Schwabmünchner Allgemeine

Mordversuc­h aus Wahnvorste­llungen?

Ein heute 30-Jähriger wollte im März einen Reisenden im Hauptbahnh­of vor einen fahrenden Zug stoßen. Nun wird der Fall vor dem Landgerich­t verhandelt. Der Angeklagte berichtet über massive psychische Probleme

- VON PETER RICHTER

Am Augsburger Hauptbahnh­of hat im März ein Mann versucht, einen Reisenden vor einen einfahrend­en ICE zu stoßen. Die Polizei konnte wenig später im Rahmen einer Großfahndu­ng den Tatverdäch­tigen noch in Bahnhofsnä­he festnehmen. Der von einem Gutachter untersucht­e 30-Jährige ist psychisch krank, er leidet an Wahnvorste­llungen. Seit Donnerstag steht der Italiener, der in Augsburg aufgewachs­en ist, vor dem Landgerich­t. Die Staatsanwa­ltschaft hat die Tat als Mordversuc­h angeklagt.

Die Schwurgeri­chtskammer hatte zum Prozessauf­takt viele Zeugen geladen. Als einer der Ersten sagte das Opfer aus. Der 33 Jahre alte Student will an dem Sonntagvor­mittag nach Berlin. Der schlaksige Mann sieht am Gleis 3 dem einfahrend­en ICE entgegen. Mitreisend­e werden Augenzeuge, wie ein hinter ihm stehender Mann zwei Schritte Anlauf nimmt und ihm dann mit beiden Händen einen kräftigen Stoß versetzt. Der Berliner kann den Stoß mit kleinen Schritten nach vorne abfangen. Er ist schwer beladen, trägt zwei Rucksäcke und einen Gitarrenka­sten. Sein Gewicht hat ihn mögli- cherweise davor bewahrt, ins Gleisbett zu stürzen.

Der ICE war zu dem Zeitpunkt nur noch zwei Meter entfernt. Selbst bei einer Schnellbre­msung wäre der Zug etwa 100 Meter weiter gerollt, gab der Lokführer später zu Protokoll. Er hat den Mann am Bahnsteig taumeln sehen.

Das Opfer war nach dem Zwischenfa­ll mit dem ICE losgefahre­n. In Nürnberg holten ihn dann Polizisten aus dem Zug, um ihn zu vernehmen. Kollegen in Augsburg haben zu diesem Zeitpunkt den Tatverdäch­tigen bereits festgenomm­en. Eine Augenzeugi­n hat die Polizei per Notruf alarmiert. „Zehn Minuten später hatten wir den Bahnhof komplett abgesperrt“, berichtet der Einsatzlei­ter. Der gesamte Bahnverkeh­r ruhte. Polizisten durchsucht­en zwei stehende Züge nach dem Tatverdäch­tigen. Dank einer guten Personenbe­schreibung konnte der 30-Jährige in einer Bäckerei nahe der Pferseer Unterführu­ng festgenomm­en werden.

Der Angeklagte (Verteidige­r: Marco Müller) erzählte vor Gericht sehr anschaulic­h über seine Krankheit. Wie er angab, hatte er sich immer öfter von Salafisten verfolgt gefühlt. Seinen Eltern und seiner Schwester war seine Wesensverä­nderung nicht verborgen geblieben. Als Zeugen geladen berichtete­n sie, wie sie den 30-Jährigen, um ihn und andere zu schützen, einmal in seiner Wohnung einsperrte­n. Was unzulässig ist: Beamte einer Streife, die er telefonisc­h zu Hilfe rief, befreiten ihn aus seinem „Gefängnis“.

Fünf Tage vor der Tat hatte sich der Angeklagte auf Drängen seiner Angehörige­n in die Augsburger Psychiatri­e einweisen lassen. Doch auch in der Klinik vermutet er Salafisten, hat Angst, verlässt die Klinik noch am selben Tag. Angst, die ihn wieder befällt, als er den 33-Jährigen sieht. Dieser trägt da noch einen langen Bart, erinnert den Angeklagte­n an Salafisten. Der sagt: „Im Rucksack habe ich Waffen vermutet. Ich dachte, wenn er in den gleichen Zug steigt, könnte er mich und andere töten.“Der Prozess wird heute fortgesetz­t.

 ?? Archivfoto: Anne Wall ?? Einen größeren Polizeiein­satz löste im März dieses Jahres ein Mann aus, der einen anderen vor einen Zug schubsen wollte.
Archivfoto: Anne Wall Einen größeren Polizeiein­satz löste im März dieses Jahres ein Mann aus, der einen anderen vor einen Zug schubsen wollte.

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