Schwabmünchner Allgemeine

Nur einer muss nicht hinter Gitter

Alle Millionen, die der Insolvenzv­erwalter von der Familie Schlecker bekommen hat, halfen nichts. Das Gericht verurteilt den Vater und die beiden Kinder. Jetzt stehen weitere Prozesse bevor

- Stuttgart

Am Ende verlässt Anton Schlecker die Bühne, wie er sie betrat: dunkel gekleidet, wortlos und durch die Hintertür. Nach fast neun Monaten Prozess hat das Landgerich­t Stuttgart sein Urteil gesprochen. Das Gefängnis bleibt dem einstigen König der Drogeriebr­anche erspart – zwei Jahre Haft auf Bewährung wegen Bankrotts, dazu 54000 Euro Geldstrafe. Seine Kinder trifft es härter – zwei Jahre und neun beziehungs­weise acht Monate Haft für Lars und Meike. Sie müssen also ins Gefängnis. Die Pleite vor Augen, davon sind die Richter überzeugt, hat die Familie Millionen beiseite geschafft, um das Geld vor den Gläubigern in Sicherheit zu bringen. Dass die Strafe für den Firmengrün­der niedriger ausfällt als die für seine Kinder, liegt daran, dass der ihm zuzurechne­nde Schaden in den Augen des Gerichts letztlich viel kleiner ausfällt als in der Anklagesch­rift der Staatsanwä­lte.

Fast sechs Jahre ist die Insolvenz der damals größten Drogerieke­tte Europas inzwischen her, seit März 2017 lief in Stuttgart das Verfahren. Sofern das Urteil Bestand hat, wäre die strafrecht­liche Aufarbeitu­ng damit wohl abgeschlos­sen. Der Schlussstr­ich unter den Fall Schlecker wäre es aber nicht.

Zwar haben die Richter den Niedergang des einst milliarden­schweren Konzerns bis ins kleinste Detail durchleuch­tet, haben Zahlenkolo­nnen, Grafiken und Kontoauszü­ge studiert, Gutachter und Zeugen angehört. Ex-Führungskr­äfte haben geschilder­t, wie Anton Schlecker quasi allein über sein Imperium herrschte, keinen Widerspruc­h duldete, wie selbst Direktoren bis zum bitteren Ende davor scheuten, dem Chef schlechte Nachrichte­n zu überbringe­n.

Zur Wahrheit gehört aber zum Beispiel auch: Schlecker bestand darauf, den Mitarbeite­rn noch Ende 2011 nicht nur pünktlich das Gehalt, sondern auch Weihnachts­geld zu zahlen. Und er wollte – unbeirrt – nicht an ein Ende seines Lebenswerk­s glauben.

Über Stunden hinweg hat Insolvenzv­erwalter Arndt Geiwitz allerdings dargelegt, wie die Rettung scheiterte – und warum. Wie Schlecker mit Tausenden unattrakti­ven Mini-Filialen mehr und mehr Kunden an die Konkurrenz verlor, wie das Geld für ein geplantes Umbaukonze­pt fehlte, wie ein potenziell­er Käufer in letzter Sekunde absprang.

Und über allem schwebten immer die Bilder der „Schlecker-Frauen“. Dramen spielten sich ab, als infolge der Insolvenz 2012 die Läden schlossen und Zehntausen­de ihren Job verloren. Als am Montag die Urteile gesprochen werden, geht ein Raunen durch die Zuschauer.

Schlecker ist dafür verantwort­lich, man kann ihm die Schuld daran geben – das stellt auch das Gericht heraus. Für die Insolvenz an sich schuldig sprechen kann man ihn nicht. „Es ist tragisch, wenn die Firma insolvent geht, aber vorwerfen kann man das strafrecht­lich jedenfalls nicht“, sagt der Vorsitzend­e Richter Roderich Martis in seiner Urteilsbeg­ründung. Eine Insolvenz ist keine Straftat – im Unterschie­d zum Bankrott, der vorliegt, wenn jemand bei drohender oder schon bestehende­r Zahlungsun­fähigkeit Geld beiseite schafft.

Insgesamt gut 14 Millionen Euro haben die Schleckers mittlerwei­le an Geiwitz zurückgeza­hlt, davon zehn Millionen im Rahmen eines Vergleichs, nachdem der Verwalter Vermögensü­bertragung­en angefochte­n hatte. Die vier weiteren Millionen überwiesen sie freiwillig kurz vor dem Ende des Prozesses – als „Schadenswi­edergutmac­hung“, wie Lars Schlecker es ausdrückte. Den strafrecht­lich relevanten Schaden – Verluste aus überhöhten Stundensät­zen für die Firma LDG von Meike und Lars Schlecker, mutmaßlich von Anton Schlecker aktiv weggeschaf­ftes Geld sowie unrechtmäß­ige Gewinnauss­chüttungen an die Kinder – haben sie damit nach Ansicht des Gerichts „deutlich überzahlt“. Die Staatsanwa­ltschaft war von höheren Summen ausgegange­n. Das Gericht rechnete die Vorwürfe vor allem gegen Anton Schlecker am Ende aber deutlich herunter.

Betrachtet man den Fall nicht nur strafrecht­lich, geht es noch um völlig andere Dimensione­n. Gut 22 000 Gläubiger haben Forderunge­n angemeldet, das Volumen liegt bei mehr als einer Milliarde Euro. Einige Hundert Millionen versucht Verwalter Geiwitz mit Kartellkla­gen gegen damalige Lieferante­n einzutreib­en. Wie viel er bekommt und wer dann davon und in welchem Maße profitiert – das ist noch nicht absehbar. Das Urteil des Gerichts ändert daran nicht viel.

Grundsätzl­ich könne es zwar sein, dass sich für Gläubiger aus einem solchen Verfahren noch zivilrecht­liche Ansprüche ergeben, erläutert der Mannheimer Rechtsprof­essor Georg Bitter. „Nur: Diese Gläubiger haben ja ohnehin Ansprüche angemeldet.“

Schlecker war „eingetrage­ner Kaufmann“, haftete also sowieso persönlich mit seinem Vermögen für die Firma. „In der Insolvenz des eingetrage­nen Kaufmanns sehe ich nicht, dass sich daraus noch ein Vorteil ergeben könnte“, meint Bitter.

Schleckers Frau und den Kindern stehen noch Zivilproze­sse ins Haus, in denen andere Insolvenzv­erwalter Ansprüche geltend machen. Der Patriarch selbst hatte im Gericht gesagt, er habe sein gesamtes Vermögen verloren. Was nicht mehr ihm, sondern seiner Frau gehört, kann ihm niemand streitig machen.

 ?? Foto: Kienzle, dpa ?? Das Urteil ist gesprochen; Anton Schlecker (Mitte) kommt mit einer Bewährungs­stra fe davon. Seine Kinder Meike (links) und Lars trifft es härter.
Foto: Kienzle, dpa Das Urteil ist gesprochen; Anton Schlecker (Mitte) kommt mit einer Bewährungs­stra fe davon. Seine Kinder Meike (links) und Lars trifft es härter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany