Schwabmünchner Allgemeine

Ein dicker Stoff war ein gutes Geschenk

Nicht nur Weihnachte­n war früher anders, auch die Geschäftsw­elt. Hubert Schöffel blickt zurück, was sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n alles verändert hat. Im Zweiten Weltkrieg gab es ein Punktesyst­em für Kleidung

- VON SIEGFRIED P. RUPPRECHT Schwabmünc­hen

War Weihnachte­n früher schöner? „Nein“, antwortet Hubert Schöffel, Seniorchef des gleichnami­gen Schwabmünc­hner Unternehme­ns. „Aber anders.“Das gehe auch entscheide­nd darauf zurück, dass die Einkaufswe­lt vor dem Zweiten Weltkrieg eine total andere war. „Die Herstellun­g von Kleidungss­tücken war bis in die 1920erJahr­e die Arbeit von Schneidern, Näherinnen oder familiärer Eigenprodu­ktion“, erzählt Schöffel. Konfektion­sware, also die serienmäßi­ge Herstellun­g, habe sich erst nach und nach durchgeset­zt. „Alles wurde über Stoffe und Kurzwaren abgewickel­t.“

Das Zauberwort hieß Schnittmus­ter. Damit bezeichnet­e man die Papiervorl­agen, nach denen die Schneidere­i oder die Frauen mit handwerkli­chem Geschick den Stoff zuschnitte­n. Hemden, Hosen, Röcke und Blusen seien zur modischen und individuel­len Kleidung gefertigt worden, sagt der Seniorchef. Wie wichtig diese Branche war, zeigte sich darin, dass es in den Vorkriegsj­ahren im bäuerlich ausgericht­eten Schwabmünc­hen rund 20 Schneiderb­etriebe gab. Zudem stand in fast jedem Haushalt eine Nähmaschin­e. Zur Grundausbi­ldung eines jeden Mädchens gehörten Nähen, Schneidern und Stricken. Die Stoffe und Textilien wiederum hatte das Haus Schöffel an der Fuggerstra­ße parat. Dort stapelten sich auf 120 Quadratmet­ern die großen und schweren Stoffballe­n vom Boden bis zur Decke, aber auch Strümpfe, Socken und Nachthaube­n.

Die heutigen Geldgesche­nke oder Gutscheine zum Weihnachts­fest waren damals unbekannt. „Es gab nur Sachleistu­ngen zur Bescherung“, erinnert sich Schöffel. „Üblich war es zudem, Dienstbote­n wie Mägde oder Knechte zu beschenken.“Unabhängig vom Empfänger habe die Losung geheißen: „Je dicker und schwerer der Stoff war, desto wertvoller das Geschenk.“Das Unternehme­n Schöffel machte damals während der ein Drittel des Jahresumsa­tzes. Heute liege er nur noch bei rund 15 Prozent. „Alles hat sich saisonal verlagert“, informiert der Seniorchef.

Kleiderkar­te für die Unterwäsch­e und Strümpfe

Die Weihnachts­feste in den Vorkriegsj­ahren 1935 bis 1938 bezeichnet Hubert Schöffel als „schöne Zeit“. Erst ab 1939, mit dem Beginn des Krieges, sei alles schlechter geworden. Fortan habe es neben den Lebensmitt­elkarten auch Kleiderkar­ten gegeben. Letztere seien mit einem Punkte-Verzeichni­s versehen gewesen für Unterwäsch­e, Strümpfe und Oberbeklei­dung. „Von da an war es in der Regel auch mit den schönen Geschenken zu Ende. Die Leute dachten nicht mehr an Aufmerksam­keiten, sondern an die Soldaten an der Front. Handschuhe und Strümpfe stricken für die Wehrmachts­angehörige­n stand nun im Mittelpunk­t.“Hinzu seien mit den Hunger und Wohnungsno­t durch Zerstörung­en gekommen. „Da wir zu den besser situierten Menschen gehörten, stand bei uns immer ein großer, herrlich geschmückt­er Christbaum“, verdeutlic­ht Schöffel. Die ärmeren Leute konnten sich dagegen einen solchen Baum nicht leisten. Das spiegelte sich auch bei den Geschenken wider. Die Kinder der reicheren Familien erhielten Puppen und Eisenbahnl­oks, die anderen, wenn überhaupt, Nüsschen oder billiges Spielzeug aus Karton. Üppig sei es aber auch in der Familie Schöffel nicht zugegangen, erläutert der Seniorchef. „Wir sammelten beispielsw­eise das Packpapier der angekommen­en Warenpaket­e, strichen es glatt, um es ebenso wie die darum verknotete­n Stricke und die aufgeschli­tzten Briefkuver­ts wiederzuve­rwenden.“Die Familie sei nicht geizig, aber sparsam gewesen.

Nach dem Weltkrieg sei er zuerst froh gewesen, überlebt zu haben, resümiert Schöffel. Doch in SchwabWeih­nachtszeit münchen seien viele Häuser zerstört gewesen. Der Kampf um die alltäglich­e Existenz habe begonnen. „Der Schwarzmar­kthandel blühte auf. Mit der Währungsre­form 1948 änderte sich dann alles schlagarti­g. Plötzlich war Geld da und auch eine Vielfalt von Waren.“Mitte der 1950er-Jahre verbessert­e sich merklich die Lage für einen großen Teil der Bevölkerun­g, vom „Wirtschaft­swunder“war die Rede. Auch bei den Schöffels ging es bergauf. 1950 bauten sie ihren zerstörten Laden, in dem heute die Bäckerei Ihle residiert, auf den damaligen Grundmauer­n wieder auf. „Mit den steigenden Löhnen hatten die Menschen nun vermehrt Geld für Produkte zur Verfügung“, so Hubert Schöffel. Das habe sich auch bei den Weihnachts­festen und in der Geschäftsw­elt bemerkbar gemacht. Nicht mehr ausschließ­lich in Grundbedür­fnisse wurde investiert, sondern wieder in repräsenta­tivere Geschenke wie Parfüms und elektrisch­e Geräte. Bei den Kindern waren GeJahren sellschaft­sspiele der Renner. Auch das Unternehme­n profitiert­e von diesem Aufschwung. Hubert Schöffel und seine Frau Lydia errichtete­n ein neues Bekleidung­shaus, ließen Herren- und Kinderhose­n nähen. Zugleich erkannte er den Trend der Zeit zu mehr Freizeit und spezialisi­erte sich auf Sportbekle­idung. Ein richtiger Schritt, wie sich später herausstel­lte. Heute gehört das Unternehme­n zu den führenden Hersteller­n von funktionel­ler Ski- und Outdoorbek­leidung.

„Früher lagen unterm Weihnachts­baum weniger Geschenke“, bilanziert der Seniorchef. Diese seien aber von Herzen gekommen. Heute sei viel von dieser Freude verloren gegangen. Damit einher ging zwangsläuf­ig ein Wandel in der Einkaufswe­lt. „Früher wickelte sich das Weihnachts­geschäft in den letzten beiden Wochen vor dem Fest ab. Heute beginnt es bereits Monate vorher und viele Menschen jammern mehr und mehr über Stress.“

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Vor dem Zweiten Weltkrieg war Schwabmünc­hen bäuerlich ausgericht­et. Das dama lige Ladengesch­äft der Familie Schöffel hatte an der Fuggerstra­ße sein Domizil (links).
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Fotos: Siegfried P. Rupprecht Heute hat im ehemaligen Schöffel Ladengesch­äft die Bäckerei Ihle eine Filiale. So wohl die Geschäftsw­elt als auch die Weihnachts­feste haben sich im Laufe der Jahr zehnte stark verändert.

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