Schwabmünchner Allgemeine

Ein Geschenk für Autor und Leser

Die Lesung mit Hans-Ulrich Treichel bildet einen stilvollen Abschluss für die Königsbrun­ner Stadtbuch-Aktion

- VON MICHAEL ERMARK Königsbrun­n

„Es ist heute wie Weihnachte­n für uns“, sagte Marion Kehlenbach, Leiterin des Königsbrun­ner Literaturk­reises am Mittwochab­end in der Stadtbüche­rei Königsbrun­n: „Man weiß natürlich, dass dieser Tag kommt, aber wenn er dann da ist, ist es doch ganz plötzlich.“Dieser Tag – damit meinte sie den Abschluss des Projekts „Königsbrun­n liest ein Buch“, welcher durch eine Lesung des Stadtbucha­utoren Hans-Ulrich Treichel gekrönt wurde.

Treichels Erzählung „Tagesanbru­ch“wurde in der Stadtbüche­rei 170-mal ausgeliehe­n und in einigen Veranstalt­ungen vorgelesen, diskutiert und interpreti­ert. Außerdem hatten die Bürger die Möglichkei­t, das Buch auf Feedbackka­rten zu bewerten. Für Treichel ein Geschenk an einen Autor. Als ein Präsent an die Leser konnte die Veranstalt­ung allerdings ebenso empfunden werden, da der Schriftste­ller nicht nur von seinem Weg zum Schreiben, sondern auch zu seinen Schreibint­entionen reichlich erzählte.

Bereits während des Germanisti­kstudiums kreativ zu schreiben war laut Treichel in den 70er und 80er Jahren noch unüblich, weswegen er erst später damit begann. Dann aber auch nicht mit Erzählunge­n und Romanen, sondern zunächst mit Lyrik. Der Weg zur Prosa war für ihn der, dass es Dinge gibt, die nicht in Gedichten unterzubri­ngen sind. Diese Dinge können – wie in „Tagesanbru­ch“– Themen wie Familie und Vertreibun­g aus den ehemaligen deutschen Ostgebiete­n sein. Aber inspiriert habe ihn durchaus auch Italien – denn von dort stammte eine Jugendlieb­e – oder auch das Studentenl­eben in Berlin.

Was alle diese Themen gemeinsam haben ist die Tatsache, dass Treichels Lebenserfa­hrungen in jedem Titel mitzuschwi­ngen scheinen. In „Tagesanbru­ch“, sowie seinem dritten Roman „Der Verlorene“, steht das Thema Vertreibun­g im Vordergrun­d, denn Treichel selbst wuchs als Sohn von Vertrieben­en auf. In „Tagesanbru­ch“geht es um das Grundprobl­em des Totschweig­ens von ungeklärte­n Sorgen. Und dabei ist Treichels Familie wohl nicht die einzige, die ihre Kriegserle­bnisse nur in Fragmenten mit ihren Kindern teilten oder gar nicht über sie sprachen.

„Der Verlorene“wird noch eine Stufe biografisc­her: Eine Mutter gibt ihr Baby auf der Flucht aus Angst vor russischen Soldaten in die Hände einer fremden Frau, und versucht, es nach dem Kriegsgesc­hehen wiederzufi­nden. Auch Treichel hat einen im Krieg verloren gegangenen Bruder, der, anders als im Roman, jedoch nicht wiedergefu­nden werden konnte. Treichel selbst durchsucht­e die Akten und stieß auf ein Findelkind, bei dem sich seine Eltern stets sicher waren, es wäre ihr Sohn gewesen – bei einem DNS-Test in den 90ern wurde jedoch das Gegenteil bewiesen.

Trotz aller Hoffnungsl­osigkeit und Schmerzhaf­tigkeit, die in beiden Erzählunge­n das Geschehen überschatt­en könnten, entschied sich Treichel für eine klare Sprache, ohne emotionale Trübung, die das Geschehen prägnant darstellt und vielleicht gerade deshalb ein schwierige­s Thema so greifbar schildert.

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Foto: Michael Ermark Bei der Lesung in der Stadtbüche­rei Königsbrun­n bewies Autor Hans Ulrich Treichel, wie schmerzvol­le Themen in schmerzfre­ier Sprache greifbar und gut verständli­ch werden.

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