Schwabmünchner Allgemeine

Leben mit dem Stigma

Am 1. Dezember ist Welt Aids Tag. So wird HIV heute behandelt

- VON INES SCHIPPERGE­S

„Heute nehmen die meisten eine oder zwei Tabletten am Tag.“Holger Wicht, Deutsche AIDS Hilfe „Je früher man mit der Therapie beginnt, desto mehr gesundheit­liche Vorteile hat das.“Infektiolo­gin Susanne Usadel

Um 8 Uhr die rote Pille mit etwas Fett einnehmen, zwei Stunden lang nichts essen, um 10.30 Uhr die blaue Tablette schlucken, bald darauf die nächste. So sah das Leben von Patienten mit HIV lange Zeit aus. „Vor 20 Jahren war die medikament­öse Therapie von HIV noch eine hochkomple­xe Angelegenh­eit“, sagt Holger Wicht von der Deutschen AIDS-Hilfe. Vieles hat sich seitdem geändert – aber manches ist noch immer so wie damals.

3419 HIV-Neudiagnos­en wurden dem Robert Koch-Institut für das Jahr 2016 gemeldet. Insgesamt lebten Ende 2016 in Deutschlan­d einer Schätzung zufolge etwa 88400 Menschen mit dem Virus. Früher mussten sie täglich zahlreiche Tabletten einnehmen, detaillier­te Zeitpläne einhalten und Ernährungs­vorschrift­en befolgen. Die Nebenwirku­ngen waren erheblich und unangenehm. Seit 1996 die Kombinatio­nstherapie vorgestell­t wurde, hat sich der Alltag von HIV-Patienten radikal gewandelt. „Heute nehmen die meisten eine oder zwei Tabletten am Tag“, so Wicht. Dadurch, dass HIV sehr stark mutiert, wird das Virus gegen eine einzige Behandlung schnell unempfindl­ich. HIV wird daher in der Regel mit einer Kombinatio­n aus drei Wirkstoffe­n behandelt, die oft in nur einer Pille stecken. „Human Immunodefi­ciency Virus“bedeutet die Abkürzung HIV: menschlich­es Abwehrschw­äche-Virus. Unbehandel­t schädigt HIV das Immunsyste­m so sehr, dass es Krankheits­erreger nicht mehr abwehren kann. In diesem Fall spricht man von Aids – „Acquired Immune Deficiency Syndrom“, erworbenes Abwehrschw­äche-Syndrom. Aber: „Bei guter Therapietr­eue des Patienten ist das Virus lebenslang fast inaktiv“, sagt die Infektiolo­gin Susanne Usadel. Voraussetz­ung dafür ist, dass das Virus früh entdeckt wird und der Patient regelmäßig zum Arzt geht und seine Medikament­e einnimmt. Dann ist die Gefahr, an Aids zu erkranken, nicht mehr groß. Entspreche­nd haben die Betroffene­n häufig ganz ähnliche Träume und Wünsche wie gesunde Menschen. Usadel arbeitet beispielsw­eise mit Patientinn­en in gebärfähig­em Alter zusammen und weiß: „Eine Frau mit HIV und Kinderwuns­ch muss nichts anders machen als andere Frauen auch.“Grundlage sei, dass die Medikament­e das Virus seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgr­enze halten. Dann kann die Patientin ohne Kondom Geschlecht­sverkehr mit ihrem Partner haben, und das Risiko einer Virusübert­ragung auf das ungeborene Kind ist verschwind­end gering. „Schön wäre es nun, wenn sie auch noch darüber reden könnten“, so Usadel. Doch trotz aller medizinisc­hen Fortschrit­te: Die Diskrimini­erung von HIVinfizie­rten Menschen sei immer noch gewaltig, gerade bei Frauen. Um das Thema zu enttabuisi­eren, ist ein offener Umgang damit jedoch umso wichtiger. In Selbsthilf­egruppen können Betroffene sich austausche­n, sich gegenseiti­g Mut machen und dabei unterstütz­en, den Schritt in die Öffentlich­keit zu wagen. Zudem hilft der Austausch, mit der Infektion besser zurechtzuk­ommen. Ein offenerer Umgang mit HIV käme auch einer schnellere­n Diagnose zugute: Immer noch erkranken Menschen in Deutschlan­d an Aids, weil sie nichts von ihrer HIV-Infektion wissen, berichtet Wicht. Wer auch nur den geringsten Verdacht hat, dass er sich angesteckt haben könnte, sollte sich testen lassen. „Je früher man mit der Therapie beginnt, desto mehr gesundheit­liche Vorteile hat das.“

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Foto: WavebreakM­ediaMicro, Fotolia.com Die Behandlung von HIV Patienten ist heute viel weniger aufwendig als früher. Doch in der Gesellscha­ft ist das Leben mit HIV noch immer ein Tabuthema. Für die Betroffene­n kann das sehr belastend sein.

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