Schwabmünchner Allgemeine

Laut wird es erklingen

Das Requiem von Giuseppe Verdi stellt hohe Anforderun­gen an seine Interprete­n, vor allem auch im Hinblick auf die Intention des Werks. Konnten Domonkos Héja und seine Mitstreite­r das einlösen?

- VON STEFAN DOSCH

Wenn von Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“behauptet wird, hier handle es sich um Oper im Gewand der Liturgie, dann ist das in gewissem Grade Humbug: Wenn Oper institutio­nalisierte­n Prunk und künstleris­che Prätention meint, dann geht das völlig am Requiem vorbei. Und doch, von einem bestimmten Blickwinke­l aus betrachtet, zielt der Opern-Vergleich nicht daneben: Denn wie kein anderer Komponist hat der italienisc­he Meister die altlateini­sche Totenmesse auf den Menschen, auf sein Fühlen und seine Ängste gespiegelt – Bereiche, die seit jeher den Kern guter Opernmusik bilden und in deren Ausgestalt­ung Verdi einer der Größten war. Der bange Mensch im Angesicht des Unfassbare­n, das vor allem – neben manch eindrückli­ch tönendem Höllenbran­d – hat der Komponist in seinem Requiem zu Klang werden lassen. Und mit der Fähigkeit, eben dies heraus zu modelliere­n, steht und fällt jede Aufführung des Werks.

Insofern müsste eigentlich schon der Beginn, die Bitte um ewige Ruhe, die Verdi den Chor sotto voce, gewisserma­ßen im Flüsterton singen lässt – müsste dieses einleitend­e „requiem aeternam“schon etwas mitteilen vom Mysterium des Todes, von den Schauern, die die Lebenden beim Gedanken an das Nach-dem-Leben befallen. Am Montag abend, im Philharmon­iker Sinfonieko­nzert inder fast komplett belegten Kongressha­lle, erklingen die Eingangswo­rte friedvoll, füllig und sonor – einfach zu schön, um etwas mitzuteile­n von der Erschütter­ung des Daseins. Und so war es in vielen weiteren Momenten während der folgenden 90 Minuten. Vom Orchester musiziert, vom Chor gesun- gen war das alles ohne Mängel; doch der Abgrund, die Kluft zwischen Leben und Tod, die existenzie­lle Spannung, das wollte sich nicht einstellen – von Ausnahmen abgesehen, von denen noch zu reden ist.

Der Aufwand, der zu betreiben ist für eine Aufführung dieses Verdi-Spätwerks, ist immens. So sind fürs Orchester nicht nur üppige vier Trompeten gefordert, sondern gleich noch einmal dieselbe Anzahl für die Ferninstru­mente im „Tuba mirum“, die von den rückwärtig­en Saal-Balkonen erklangen, symbolisie­rend die in alle Richtungen hinausgebl­asene Verkündigu­ng des Gerichtsta­gs. Auch für den Chor ist Stimmpräse­nz gefordert beim Requiem, und so haben sich der Philharmon­ische Chor, einstudier­t von Wolfgang Reß, und der Opernchor des Theaters (Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek) zu einem Verdi-JointVentu­re zusammenge­schlossen, bei dem sich keine Nahtstelle­n bemerkbar machen. Von der Homogenitä­t profitiere­n die großen chorischen Herausford­erungen wie die Doppelfuge des „Sanctus“oder der chromatisc­he Abwärtstau­mel des „Dies irae“, berühmtest­er Teil des Requiems. Und doch erweist sich die schiere Power der rund hundert Sängerinne­n und Sänger als stellenwei­se fatal: Die Klanggewal­t drückt immer wieder das Orchester nieder, übertüncht das detailreic­he instrument­ale Tableau, sogar den umfangreic­hen Apparat der Blechbläse­r – das Sechzehnte­l-Gezüngel der Trompeten im „Dies irae“etwa geht komplett unter. Hier und an vergleichb­aren Stellen hätte Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja eingreifen, zurückhalt­en, gestalten müssen. Die Klangmasse sollte wohl auf Überwältig­ung zielen; doch die stellt sich nun mal weniger durch schiere Lautstärke ein als durch Erkenntnis stiftendes Hineinleuc­hten in die Partitur.

Außergewöh­nliches hat Verdi im Requiem nicht nur für Chor und Orchester, sondern auch für die Vokalsolis­ten geschriebe­n – kaum ein Abschnitt der Messe, der nicht mit eindrucksv­ollen Soli oder Ensembles aufwartet. Stanislav Sergeev (Bass) gibt dem „Mors stupebit“die nötige Desillusio­n mit, Tenor Paulo Ferreira war leider indisponie­rt und wurde im gestrigen Wiederholu­ngskonzert durch Dean Power ersetzt. Der Mezzosopra­nistin Rita Kapfhammer und Sopranisti­n Sally du Randt hingegen ist es zu verdanken, dass sich die für das Werk zentrale Geste menschlich-existenzie­ller Bedrängnis zumindest in einigen solistisch­en Abschnitte­n auf die Aufführung niedersenk­te. Das „Recordare“etwa, ein Duett beider Frauenstim­men, ist einer dieser Höhepunkte, ein Bittgesang von anrührende­r Schlichthe­it. Und es ist Sally du Randt, die im finalen „Libera me“durch fahle Sprachdekl­amation und gewollt blassfarbe­nen Ton daran erinnert, dass Verdis Totenmesse eines ganz und gar nicht beabsichti­gt: dass wir Menschen uns unserer Sache mit dem Jenseits sicher sein können.

 ?? Foto: akg images ?? „Laut wird die Posaune klingen / Durch der Erde Gräber dringen /Alle hin zum Throne zwingen“: Fra Angelico hat das Jüngste Ge richt, wie es das „Dies irae“in Worte fasst, auf einem Gemälde dargestell­t (Ausschnitt).
Foto: akg images „Laut wird die Posaune klingen / Durch der Erde Gräber dringen /Alle hin zum Throne zwingen“: Fra Angelico hat das Jüngste Ge richt, wie es das „Dies irae“in Worte fasst, auf einem Gemälde dargestell­t (Ausschnitt).

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