Dem Trevira Kamin droht der Abriss
Die große Zeit des Werks, als der Schornstein für Hoechst in Bobingen rauchte, ist längst vorbei. Nun soll der Kamin fallen. Aber es gibt auch Bürger, die das nicht wollen
Die Geschichte der Chemiefaser in Bobingen reicht genau 115 Jahre zurück. 1902 begann hier die Herstellung von Nitro-Kunstseide. Mit der Entwicklung zur hochmodernen Faser wuchs das Werk und ließ viele Schlote rauchen. Dampf war ein wichtiger Antrieb und Energielieferant. 1964 ersetzte ein 84 Meter hoher Schornstein frühere Kamine. Er wurde zum Wahrzeichen der ganzen Stadt. Sein Schriftzug zeigte: Bobingen ist Trevira-Stadt. Nun droht ihm das Ende. 2018 soll er fallen.
Der 84 Meter hohe Backstein-Kamin am Rand des Industrieparks von Bobingen galt über fünf Jahrzehnte hinweg als das Wahrzeichen der Stadt, vor allem als man zu Bobingen noch „Trevirastadt“sagte. Das ist sie heute noch, jedoch ist sie nicht mehr alleine von der Faser geprägt. Längst könnte man auch andere Attribute wählen. Kulturstadt, Heimatstadt oder Stadt der Lebensqualitäten wird oft gesagt. Und dennoch hängen nicht wenige Menschen hier an dem Schornstein. Mit ihm wuchs Hoechst zum Giganten und zum Wirtschaftsmotor der Region. Und auch die Nachfolgefirmen innerhalb des Industrieparks sind international wieder gut im Geschäft.
Doch der Chemiefaserhersteller Trevira möchte im kommenden Jahr den markanten Schornstein mit seinem Firmen-Schriftzug abreißen. Noch ist der Abbruchauftrag nicht erteilt. Aber die Entscheidung dringt bereits als Unausweichlichkeit aus dem Werk. Das hat das Unternehmen nun auf Anfrage unserer Zeitung auch bestätigt.
Der Schornstein sei seit Januar 2014 nicht mehr in Betrieb. Die Unternehmen des Industrieparks Werk Bobingen (IWB) haben seinerzeit gemeinsam beschlossen, das alte Kesselhaus und damit auch den Schornstein nicht mehr zu nutzen. Es wurden neue Energiekonzepte umgesetzt, die erhebliche Energieeinsparungen mit sich bringen. „Eine neuerliche Nutzung des Kesselhauses nebst Schornstein ist auch bei einer gemeinsamen Weiterentwicklung des Energiebedarfs am langfristig auszuschließen,“teilt Trevira mit.
Der Schornstein sei zudem stark renovierungsbedürftig, eine Sanierung würde eine Investition von 170 000 Euro erfordern. Bei den jährlichen Unterhaltskosten wäre von einer Summe im fünfstelligen Bereich auszugehen.
Trevira-Chef Klaus Holz hat daher Bürgermeister Bernd Müller schon im Oktober über eine interne informiert, wie zukünftig mit dem Schornstein zu verfahren sei. Zum Ergebnis sagt nun Holz: „Aus wirtschaftlichen Erwägungen ist hierbei die Option des Abrisses im kommenden Jahr die wahrscheinlichste.“
Die Spuren des Verfalls sind bereits für Laien mit dem bloßen Auge erkennbar. Immerhin: Noch immer wird das betagte Industriedenkmal nachts beleuchtet und wirkt bei trüStandort bem Wetter zuweilen wie ein Leuchtturm. So wird manchem schwer ums Herz beim Gedanken, dass der alte Kamin nicht mehr zur Stadtsilhouette von Bobingen gehören sollte.
Der Bobinger SPD-Ortsverein hat allerdings bereits eine Initiative angekündigt, um einen Abbruch des Trevira-Fabrikschornsteins zu verhindern. Vorsitzender Armin Bergmann hofft dabei auf ÜberzeuDiskussion gungsarbeit: „Gerade in unserer hektischen Zeit können Wahrzeichen wie dieser Bobinger Schornstein identitätsstiftende Haltepunkte in einer sich immer mehr in den Untiefen der Globalisierung verlierenden Gesellschaft sein.“Nicht zuletzt deshalb sei die SPD der Auffassung, dass die aus materiellen Überlegungen heraus getroffene Entscheidung zum Abriss dieses Bauwerks ein schwerer Fehler sei.