Schwabmünchner Allgemeine

Die Stunde des Staatsober­hauptes

Nach den gescheiter­ten Sondierung­en liegt das Schicksal von Angela Merkel in den Händen von Frank-Walter Steinmeier. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Bei der Wahl 2009 wollte er sie ablösen

- VON MARTIN FERBER Berlin

Alle Augen sind in diesen Tagen auf ihn gerichtet. Nicht das wuchtige Kanzleramt, sondern das idyllische Schloss Bellevue am Rande des Tiergarten­s ist seit Montag das eigentlich­e Zentrum der Macht. Als erster Bundespräs­ident in der fast 70-jährigen Geschichte der Bundesrepu­blik steht Frank-Walter Steinmeier vor der schwierige­n Aufgabe, die Bildung einer Bundesregi­erung herbeiführ­en zu müssen.

Denn nach dem Grundgeset­z ist nun er der Herr des Verfahrens. Er allein bestimmt, wen er dem Bundestag als Kanzlerkan­didaten vorschlägt, wann er dies tut und ob er nach einem dritten Wahlgang entweder eine Regierung ohne Mehrheit im Parlament akzeptiert oder Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen ausruft. Damit liegen nicht nur das weitere Schicksal von Bundeskanz­lerin Angela Merkel, sondern auch die Zukunft der Republik und die langfristi­ge Entwicklun­g des Parteiensy­stems in seinen Händen. In jedem Falle betritt er Neuland, es gibt keinen Präzedenzf­all.

Eine Aufgabe, die wie maßgeschne­idert scheint für den früheren Chef-Diplomaten Frank-Walter Steinmeier, der am 12. Februar nach einer quälend langen Kandidaten­suche mit den Stimmen von CDU, CSU und SPD als Nachfolger von Joachim Gauck in das höchste Staatsamt gewählt worden ist. An Erfahrung mit schwierige­n Verhandlun­gen, komplizier­ten Verhältnis­sen und selbstbewu­ssten Politikern mangelt es dem früheren Außenminis­ter der Großen Koalitione­n von 2005 bis 2009 und 2013 bis 2017 nicht. An Geduld, Bedächtigk­eit und diplomatis­chem Geschick ebenfalls nicht.

In Bellevue geben sich die Parteivors­itzenden die Klinke in die Hand. Nachdem er am Montag mit Angela Merkel gesprochen hatte, traf er sich am Dienstag mit den Chefs der FDP und der Grünen, Christian Lindner, Cem Özdemir und Simone Peter, sowie gestern mit CSU-Chef Horst Seehofer, den Präsidente­n des Bundesverf­assungsger­ichts und des Bundesrats, Andreas Voßkuhle und Michael Müller. Heute schließlic­h empfängt er SPDChef Martin Schulz sowie Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble.

Zudem bat er auch darum, die Protokolle der Sondierung­sgespräche einsehen zu dürfen – ein ungewöhnli­ches Ansinnen, dem gleichwohl entsproche­n wurde. Steinmeier, heißt es in seinem Umfeld, wolle sich umfassend informiere­n und ausführlic­h beraten, bevor er entscheide. Daher will er in der kommenden Woche auch Gespräche mit den Vorsitzend­en aller im Bundestag vertretene­n Fraktionen führen, auch von AfD und Linksparte­i.

Ein Minimum an konkreter Macht, aber ein Maximum an Autorität – Frank-Walter Steinmeier steht wie seine Amtsvorgän­ger vor dem Dilemma, dass seine Möglichkei­ten äußerst begrenzt sind. Er hat nur die Macht des Wortes. Doch sein öffentlich­er Appell in der Schlusspha­se der Sondierung­en, in denen er die Parteien an ihre Verantwort­ung erinnerte, verhallte ungehört. Auch im Gespräch mit den Parteichef­s kann er nicht mehr als mahnen, werben und bitten. So machte FDP-Chef Lindner schon klar, dass es mit ihm keine Neuverhand­lungen für eine Jamaika-Koalition geben wird.

Große Hoffnungen setzt man in Berlin auf das heutige Treffen des Sozialdemo­kraten Steinmeier, dessen SPD-Mitgliedsc­haft seit seiner Wahl zum Bundespräs­identen ruht, mit SPD-Chef Martin Schulz. Der Präsident, einst engster Mitarbeite­r von Kanzler Gerhard Schröder, Kanzleramt­sminister in Zeiten der rot-grünen Koalition sowie SPDFraktio­nschef von 2009 bis 2013, kennt seine SPD bestens und weiß um die Stimmung in der Partei. Er hat genau registrier­t, dass der Druck auf Schulz enorm zunimmt, sich nicht länger zu verweigern.

Gerade als langjährig­er Außenminis­ter weiß Frank-Walter Steinmeier wie kein anderer, wie wichtig eine handlungsf­ähige Regierung ist, die Deutschlan­ds Verantwort­ung in Europa und der Welt gerecht wird. Nicht zuletzt ist ihm aus eigener Erfahrung in Erinnerung, zu welchen Verwerfung­en vorgezogen­e Neuwahlen führen können. 2005, nach der Niederlage bei der Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen, ließ sich Bundeskanz­ler Gerhard Schröder vom Bundestag das Vertrauen entziehen, Bundespräs­ident Horst Köhler löste daraufhin das Parlament auf.

Die Folgen sind bekannt: RotGrün verlor die Wahl, Angela Merkel wurde Bundeskanz­lerin und vier Jahre später scheiterte Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkan­didat gegen Merkel. Insofern entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass nun ausgerechn­et Steinmeier als Staatsober­haupt über das Schicksal Merkels entscheide­t. Ihr politische­s Überleben liegt in seiner Hand.

Die Parteivors­itzenden werden ins Schloss zitiert

 ?? Foto: John Macdougall, afp ?? Kaum Macht, aber doch Autorität: Mit großem Ernst drängt Bundespräs­ident Frank Walter Steinmeier auf die Bildung einer Regierung.
Foto: John Macdougall, afp Kaum Macht, aber doch Autorität: Mit großem Ernst drängt Bundespräs­ident Frank Walter Steinmeier auf die Bildung einer Regierung.

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