Söder wird Ministerpräsident
Schon im Frühjahr will Seehofer abtreten. Mit seinem Rivalen bildet er künftig eine Doppelspitze. Die CSU feiert ihre neue Harmonie – auf Kosten eines Brillengestells
Der erbitterte Kampf um die Macht in der CSU ist beendet. Horst Seehofer gibt sein Amt als Ministerpräsident auf und macht den Weg für jenen Mann frei, den er unbedingt als Nachfolger hatte verhindern wollen. Markus Söder soll ihn schon im Frühjahr ablösen und dann im Herbst als CSU-Spitzenkandidat die absolute Mehrheit im Bayerischen Landtag verteidigen. Seehofer selbst, der nach dem desaströsen Ergebnis bei der Bundestagswahl unter Druck geraten war, wird Parteichef bleiben. Ob das auf Dauer gut geht? Die neue Doppelspitze gibt sich betont versöhnlich.
„Es ist jetzt wichtig, dass die Stärksten zusammenarbeiten“, sagt der designierte Ministerpräsident Söder am Tag der Entscheidung. Er meint damit nicht nur seinen Vorgänger, sondern auch Joachim Herrmann, dem bis zuletzt eigene Ambitionen nachgesagt wurden. Wie ernsthaft der Innenminister darüber nachgedacht hatte, gegen Söder an- zutreten, bleibt wohl sein Geheimnis. Als die Landtagsfraktion sich zur Abstimmung trifft, gibt es jedenfalls nur einen, der Spitzenkandidat für die Landtagswahl werden will: Markus Söder. Der 50-Jährige wird einstimmig gewählt. Endlich am Ziel schlüpft er sofort in die Rolle des Staatsmannes. Er spricht von Demut und Dankbarkeit und stellt dann klar: „Politik ist immer eine Mannschaftsleistung.“Über seinen Rivalen Seehofer sagt Söder: „Wir haben in den vergangenen Jahren gute Zeiten gehabt und fast gute Zeiten. Aber eines hat uns immer geeint: die Verantwortung für Bayern und die CSU.“
Der Ältere überlässt dem Jüngeren die Bühne. Erst später wird Seehofer erzählen, man habe sich gegenseitig „eine gute Zusammenarbeit“versprochen. Wochenlang war es zwischen den beiden Lagern hin und her gegangen. Vor, aber vor allem hinter den Kulissen wurden Pläne geschmiedet. Am Ende hat es die Partei zumindest geschafft, dass es keinen offensichtlichen Verlierer gibt. Der Parteitag wird Seehofer Mitte Dezember noch einmal zum CSU-Chef wählen – ohne Gegenkandidaten. Und schon in der kommenden Woche könnte der 68-Jährige erste Gespräche mit CDU und SPD über eine Neuauflage der Großen Koalition führen. Anders als noch bei den Jamaika-Sondierungen wird auch Söder diesmal mit von der Partie sein. Vieles deutet darauf hin, dass Seehofer bei erfolgreichen Koalitionsverhandlungen als Minister nach Berlin wechselt, um den bundespolitischen Anspruch der Partei zu demonstrieren. Söder soll dann das Ruder in München übernehmen. Die Wachablösung beginnt spätestens im Februar: Am Politischen Aschermittwoch wird schon der künftige Ministerpräsident die große Bierzeltrede halten. So viel Harmonie wie gestern war lange nicht in der CSU: Landtagspräsidentin Barbara Stamm umarmt Seehofer zur Begrüßung derart herzlich, dass gleich ihre Brille zu Bruch geht. Großes Gelächter in der Runde. Auch Ilse Aigner zeigt sich tiefenentspannt. Mit ihrer Idee, die Mitglieder abstimmen zu lassen, wer Spitzenkandidat bei der Landtagswahl werden soll, hatte sie sich zuletzt den Zorn der „Söderianer“zugezogen. Mit der nun gefundenen Lösung kann sie offenbar ganz gut leben. „Grundsätzlich habe ich mich immer auch für eine Doppelspitze ausgesprochen“, sagt Aigner, die selbst einmal als aussichtsreiche Kandidatin für eines der Spitzenämter gehandelt worden war.
Im Leitartikel bewertet Walter Roller den Neuanfang der CSU. Auf der Dritten Seite schreibt Uli Bachmeier über den Tag der Entscheidung. Holger Sabinsky-Wolf hat den Parteienforscher Heinrich Oberreuter interviewt und Rudi Wais schreibt, was in Berlin auf Horst Seehofer zukommen könnte. Beide Texte finden Sie in der
„Wir haben gute Zeiten gehabt und fast gute Zeiten.“Söder über sein Verhältnis zu Seehofer
Professor Oberreuter, Friede, Freude, Eierkuchen jetzt in der CSU. Glauben Sie, dass diese Lösung mit einer Doppelspitze Seehofer/Söder hält?
Heinrich Oberreuter: Friede, Freude, Eierkuchen ist natürlich die Parole, die ausgegeben werden musste. Ich gehe davon aus, dass diese Lösung bis zur Landtagswahl hält, dass zunächst alle persönlichen Gegensätze überbrückt werden. Denn für Parteien steht ein möglichst gutes Wahlergebnis im Zentrum aller Bestrebungen. Ob ein Wahlerfolg durch diese Lösung befördert wird, das darf man sich aber nachhaltig fragen.
Sie sind skeptisch, dass Söder ein gutes Wahlergebnis einfahren wird?
Oberreuter: Was ist ein gutes Ergebnis? Es könnte sein, dass 40 Prozent für die CSU schon eine deutliche Steigerung sind. Das kommt auch darauf an, wie sich das in Berlin zusammenschaukelt und welche Situation im Herbst herrscht. Das Hauptproblem ist doch ein anderes: Weder Seehofer noch Söder haben derzeit in der bayerischen Bevölkerung große Zustimmung. Ich sehe nicht, wie sich das in diesem Dreivierteljahr grundsätzlich verändern soll.
Sie denken, dass die CSU in einem Abwärtsstrudel ist?
Oberreuter: Wer glaubt, dass die letzten Wahlergebnisse und Umfragen der CSU – und der anderen großen Volksparteien – nur aktuelle Betriebsunfälle sind, der irrt sich gewaltig. Es sind auch Reaktionen auf gesellschaftliche Veränderungen, die die Stammwählerschaft und die Integrationskraft der Volksparteien schrumpfen lassen. Es könnte sein, dass wir im nächsten Landtag sieben Parteien haben. In dieser Gesellschaft gibt es immer mehr Menschen, die nicht einsehen, dass sie ihre persönlichen Positionen einem Volksparteien-Konzept anpassen sollen. Die sagen, ich habe ein bestimmtes Anliegen, und das will ich in der Politik repräsentiert sehen. Dieser Prozess schreitet fort, und der erodiert auch die CSU. Daher wird sie kaum allein weiterregieren können.
Umgekehrt würde dies bedeuten, dass die CSU das Ruder auch mit einem ganz anderen Kandidaten nicht herumreißen könnte … Oberreuter: Der personelle Faktor ist zwar nicht bedeutungslos, aber er hat nicht mehr die gleiche Ausstrah-
lungskraft wie früher bei Adenauer, wo es hieß „Auf den Kanzler kommt es an“. Die Ergebnisse zeigen: Das reicht nicht mehr. Die Leute haben höhere Erwartungen.
Hätten Sie es dennoch für besser befunden, wenn die CSU einen kompletten personellen Neuanfang ohne Seehofer und ohne Söder gewagt hätte?
Oberreuter: In dieser Konfliktsituation der CSU war das schwierig. Jetzt, da der Konflikt brodelte, hätte man auch jeden anderen in einen kochenden Kessel geschmissen. Einen ganz Neuen hätte man vielleicht in einem sachlich orientierten Prozess finden können. Da hätte aber Seehofer mitmachen müssen.
Seehofer hat aber nicht mitgemacht …
Oberreuter: Seehofer hat mehrfach angekündigt, dass er über sein politi- sches Ende nachdenkt. Und dann hat er das wieder zurückgenommen. Er hat damit erst den Anreiz für karrierebewusste, gestaltungsfreudige Jungpolitiker wie Söder geschaffen. Das war mit ein Auslöser für seine jetzige Schwäche.
War das ein Fehler Seehofers?
Oberreuter: Ja. Wenn er konsequenter bei seiner Linie geblieben wäre, eine Nachfolge zu ermöglichen, hätte er eine Gestaltungschance gehabt. Jetzt war er ein Getriebener. Mit dem Verlust bei der Bundestagswahl hat er die Souveränität der Entscheidung verloren. Das, was jetzt herausgekommen ist, war das Maximum dessen, was Seehofer in seiner Situation erreichen konnte – und das auch nur, weil die CSU ihn noch auf der Berliner Ebene braucht.
Mehr war für Seehofer also nicht mehr zu holen?
Oberreuter: Ich glaube nicht. Wenn mehr zu holen gewesen wäre, dann hätte Seehofer es mit allen Tricks versucht.
Heißt das, Sie glauben nicht, dass Seehofer den Parteivorsitz lange behält?
Oberreuter: Ich gehe davon aus, dass die Konflikte wieder aufbrechen und Söder in einem oder eineinhalb Jahren den Parteivorsitz übernehmen wird.
Hat die CSU mit dem ganzen Theater nicht eine Menge Vertrauen verloren?
Oberreuter: Doch. Und das alles wird nun versteckt hinter dem unbedingten Streben nach Harmonie und Geschlossenheit. Das Wort Glaubwürdigkeit nimmt in dem Kontext in der CSU niemand mehr in den Mund. Die Öffentlichkeit schon. Die wird unbequeme Fragen stellen.
„Weder Seehofer noch Söder haben derzeit große Zustimmung.“Heinrich Oberreuter
Sie denken nicht, dass die angeblich friedliche Lösung der Doppelspitze besonders glaubwürdig rüberkommt? Oberreuter: Diese Frage können Sie jetzt nur ironisch gemeint haben …
Prof. Heinrich Oberreuter, 75, ist ein bekannter Politikwissenschaft ler und intimer Kenner der bayeri schen Landespolitik. Er lehrte 30 Jahre an der Universität Passau und war von 1993 bis 2011 Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.