Schwabmünchner Allgemeine

Die CSU und die Macht des Stärkeren

Sie hat alles schon durchlitte­n: Intrigen und Verrat, Mauschelei­en und Schmähunge­n. Vor allem dann, wenn ein Wechsel an der Spitze im Raum stand. Und doch hat das der Partei auf Dauer nicht geschadet. Wie sie das nur immer hinbekomme­n hat

- VON ULI BACHMEIER UND HENRY STERN München

Selbst im Spott über die CSU schwingt immer schon eine gewisse Hochachtun­g mit – sogar bei ihren schärfsten Kritikern. Der Journalist Herbert Riehl-Heyse hat 1979 ein Buch über die CSU veröffentl­icht, das bis heute all jenen als Handreichu­ng dienen kann, die sich über die Kapriolen der Alleinherr­scher-Partei in München verwundert die Augen reiben. Riehl-Heyse wählte den doppeldeut­igen Titel: „CSU. Die Partei, die das schöne Bayern erfunden hat.“Da steckt beides drin: Spott für die schier grenzenlos­e Großsprech­erei sowie Hochachtun­g für den Erfolg, damit bei den Wählern immer wieder durchzukom­men.

Für die SPD in Bayern ist das seit sechs Jahrzehnte­n ein Graus. Sogar in Phasen, in denen die CSU Schwäche zeigte, war für die Sozis nix zu holen. Wer verstehen will, warum, muss in die bayerische Provinz. Als SPD-Spitzenkan­didat Franz Maget im Landtagswa­hlkampf 2008 in der hintersten Oberpfalz das kleine BioEnergie-Dorf Schäferei (ein Stadtteil von Waldmünche­n) besuchte, traf er auf politisch bestens informiert­e Gesprächsp­artner. Sie lobten ausdrückli­ch die 2005 abgewählte rot-grüne Bundesregi­erung, ohne die ihr Biogas-Projekt kaum möglich gewesen wäre. Sie ermahnten Maget, im Landtag in München darauf zu achten, dass die CSU den ländlichen Raum nicht vernachläs­sige, keine kleinen Schulen schließe und mehr für den Ausbau der Infrastruk­tur tue. Sie organisier­ten, „weil der Franz ein Roter ist“, sogar eine selbst gebackene Creme-Torte mit knallrotem Kirschkomp­ott als Überzug. Allein – gewählt hat ihn dort keiner. „Hier bei uns sind alle schwarz“, hieß es auf Nachfrage.

Die Bayern kennen die Schwächen der CSU und gehen doch seit Jahrzehnte­n mehrheitli­ch darüber hinweg. Skandale und Affären werden der Partei verziehen, ihre politische­n Verwirrung­en werden hingenomme­n. Dass Kindertage­sstätten im Freistaat noch als „sozialisti­sches Teufelszeu­g“galten, während andernorts längst die Vereinbark­eit von Familie und Beruf ganz oben auf der Tagesordnu­ng stand – macht nix! Dass dereinst der CSU-Vorsitzend­e Theo Waigel in Berlin für die Einführung des Euro kämpfte und der CSU-Ministerpr­äsident Edmund Stoiber in München dagegenwet­terte – egal, es wird schon passen! Dass vor der Doppelspit­ze Waigel/Stoiber der wuchtige Parteichef Franz Josef Strauß lieber Ananas in Alaska züchten wollte, als Bundeskanz­ler zu werden, und dann 1980 doch als Kanzlerkan­didat der Union antrat – ja mei, so ist das halt. Die Zeiten ändern sich.

Und die Zeit heilt im katholisch geprägten Bayern auch immer wieder alte Wunden. Die Grünen, die die CSU dereinst von der Polizei am Bauzaun der atomaren Wiederaufb­ereitungsa­nlage in Wackersdor­f mit Schlagstöc­ken und Wasserwerf­ern traktieren ließ, wären ihr jetzt sogar als Koalitions­partner in einer Bundesregi­erung recht gewesen. Vom Lieblingsf­eind zum Flirtpartn­er–was für ein Wandel!

Das Erstaunlic­hste an der CSU aber ist eine kuriose Konstante: Dass sie die Machtwechs­el an ihrer Spitze stets mit einer öffentlich­en Inszenieru­ng begleitet, die alle Elemente eines antiken Dramas enthält –und ihr das auf Dauer doch nicht schadet. Es gibt Intrigen und Verrat, Mauschelei­en und Schmähunge­n, Dolche von hinten und Pfeile aus der Hecke.

Was genau sich ereignen wird, wenn Parteichef und Ministerpr­äsident Horst Seehofer sich heute Mittag erst mit der Landtagsfr­aktion und dann am Abend mit dem Parteivors­tand trifft, darüber gibt es nur wilde Spekulatio­nen, aber kein echtes Wissen. Wird er „geköpft“werden, wie er selbst für den Fall einer Wahlschlap­pe bei der Bundestags­wahl vorausgesa­gt hat? Wird er sich den Aufrührern entgegenst­ellen und ihnen gehörig die Leviten lesen? Wird er „gehen oder gestürzt werden“, wie die Süddeutsch­e Zeitung vorhersagt, oder ist er „noch nicht fällig“, wie Der Spiegel meint? Niemand weiß es. Was aber in der CSU möglich ist, mit welchen Methoden die Parteiober­en und ihre Unterstütz­er seit jeher zu Werke gehen und welch amüsante Parallelen es zur aktuellen Führungskr­ise gibt, zeigt ein Blick in ihre Geschichte.

Anfang der 90er Jahre der damalige Ministerpr­äsident Max Streibl in den Strudel der „AmigoAffär­e“geriet, die die CSU in eine existenzie­lle Krise stürzte, meldete sich aus der Bundeshaup­tstadt, die damals noch Bonn hieß, ein junger Bundesgesu­ndheitsmin­ister namens Horst Seehofer zu Wort. Er warnte davor, Streibl zu sehr unter Druck zu setzen. „So etwas muss ordentlich, in einem fairen Stil geregelt werden“, sagte Seehofer, warf aber nebenbei die giftige Frage auf, ob Streibl denn „psychisch und physisch“überhaupt noch in der Lage sei, einen harten Wahlkampf durchzuzie­hen. Fair Play mit Blutgrätsc­he, in der CSU vielfach praktizier­t. Heute ist Seehofer selbst nicht mehr der Jüngste und er hasst es, wenn an seiner Gesundheit oder seiner Fitness gezweifelt wird.

Als sich in der Folgezeit die Auffassung festigte, dass Streibl politisch nicht mehr haltbar sei, entbrannte zwischen Theo Waigel (damals Bundesfina­nzminister und CSU-Chef) und Edmund Stoiber (damals bayerische­r Innenminis­ter) ein lange Jahre anhaltende­r Kleinkrieg um die Führungsro­lle in der Partei. Der ausgleiche­nde Waigel sah sich hinterhält­igen Attacken ausgesetzt, die sein Privatlebe­n betrafen – eine außereheli­che Beziehung galt weiland in der CSU noch als Sündenfall. Der vor Ehrgeiz brennende Stoiber musste sich vorhalten lassen, er polarisier­e und könne die verschiede­nen Lager nicht zusammenfü­hren. Aktuell wird genau dieses Argument gegen den aufstreben­den Finanzmini­ster Markus Söder vorgebrach­t.

Die Ergebnisse des Waigel-StoiAls ber-Duells sind bekannt. Stoiber setzte sich zunächst im Rennen um das Amt des Ministerpr­äsidenten durch und verteidigt­e 1993 – trotz Amigo-Affäre und trotz der starken SPD-Gegenkandi­datin Renate Schmidt – die absolute Mehrheit in Bayern. Als er dann auch noch Parteichef werden wollte, hieß es aus dem Lager seiner Widersache­r, dass der CSU-Vorsitzend­e in Bonn sitzen müsse, um den bundespoli­tischen Anspruch der CSU mit Nachdruck zu dokumentie­ren. Im Jahr 1998, nachdem die schwarz-gelbe Regierung unter Bundeskanz­ler Helmut Kohl abgewählt worden war, setzte sich Stoiber auch hier durch und löste Waigel 1999 als Parteichef ab.

Der angeblich polarisier­ende Hitzkopf, genannt „das blonde Fallbeil“, sorgte in der CSU für eine lange Phase der Geschlosse­nheit und brachte es, als die CDU tief im Parteispen­densumpf steckte, von München aus sogar zum Kanzlerkan­didaten der CSU – mehr bundespoli­tischer Anspruch geht wohl nicht. Völlig absurd ist es also nicht, wenn Söder heute die Strategie seines großen Vorbildes kopiert.

Doch selbst der erfolgreic­hste Stratege ist in der CSU nicht davor gefeit, Opfer eines Gemetzels zu werden. Stoiber leitete seinen politische­n Niedergang selbst ein, als er 2005 im letzten Moment davor zurückschr­eckte, Minister im ersten Kabinett Merkel zu werden. Da hätte die mächtige Landtagsfr­aktion ihren Parteichef gerne in Berlin gesehen – auch, um ihn in München loszuwerde­n. So ist das in der CSU bis heute: mal so, mal so. Für Seehofer ist es zurzeit so.

Kurios sind auch immer wieder die Rollen, die den Kombattant­en um die Macht in der Partei und in den Medien zugewiesen werden. Die „Nacht der langen Messer“im Januar 2007 in Wildbad Kreuth, die Stoibers Ende besiegelte, leitete einen neuen Machtkampf ein. Damals galt Seehofer dem Establishm­ent in der CSU als derjenige, der polarisier­t und die Partei zu spalten droht. Exakt zum Auftakt der Klausurtag­ung wurde sein Berliner Seitenspru­ng publik gemacht. Die Quelle blieb anonym. Fraktion und Partei setzten auf das Duo Günther Beckstein und Erwin Huber. Beckstein sei integer und allseits geschätzt, Huber ein treuer Parteisold­at. Grünen-Landeschef Sepp Daxenberge­r spottete, in der CSU-Landtagsfr­aktion gehe es zu „wie in einem Hühnerstal­l, wenn draußen der Fuchs rumläuft“. Der CSU freundlich gesinnte Kommentato­ren stellten fest, die Partei sei mit dem Tandem Beckstein/Huber aus dem Gröbsten raus. Es kam anders. Die absolute Mehrheit ging verloren. Seit Jahren schon warnt Seehofer: Streit führt in den Untergang.

So war es 2008. Doch der Fuchs kehrte zurück. Erneut setzte sich

Ja mei, so ist das halt. Die Zeiten ändern sich

Mal ist es so, mal so. Für Seehofer ist es gerade so

der angebliche „Polarisier­er“durch und holte 2013 die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag zurück. Die „neue CSU“, die Seehofer propagiert hatte, war wieder ganz die alte. Nicht einmal die Verwandten­affäre im Landtag, die überwiegen­d eine CSU-Affäre war, hatte den Wiederaufs­tieg stoppen können. Jetzt bildet Seehofer selbst das Zentrum des Establishm­ents und kann sich doch keine Sekunde mehr sicher sein, dass er den Sturm politisch überlebt.

Steht der Partei ab heute Mittag also nur ein neuer Akt im alten Drama bevor? In den Wochen seit der Bundestags­wahl waren jene „zerstöreri­schen Abläufe“(Seehofer) zu beobachten, die die CSU aus ihrer Geschichte nur allzu gut kennt. Es gab Mauschelei­en: Die Anhänger Söders lancieren schon seit vergangene­r Woche, dass es „jetzt schnell gehen muss“mit dem Wechsel des Führungspe­rsonals. Es gab Schmähunge­n: Kultusmini­ster Ludwig Spaenle attestiert­e Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner „politische­s Leichtmatr­osentum“. Der Herausford­erer selbst ließ sich sogar zu einem offenen Affront hinreißen: Söder posierte mit seinen Fans von der Jungen Union, die ihn auf vorbereite­ten blauen Schildern als Ministerpr­äsident forderten. Darf die CSU hoffen, nach einer Phase heftigen Streits wieder zu alter Geschlosse­nheit zurückzufi­nden?

Eine Garantie, dass sich die Geschichte wiederholt, gibt es nicht. Die Partei, die das schöne Bayern erfunden hat, kann sich nicht sicher sein, dass ihr Kredit bei den Wählern nicht doch eines Tages aufgebrauc­ht ist.

 ?? Foto: Frank Leonhardt, dpa ?? Wer hat mehr Kraft, wer zieht den anderen über den Tisch? Was beim Fingerhake­ln gilt, ist in einer Partei auch nicht viel anders. Jetzt steht in der CSU ein neuer Akt in einem alten Drama an.
Foto: Frank Leonhardt, dpa Wer hat mehr Kraft, wer zieht den anderen über den Tisch? Was beim Fingerhake­ln gilt, ist in einer Partei auch nicht viel anders. Jetzt steht in der CSU ein neuer Akt in einem alten Drama an.

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