Mordversuch aus Wahnvorstellungen?
Ein heute 30-Jähriger wollte im März einen Reisenden im Hauptbahnhof vor einen fahrenden Zug stoßen. Nun wird der Fall vor dem Landgericht verhandelt. Der Angeklagte berichtet über massive psychische Probleme
Am Augsburger Hauptbahnhof hat im März ein Mann versucht, einen Reisenden vor einen einfahrenden ICE zu stoßen. Die Polizei konnte wenig später im Rahmen einer Großfahndung den Tatverdächtigen noch in Bahnhofsnähe festnehmen. Der von einem Gutachter untersuchte 30-Jährige ist psychisch krank, er leidet an Wahnvorstellungen. Seit Donnerstag steht der Italiener, der in Augsburg aufgewachsen ist, vor dem Landgericht. Die Staatsanwaltschaft hat die Tat als Mordversuch angeklagt.
Die Schwurgerichtskammer hatte zum Prozessauftakt viele Zeugen geladen. Als einer der Ersten sagte das Opfer aus. Der 33 Jahre alte Student will an dem Sonntagvormittag nach Berlin. Der schlaksige Mann sieht am Gleis 3 dem einfahrenden ICE entgegen. Mitreisende werden Augenzeuge, wie ein hinter ihm stehender Mann zwei Schritte Anlauf nimmt und ihm dann mit beiden Händen einen kräftigen Stoß versetzt. Der Berliner kann den Stoß mit kleinen Schritten nach vorne abfangen. Er ist schwer beladen, trägt zwei Rucksäcke und einen Gitarrenkasten. Sein Gewicht hat ihn mögli- cherweise davor bewahrt, ins Gleisbett zu stürzen.
Der ICE war zu dem Zeitpunkt nur noch zwei Meter entfernt. Selbst bei einer Schnellbremsung wäre der Zug etwa 100 Meter weiter gerollt, gab der Lokführer später zu Protokoll. Er hat den Mann am Bahnsteig taumeln sehen.
Das Opfer war nach dem Zwischenfall mit dem ICE losgefahren. In Nürnberg holten ihn dann Polizisten aus dem Zug, um ihn zu vernehmen. Kollegen in Augsburg haben zu diesem Zeitpunkt den Tatverdächtigen bereits festgenommen. Eine Augenzeugin hat die Polizei per Notruf alarmiert. „Zehn Minuten später hatten wir den Bahnhof komplett abgesperrt“, berichtet der Einsatzleiter. Der gesamte Bahnverkehr ruhte. Polizisten durchsuchten zwei stehende Züge nach dem Tatverdächtigen. Dank einer guten Personenbeschreibung konnte der 30-Jährige in einer Bäckerei nahe der Pferseer Unterführung festgenommen werden.
Der Angeklagte (Verteidiger: Marco Müller) erzählte vor Gericht sehr anschaulich über seine Krankheit. Wie er angab, hatte er sich immer öfter von Salafisten verfolgt gefühlt. Seinen Eltern und seiner Schwester war seine Wesensveränderung nicht verborgen geblieben. Als Zeugen geladen berichteten sie, wie sie den 30-Jährigen, um ihn und andere zu schützen, einmal in seiner Wohnung einsperrten. Was unzulässig ist: Beamte einer Streife, die er telefonisch zu Hilfe rief, befreiten ihn aus seinem „Gefängnis“.
Fünf Tage vor der Tat hatte sich der Angeklagte auf Drängen seiner Angehörigen in die Augsburger Psychiatrie einweisen lassen. Doch auch in der Klinik vermutet er Salafisten, hat Angst, verlässt die Klinik noch am selben Tag. Angst, die ihn wieder befällt, als er den 33-Jährigen sieht. Dieser trägt da noch einen langen Bart, erinnert den Angeklagten an Salafisten. Der sagt: „Im Rucksack habe ich Waffen vermutet. Ich dachte, wenn er in den gleichen Zug steigt, könnte er mich und andere töten.“Der Prozess wird heute fortgesetzt.