Ein Geschenk für Autor und Leser
Die Lesung mit Hans-Ulrich Treichel bildet einen stilvollen Abschluss für die Königsbrunner Stadtbuch-Aktion
„Es ist heute wie Weihnachten für uns“, sagte Marion Kehlenbach, Leiterin des Königsbrunner Literaturkreises am Mittwochabend in der Stadtbücherei Königsbrunn: „Man weiß natürlich, dass dieser Tag kommt, aber wenn er dann da ist, ist es doch ganz plötzlich.“Dieser Tag – damit meinte sie den Abschluss des Projekts „Königsbrunn liest ein Buch“, welcher durch eine Lesung des Stadtbuchautoren Hans-Ulrich Treichel gekrönt wurde.
Treichels Erzählung „Tagesanbruch“wurde in der Stadtbücherei 170-mal ausgeliehen und in einigen Veranstaltungen vorgelesen, diskutiert und interpretiert. Außerdem hatten die Bürger die Möglichkeit, das Buch auf Feedbackkarten zu bewerten. Für Treichel ein Geschenk an einen Autor. Als ein Präsent an die Leser konnte die Veranstaltung allerdings ebenso empfunden werden, da der Schriftsteller nicht nur von seinem Weg zum Schreiben, sondern auch zu seinen Schreibintentionen reichlich erzählte.
Bereits während des Germanistikstudiums kreativ zu schreiben war laut Treichel in den 70er und 80er Jahren noch unüblich, weswegen er erst später damit begann. Dann aber auch nicht mit Erzählungen und Romanen, sondern zunächst mit Lyrik. Der Weg zur Prosa war für ihn der, dass es Dinge gibt, die nicht in Gedichten unterzubringen sind. Diese Dinge können – wie in „Tagesanbruch“– Themen wie Familie und Vertreibung aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten sein. Aber inspiriert habe ihn durchaus auch Italien – denn von dort stammte eine Jugendliebe – oder auch das Studentenleben in Berlin.
Was alle diese Themen gemeinsam haben ist die Tatsache, dass Treichels Lebenserfahrungen in jedem Titel mitzuschwingen scheinen. In „Tagesanbruch“, sowie seinem dritten Roman „Der Verlorene“, steht das Thema Vertreibung im Vordergrund, denn Treichel selbst wuchs als Sohn von Vertriebenen auf. In „Tagesanbruch“geht es um das Grundproblem des Totschweigens von ungeklärten Sorgen. Und dabei ist Treichels Familie wohl nicht die einzige, die ihre Kriegserlebnisse nur in Fragmenten mit ihren Kindern teilten oder gar nicht über sie sprachen.
„Der Verlorene“wird noch eine Stufe biografischer: Eine Mutter gibt ihr Baby auf der Flucht aus Angst vor russischen Soldaten in die Hände einer fremden Frau, und versucht, es nach dem Kriegsgeschehen wiederzufinden. Auch Treichel hat einen im Krieg verloren gegangenen Bruder, der, anders als im Roman, jedoch nicht wiedergefunden werden konnte. Treichel selbst durchsuchte die Akten und stieß auf ein Findelkind, bei dem sich seine Eltern stets sicher waren, es wäre ihr Sohn gewesen – bei einem DNS-Test in den 90ern wurde jedoch das Gegenteil bewiesen.
Trotz aller Hoffnungslosigkeit und Schmerzhaftigkeit, die in beiden Erzählungen das Geschehen überschatten könnten, entschied sich Treichel für eine klare Sprache, ohne emotionale Trübung, die das Geschehen prägnant darstellt und vielleicht gerade deshalb ein schwieriges Thema so greifbar schildert.