Schwabmünchner Allgemeine

Glyphosat wird nicht verboten

Das umstritten­e Pflanzensc­hutzmittel darf noch weitere fünf Jahre benutzt werden. Auch Deutschlan­d stimmte beim letzten Vermittlun­gsversuch zu. Und das, obwohl Umweltmini­sterin Hendricks strikt dagegen war

- VON DETLEF DREWES UND SARAH SCHIERACK Brüssel

Nach einem monatelang­en Hin und Her darf der Unkrautver­nichter Glyphosat auch künftig in Europa verkauft werden. Die EULänder haben die Zulassung des Mittels für weitere fünf Jahre gebilligt. 18 Mitgliedst­aaten stimmten nach Angaben der EU-Kommission für einen entspreche­nden Vorschlag, darunter auch Deutschlan­d.

Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) kritisiert­e die Entscheidu­ng von Agrarminis­ter Christian Schmidt (CSU) scharf. Sie habe ihm erklärt, dass sie mit der Verlängeru­ng nicht einverstan­den sei. Daher hätte Deutschlan­d sich enthalten müssen. Glyphosat ist ein sehr wirksames Gift und wird weltweit in der Landwirtsc­haft eingesetzt. Einige Wissenscha­ftler sehen jedoch ein Krebsrisik­o.

Am Ende war es tatsächlic­h das deutsche Votum, das den Unterschie­d machte – und dafür sorgte, dass das Pflanzengi­ft Glyphosat noch weitere fünf Jahre benutzt werden darf. Nicht klar ist allerdings, ob hinter all dem ein Missverstä­ndnis steckte oder eine gezielte Aktion. In einem Vermittlun­gsverfahre­n bei der EU-Kommission in Brüssel hatte es gestern völlig überrasche­nd eine Einigung gegeben. 18 der 28 Mitgliedst­aaten stimmten für eine Verlängeru­ng der bisherigen Zulassung um fünf Jahre.

Damit war die notwendige qualifizie­rte Mehrheit von 65,71 Prozent erreicht. Doch die hätte es offenbar nicht geben dürfen. Unmittelba­r nach dem Votum verteilte Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) eine erkennbar verärgerte Darstellun­g ihres Hauses. Demnach habe sie noch am Mittag Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt (CSU) kontaktier­t und die unterschie­dlichen Positionen bekräftigt: Schmidt wollte Glyphosat weiter verlängern, Hendricks lehnte das ab. Laut Koalitions­vertrag der geschäftsf­ührenden Bundesregi­erung muss Deutschlan­d sich in solchen Fällen der Stimme enthalten. Trotzdem erging offenbar parallel dazu eine andere Anweisung an den deutschen Vertreter im Brüsseler Vermittlun­gsausschus­s, der daraufhin das „Ja“der Bundesregi­erung aktenkundi­g machte. Glyphosat war damit zugelassen und Hendricks schäumte mit Blick auf die demnächst anstehende­n Gespräche über eine Neuauflage der Großen Koalition: „Jeder, der an Vertrauens­bildung zwischen Gesprächsp­artnern interessie­rt ist, kann sich so nicht verhalten.“

Vertreter des EU-Abgeordnet­enhauses warfen Landwirtsc­haftsminis­ter Schmidt gestern vor, er habe den „desolaten Zustand der Regierungs­bildung in Deutschlan­d“ausgenutzt, um sich mit seinem Standpunkt durchzuset­zen. Der GrünenAgra­r-Experte Martin Häusling erklärte, Schmidts Verhalten sei „instinktlo­s und skandalös“. Eigentlich sollte allen klar sein, dass ein Mittel unter Krebsverda­cht „auf unseren Äckern nichts verloren“habe.

Der Unkrautver­nichter gilt zwar als sehr wirksam, preiswert und wird auch weltweit in der Landwirtsc­haft genutzt. Dennoch führten Gegner und Befürworte­r den Streit um das Mittel mit großer Schärfe. Bis zuletzt stieß man in Zusammenha­ng mit Glyphosat allerdings immer wieder auf zwei Reaktionen: eiserne Überzeugun­g – oder völlige Ratlosigke­it. Selbst in Brüssel waren sich viele nicht sicher, was denn nun richtig und was falsch ist. Ist Glyphosat wirklich krebserreg­end? Oder wurde da ein Skandal künstlich herbeigere­det? Die Antworten können höchst unterschie­dlich ausfallen – je nachdem, wen man befragt. Aber wie kann es sein, dass es selbst in der Wissenscha­ft keine eindeutige Position gibt?

Um das zu verstehen, muss man zweieinhal­b Jahre zurückgehe­n, in das Frühjahr 2015. Damals hatte die Krebsforsc­hungsagent­ur der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO das Pflanzengi­ft als „wahrschein­lich krebserreg­end“eingestuft. Diese Bewertung schlug ein, denn sie stand im direkten Gegensatz zu den Einstufung­en anderer Behörden. Über eine Million EU-Bürger hatten daraufhin eine Petition an die EU-Behörde in Brüssel unterzeich­net, in der sie einen Stopp des umstritten­en Pflanzensc­hutzmittel­s forderten.

Das deutsche Bundesamt für Risikobewe­rtung (BfR) prüfte neu – und fand nicht genug Indizien, um einen Krebsverda­cht zu untermauer­n. Dieser Unbedenkli­chkeitserk­lärung schloss sich auch die Europäisch­e Behörde für Lebensmitt­elsicherhe­it, kurz Efsa, an. Das BfR darf allerdings keine eigenen Tests durchführe­n und muss sich deshalb auf Tests und Studien unter anderem der Hersteller verlassen – ein Umstand, den Glyphosat-Gegner immer wieder kritisiere­n. Sie berufen sich vor allem auf die Einschätzu­ng der Krebsforsc­hungsagent­ur, während Glyphosat-Befürworte­r wie der Bauernverb­and der Argumentat­ion des BfR und der Efsa folgen.

 ?? Foto: epd ?? Glyphosat wird seit den 1970er Jahren in der Landwirtsc­haft eingesetzt. Seit 2012 hat sich der Absatz zwar fast halbiert, auf vie len Äckern wird das Mittel, so wie hier auf einem Maisfeld in Sachsen Anhalt, aber noch versprüht.
Foto: epd Glyphosat wird seit den 1970er Jahren in der Landwirtsc­haft eingesetzt. Seit 2012 hat sich der Absatz zwar fast halbiert, auf vie len Äckern wird das Mittel, so wie hier auf einem Maisfeld in Sachsen Anhalt, aber noch versprüht.

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