Schwabmünchner Allgemeine

Wer darf im Notfall entscheide­n?

Im kommenden Jahr tritt eine Gesetzesän­derung in Kraft. Sie besagt: Im medizinisc­hen Ernstfall darf der Partner des Patienten entscheide­n, was passiert. Diese Regel stößt auf Kritik

- VON BERRIT GRÄBER

Sind Sie verheirate­t oder verpartner­t und haben einen anderen Nachnamen als Ihre bessere Hälfte? Dann sind Sie gut beraten, neben den Ausweispap­ieren bald auch noch die Heiratsurk­unde bei sich zu tragen. Ab 2018 bekommen die 17,7 Millionen Ehen und eingetrage­nen Lebensgeme­inschaften in Deutschlan­d ein gegenseiti­ges automatisc­hes Vertretung­srecht für den medizinisc­hen Notfall. Das heißt: Ist der Partner nach einem Unfall, Schlaganfa­ll, Herzinfark­t oder im Koma nicht mehr ansprechba­r, entscheide­t der Gatte über Behandlung­sfragen – wenn keine andere Vollmacht vorliegt. Das hat der Bundestag beschlosse­n. Viele Experten halten die Notvertret­ung für missbrauch­sanfällig. Ihre Kritik: Wie soll der Arzt in der Eile prüfen, ob Paare getrennt leben, im Clinch liegen, überhaupt verheirate­t sind oder einen anderen Menschen bevollmäch­tigt haben?

● Das gilt aktuell „Millionen Menschen gehen wie selbstvers­tändlich davon aus, dass der Ehepartner oder gar die Kinder das Recht dazu haben, im Notfall zu entscheide­n. Dem ist aber nicht so“, sagt Verena Querling, Pflegeexpe­rtin der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen. Bisher muss der Patient explizit in einer Vorsorgevo­llmacht festschrei­ben, wer in seinem Sinne über Operatione­n oder Behandlung­en entscheide­n oder die Krankenakt­e sehen darf. Ohne Vollmacht ist der Arzt nicht einmal von seiner Schweigepf­licht entbunden. Weil nur wenige Bürger eine Vorsorgevo­llmacht haben, führt das häufig dazu, dass ein Gericht einen gesetzlich­en Betreuer bestellt und dabei familiäre Spannungen, mögliche Erbschafts­konflikte und Ähnliches beleuchtet. Dadurch ist nicht immer automatisc­h sicher, dass der Ehegatte, Lebenspart­ner oder die Kinder amtlicher Betreuer werden.

● Das kommt Verheirate­te und Verpartner­te erhalten ab 1. Juli 2018 ein pauschales Recht, im Notfall alle des Gatten zu regeln, ohne dass ein gerichtlic­hes Betreuungs­verfahren nötig ist. Was die Verantwort­ung abmildert: Der Gatte ist künftig nur berechtigt und nicht verpflicht­et, die Notfallver­tretung zu übernehmen, sagt Jörn Hauß, Familienre­chtsanwalt aus Duisburg. Vor allem ältere Menschen, die plötzlich lebenswich­tige Entscheidu­ngen für ihren Partner fällen sollen, seien häufig überforder­t und könnten sich so entziehen. Das automatisc­he Vertretung­srecht soll Bund und Ländern hohe Kosten für die wachsende Zahl an richterlic­hen Betreuunge­n sparen, erläutert Wolfgang Schwackenb­erg, Vorsitzend­er des Ausschusse­s Familienre­cht beim Deutschen Anwaltsver­ein (DAV).

● Das wirft Probleme auf Nach An- sicht der Kritiker kann das neue Gesetz nicht nur die Ehepartner massiv belasten. Auch die Ärzte seien künftig in einer schwierige­n Lage. Sie können oft nicht beurteilen, ob die Eheleute auseinande­r sind. Der medizinisc­he Alltag zeige außerdem immer wieder, dass selbst zum Betreuer bestellte Angehörige nicht immer im Sinne des Patienten handeln, sondern eigene Interessen verfolgen, warnt die Deutsche Gesellscha­ft für Psychiatri­e und Psychother­apie, Psychosoma­tik und Nervenheil­kunde.

● Weitere Risiken Probleme kann es auch geben, wenn Paare zerstritte­n sind, wenn Erb schafts konflikte schwelen und der Kranke nicht wollte, dass der Partner so viel Macht bekommt. Schwierig kann es zudemw erden, wenn einPaa run Gesundheit­san gelegenhei­ten terschiedl­iche Nachnamen hat. Ist auf die Schnelle keine Heiratsurk­unde parat, darf der Arzt die Notfallver­tretung erst mal nicht anerkennen. Dazu kommen Probleme mit den Kindern. Denn grundsätzl­ich hat der Nachwuchs qua Gesetz nichts mitzureden, wenn es um Behandlung­en der Eltern geht.

● Widerspruc­h schlägt Gesetz Wer Entscheidu­ngen über Leben und Tod lieber in die Hände eines Freundes oder der Tochter legen will statt in die des Partners, sollte das unbedingt schriftlic­h fixieren. Eine solche Bevollmäch­tigung, etwa beim Zentralen Vorsorgere­gister der Bundesnota­rkammer hinterlegt, hat Vorrang vor dem Gesetz. „Wer sich also nicht mehr mit seinem Mann versteht, kann in einer Vorsorgevo­llmacht der gesetzlich­en Regelung widersprec­hen und festschrei­ben, dass eine Freundin oder der Sohn als Betreuer gewünscht wird“, betont Querling. Aber: Auch Vorsorgevo­llmachten oder Patientenv­erfügungen können künftig untergehen. Etwa wenn gar niemand weiß, dass ein Widerspruc­h beim Zentralreg­ister liegt und der Arzt in der Hektik nicht routinemäß­ig abfragt.

● Selbst kümmern statt Fremdbe

stimmung Gerade weil der Partner künftig das Heft in die Hand bekommt, seien die Bürger jetzt noch stärker gefragt darüber nachzudenk­en, was sein soll, wenn es ihnen gesundheit­lich schlecht geht – und den Willen dann aktiv zu Papier zu bringen, sagt Schwackenb­erg. Mit der Vorsorgevo­llmacht lässt sich festlegen, wer im Ernstfall die Betreuung übernimmt. In der Patientenv­erfügung lässt sich Klarheit für die Behandlung schaffen, wenn es um Leben und Tod geht. Ärzte müssen sich daran halten. Kostenfrei­e Formulare für beide Vollmachte­n bietet unter anderem das Bundesjust­izminister­ium zum Download an unter www.bmjv.de. Ob man die Unterlagen dann beim Vorsorgere­gister meldet, kann jeder selbst entscheide­n. Wichtig ist, dass andere sie im Notfall zu Hause schnell finden.

 ?? Foto: spkphotost­ock, Fotolia ?? Nach einem Unfall ist bislang oft unklar, wer entscheide­n darf, welche Maßnahmen getroffen werden sollen. Das ändert sich bald.
Foto: spkphotost­ock, Fotolia Nach einem Unfall ist bislang oft unklar, wer entscheide­n darf, welche Maßnahmen getroffen werden sollen. Das ändert sich bald.

Newspapers in German

Newspapers from Germany