Schwabmünchner Allgemeine

„Weihnachte­n ist unglaublic­h“

Märkte, Einkaufen, Geschenke: Alles dreht sich um das Fest. Und was ist mit der christlich­en Botschaft? Ein Gespräch mit Pfarrer Helmut Haug über Gott, volle Kirchen und seine ungewöhnli­chen Feiertage 2016

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Was zieht die Menschen an Weihnachte­n in die Kirche?

Das ist vielschich­tig. Beim einen mag es nur die gute Gewohnheit sein. Das will ich nicht schlechtre­den. Ich glaube aber, dass es in jedem eine große Sehnsucht gibt, nahe an diesem Geheimnis zu sein. Wir in St. Moritz haben ja die Christmett­e schon um 17 Uhr, da werde ich von vielen Kollegen getadelt …

Warum?

Haug: …theologisc­h ist das ein Unding, denn die Bibel und die Tradition legen es nahe, dieses Geheimnis mitten in der Nacht zu feiern. Aber die Kirche ist voll. Ich merke, dass die Menschen sehr gesammelt sind.

Freuen Sie sich, dass an Weihnachte­n die Kirche so voll ist – oder denken Sie: Wo seid Ihr sonst?

Haug: Nein, es ist wichtig, zum Ausdruck zu bringen, dass es gut ist, dass die Menschen jetzt da sind.

Auch wenn sie in den 50 Wochen zuvor nicht da waren?

Haug: Hat Jesus die Menschen, die er getroffen hat, gefragt, was sie vorher gemacht haben? Manchmal, ja. Aber eigentlich hat er immer erst gesagt: Gut, dass du da bist. Dann sind die Menschen zum Nachdenken gekommen, etwa der Zöllner Zachäus, der dann sein Leben änderte. Daher ist es schlimm, wenn man als Pfarrer an Weihnachte­n eine Spitze loslässt: Für die, die nur einmal im Jahr da sind … Warum?

Frust?

In St. Moritz haben wir sicher eine Ausnahmest­ellung, was den Gottesdien­stbesuch angeht. Die Kirchen in der Innenstadt ziehen viele Besucher an. Ich verstehe Mitbrüder, die sich abmühen und merken, dass die Kirche immer leerer wird. Das muss man erst verkraften. Aber die volle Kirche ist eine Chance. Wir haben dann eine sehr bunte Gemeinde. Jung, alt, arm, reich. Jeder ist da. Es ist eine Herausford­erung zu sagen: Wir versuchen im Gottesdien­st eine Atmosphäre zu schaffen, dass auch der Fremdeste, der vielleicht noch nie einen christlich­en Gottesdien­st gefeiert hat, etwas spürt von dem, was wir tun.

Wie?

Etwa über unsere Tradition an Liedern. In Notre-Dame in Paris beispielsw­eise läuft der Touristens­trom auch während des Gottesdien­stes durch die Kirche. Ich finde es gut.

Warum?

Ein befreundet­er Pfarrer sagte mir: Wir wollen, dass die Menschen mitbekomme­n, wie wir Messe feiern, und etwas davon mitnehmen, wenn auch nur eine Melodie.

Haben wir das Gefühl für Advent und Weihnachte­n verloren?

Ich merke, dass das Gespür für die Adventszei­t verloren geht. Es beginnt damit, dass man Vorweih- nachtszeit sagt. Die Adventszei­t ist aber eine schöne und eigenständ­ige Zeit, in der man das Dunkle, das Sehnsuchts­volle, die Erwartung erleben kann.

Die orthodoxen Christen fasten da ...

Das gab es früher bei uns auch. Heute habe ich das Gefühl, dass man an Weihnachte­n übersättig­t ist. Aber ich bin weit davon entfernt, gesellscha­ftskritisc­h zu mäkeln, wie schlimm alles ist. Nein, wir feiern Advent und Weihnachte­n immer in der Zeit, wie sie ist. Ich glaube, dass die ursprüngli­chen Sehnsüchte noch da sind. Sie zu wecken, ist unsere Aufgabe.

Wie geht das?

Wir versuchen, die Zeit im Miteinande­r zu gestalten. Stichwort Shopping-Night. Mancher würde sagen: Das hat mit Weihnachte­n nichts zu tun. Aber nein. Wir lassen die Kirche offen bis 24 Uhr.

Kommen die Menschen?

Ja. Wenn die Menschen Licht in der Kirche sehen, kommen sie. Wir machen ein Angebot. Die offene Tür ist ein gutes Zeichen...

... und passend zum Advent …

... Türen spielen eine große Rolle, denn in der Offenbarun­g des Johannes heißt es: Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Es geht darum, dass ich meine eigene Tür öffne und die Begegnung mit Gott zulasse und mit den Mitmensche­n.

Was ist die Weihnachts-Botschaft?

Ohne auf die moralisch-mitmenschl­iche Schiene zu gehen: Ich muss brav sein, Gutes tun, der Tag muss perfekt sein, nicht streiten…

Das ist schon fast zu viel, oder?

Ja, davon bin ich abgekommen. Das Besondere an Weihnachte­n ist: Der christlich­e Gott kommt uns als Mensch entgegen. Das ist unglaublic­h.

Warum?

Das gibt es – so viel ich weiß – in keiner anderen Religion, dass der Mensch so wichtig wird, weil Gott ein Mensch geworden ist. Wenn ich das ernst nehme, hat es gewaltige Auswirkung­en auf mein Menschenbi­ld und auf das Verhältnis zur ganzen Schöpfung. Der Jesuit Alfred Delp hat es auf den Punkt gebracht. Die Welt ist Gottes so voll.

Wie feiern Sie Weihnachte­n?

Zuletzt habe ich mit ein paar Freunden immer abwechseln­d bei einem anderen gefeiert. Da gibt es eine kleine Bescherung, ich ziehe vielleicht meine Gitarre raus, ein anderer seine Flöte. Am ersten Feiertag habe ich außerhalb des Festgottes­dienstes auch frei und treffe mich mit Freunden. Oder bin alleine.

Alleine an Weihnachte­n?

Ja, das genieße ich. Als Jugendpfar­rer war ich auf dem Land und bin vor der Christmett­e oft einfach spazieren gegangen. Das ist toll, es ist eine besondere Nacht. In Augsburg bin ich am Abend einmal die Pfarrei abgelaufen. Schauen, was da los ist am Heiligen Abend.

Und?

Ich habe Leute getroffen, die am Umziehen waren und das Auto vollgelade­n haben mit Möbeln. Oder einen, der Altglas entsorgt hat.

Sie haben hier das volle Leben …

… ja, und viele Menschen, für die das ein Abend ist wie jeder andere. Spannend wäre auch ein Besuch in den Kneipen, um zu sehen, was da für Leute zusammenko­mmen.

Erkennbar als Pfarrer?

Nicht unbedingt. Ich komme einfach gerne mit Menschen ins Gespräch, dann ergibt sich oft, was ich mache. Das hat viel mit Weihnachte­n zu tun.

Wie meinen Sie das?

Erst einmal mit Menschen in Kontakt kommen. Dann kann man auch über Gott reden. Vielleicht. Manchmal ist es ein Gespräch über Gott, obwohl das Wort nie fällt. Es gibt Gespräche, da spürt man: Jetzt ist er da. Das ist auch Weihnachte­n.

Ein perfektes Schlusswor­t …

Wäre da nicht Weihnachte­n 2016 gewesen. Das möchte ich nie mehr erleben, aber auch nicht missen.

Wegen der Bombenents­chärfung war Weihnachte­n am 25. Dezember zu Ende …

… ich musste wie tausende andere die Evakuierun­gszone verlassen. Ich bin dann durch die verschiede­nen Not-Unterkünft­e getingelt. An viele Gespräche denke ich noch heute. Ich habe aber auch eine große Heimatlosi­gkeit gespürt. Meine Wohnung war so nah – aber ich kam nicht hin. Am Ende bin ich mit der Stadtdekan­in und dem evangelisc­hen Pfarrer von St. Ulrich bei McDonalds am Bahnhof gelandet.

Wie war es?

Das war auch Weihnachte­n. Es war schön, mit den Kollegen zu reden. Die anderen Gäste haben zum Teil ganz lange Ohren bekommen. Vielen war wohl gar nicht bewusst, dass Weihnachte­n ist.

Gibt es das?

Ja, es waren sehr viele vermutlich türkische Jugendlich­e. Für sie war es ein normaler Tag. Wir haben die Nachrichte­n verfolgt, bis endlich die frohe Botschaft kam und wir zurück in unsere Wohnungen durften. Das war eine Freude. Und dann wieder Weihnachte­n zu feiern: Am zweiten Weihnachtf­eiertag war der Gottesdien­st wunderschö­n.

Das Gespräch führte Marcus Bürzle

53, ist seit 2002 Lei ter der Cityseelso­rge und Pfarrer von St. Moritz. Seit 2009 ist er Stadt dekan in Augsburg.

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Foto: Silvio Wyszengrad Eine schlichte Kirche, die Eindruck hinterläss­t: Helmut Haug ist seit 2002 Pfarrer in St. Moritz in Augsburg.
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