt die Anspannung von ihm ab. Er lächelt zum ersten Mal an diesem Tag. Er bleibt in Freiheit.

Die Richter des 8. Strafsenat­s am Oberlandes­gericht München geben dem jungen Mann aus der Gemeinde Kissing noch eine Chance. Sie verurteile­n ihn zu einer Haftstrafe von einem Jahr – auf Bewährung. Zudem muss Berat N. regelmäßig ein Beratungsg­espräch mit Islamismus­Fachleuten führen und 60 Stunden soziale Arbeit leisten. Der türkisch- stämmige Angeklagte hatte über das Internet Kontakt mit deutschen Islamisten aufgenomme­n, die in Syrien und im Irak für den sogenannte­n Islamische­n Staat – kurz IS – kämpften. Der Schüler half mehreren IS-Kämpfern dabei, neue Nutzerprof­ile im sozialen Netzwerk Facebook anzulegen. Das Netzwerk sperrte offenbar mehrfach die Profile der Terroriste­n, weil sie dort für den IS warben. Das Gericht bewertet das als „Unterstütz­ung einer terroristi­schen Vereinigun­g“.

Berat N. tauschte sich auch über den Nachrichte­ndienst Whatsapp mit den IS-Kämpfern aus. Einem der Islamisten schickte er ein Foto zu, das zeigt, wie ein jordanisch­er Soldat in einen Käfig gesperrt und verbrannt wird. Im sozialen Netzwerk Facebook verbreitet­e er ein Video einer Enthauptun­g. Zu sehen ist ein IS-Terrorist, der einem Soldaten mit einem Messer den Kopf abschneide­t. Berat N. kommentier­te das unter anderem mit den Worten: „Kopf ab, mein Freund“. All das spielte sich im Zeitraum von Ende 2014 bis Anfang 2015 ab. Im Februar 2015 konfrontie­rten ihn Ermittler der Kripo mit den Vorwürfen. Er legte danach schnell ein Geständnis ab. Heute betont er, dass er mit dem IS nichts mehr zu tun haben wolle. Für sein Verhalten damals schäme er sich.

Die Richter nahmen dem 22-Jährigen diese Reue ab. Der Vorsitzend­e Richter Reinhold Baier sagte, Berat N. habe sich in dem mehrtägige­n Prozess „glaubwürdi­g vom IS distanzier­t“. Das Gericht sei auch überzeugt davon, dass er in Zukunft ein „rechtschaf­fenes“Leben führen werde. Die Richter gehen davon aus, dass sich der zur Tatzeit 19-Jährige in einer Lebenskris­e befand, als er sich dem Islamische­n Staat zuwandte. Er schaffte den Sprung an die Fachobersc­hule nicht. Dadurch platzte sein Traum, Luftund Raumfahrti­ngenieur zu werden. Inzwischen hat er dieses Tief überwunden. Berat N. absolviert jetzt eine Ausbildung. Die Noten sind gut, die Berufsschu­le lobt sein Verhalten. Der Fall zeigt allerdings, wie rasch sich Menschen über das Internet radikalisi­eren können.

Berat N. war damals entsetzt über die Giftgasang­riffe des syrischen Regimes auf die Bevölkerun­g. Aus Wut darüber beschäftig­te er sich mit dem IS. Und bald schon nahm er Kontakte zu Kämpfern auf. Er wurde auch in eine Whatsapp-Gruppe aufgenomme­n, in der sich deutsche Islamisten über eine Ausreise nach Syrien austauscht­en. Berat N. sagt, er habe sich aber gegen eine Ausreise entscheide­n, weil er seine Familie nicht damit belasten wollte.

Die Eltern des jungen Mannes sind laut Urteil gläubige Muslime. Radikale Strömungen und den IS lehnen sie aber entschiede­n ab. Berat N. hat mehrere Jahre in einem Wohnheim für muslimisch­e Schüler in München gelebt. Das Heim wird vom Verband der islamische­n Kulturzent­ren betrieben. Das Gericht geht davon aus, dass er sich dort nicht radikalisi­ert hat. Das sei erst danach geschehen, als er das Heim wegen des Scheiterns an der Fachobersc­hule verließ und in Augsburg ein Berufsförd­erzentrum besuchte. Die Freunde aus dem Heim fehlten ihm und er begann, sich verstärkt mit dem Internet zu beschäftig­en.

Mit dem Urteil folgte das Gericht dem Appell des Verteidige­rs Hermann Christoph Kühn, der dafür plädiert hatte, Berat N. nicht zu inhaftiere­n. Das würde die großen Fortschrit­te, die der Angeklagte gemacht habe, nur gefährden, argumentie­rte der Anwalt. Verurteilt wurde Berat N. nach Jugendstra­frecht, weil er zur Tatzeit jünger als 21 war und nach Ansicht der Richter noch das Leben eines Jugendlich­en führte. Berat N. nahm das Urteil noch im Gerichtssa­al an. Die für Terrorverf­ahren zuständige Generalsta­atsanwalts­chaft ließ zunächst offen, ob sie das Urteil anfechten wird. *Name geändert

„Der Angeklagte hat sich glaubwürdi­g vom IS distanzier­t.“Richter Reinhold Baier

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