Im Winterschlaf zum Mars?
Er ist die erfolgreichste Überlebensstrategie im Tierreich. Dabei schlafen Tiere im Winterschlaf gar nicht. Könnten wir das auch?
Vorweihnachtsstress, Kälte, mieses Wetter – Gründe gibt es genug, um sich zu wünschen, die Zeit von Ende Oktober bis Anfang März, verkrochen in einem gemütlichen Nest, im Winterschlaf an sich vorbeiziehen lassen zu können. Ein schöner Traum für Menschen. Für viele Tiere dagegen ist der Winterschlaf lebensnotwendige Realität. Bis zu sagenhafte 99 Prozent Energie können viele Säugetiere und Vögel – die einzigen Gattungen, die zum Winterschlaf in der Lage –, einsparen, indem sie alle Körperfunktionen radikal drosseln.
Forscher versuchen die Mechanismen zu entschlüsseln, die Tiere zu so einer erstaunlichen Anpassung an Nahrungsknappheit und lebensfeindliche Witterung in die Lage versetzt. Ist der Winterschlaf endlich verstanden, könnte er tatsächlich eine Option für Menschen werden. Doch dazu später mehr.
Jetzt erst einmal zum Igel, einem der bekanntesten heimischen Winterschläfer, und zu der Frage, warum Winterschlaf und Schlaf tatsächlich zwei völlig verschiedene Dinge sind. Die Biologin Lisa Warnecke gibt darauf in einem spannend zu lesenden Sachbuch die Antwort. Ein Mensch, der für ein paar Wochen den Arm in Gips gelegt bekommt, muss danach mühsam seine Muskeln wieder aufbauen. Der Igel kann kalt und scheinbar leblos in seinem Nest liegen. Im Frühjahr wacht er wieder auf und läuft einfach los.
Der Fachbegriff für den Winterschlaf ist Torpor. Reptilien, Amphibien oder Insekten verfallen zwar auch in eine Art Starre, sobald es ihnen zu kalt wird. Sie können diesen Zustand aber nicht selbst kontrollieren. Das ist der wesentliche Unterschied. Und: Torpor muss nicht immer Wochen oder Monate dauern. Manche Tiere nutzen diesen Energiesparzustand nur für einige Stunden als sogenannten Tagestorpor.
Der Igel setzt auf den langen Torpor – und das seit Millionen von Jahren. Sinkt seine Körpertemperatur während des Torpors von 35 Grad Celsius auf eine Umgebungstemperatur von 5 Grad ab, geht sein Energieverbrauch auf 0,5 Prozent des Normalverbrauchs zurück. Wird es in seinem Nest kälter als vier Grad, muss der Igel seine Körperwärmeproduktion wieder hochfahren und verbraucht entsprechend mehr Energie. Die Haselmaus dagegen kann sogar überleben, wenn ihre Körpertemperatur unter null Grad fällt.
Allerdings ist der lange Torpor nicht einfach eine monatelange Phase der vollkommenen Ruhe. Alle paar Tage oder Wochen müssen die Tiere ihre Körpertemperatur wieder hochfahren – und verbrauchen dabei die meiste Energie, die sie sich während der warmen Jahreszeit in Form von Fettpolstern angefressen haben. Warum das so ist, kann auch Warnecke noch nicht endgültig sagen. Vermutlich ist eine Vielzahl von Gründen dafür verantwortlich, von der Aufrechterhaltung des Immunsystems über die Ausscheidung von Stoffwechselprodukten bis zur Regeneration des Gehirns. Ein anderer Grund könnte sein, dass die Tiere in dem Zustand, der im Volksmund „Winterschlaf“heißt, ein enormes Schlafdefizit anhäufen.
Schlaf und Torpor schließen sich aus. Vermutlich kann das Gehirn von Säugetieren bei tiefen Temperaturen im Torpor keine REMSchlafphasen durchlaufen. Die genauen Zusammenhänge sind noch nicht erforscht, aber auf Dauer können auch Tiere wohl nicht auf diesen Schlaf verzichten – und müssen dafür ihren Torpor wohl immer wieder unterbrechen.
Mit kleineren und besseren Sensoren können Biologen nun viel mehr über den Torpor der Tiere in freier Natur erfahren – und entdecken dabei auch, dass viel mehr Tiere den Energiesparmodus nutzen als gedacht. Längst sind auch Forscher anderer Fachrichtungen auf diese Ergebnisse aufmerksam geworden. Auch bei den Raumfahrtorganisationen Esa und Nasa beschäftigt man sich sehr ernsthaft mit dem Torpor. Schließlich ist der Mensch auch ein Säugetier. Vielleicht gibt es irgendwann eine Möglichkeit, Astronauten künstlich in Torpor zu versetzen. Dann könnten sie lange Reisen, etwa zum Mars, besser überstehen – und die Raumfahrzeuge bräuchten weniger Sauerstoff und Nahrung an Bord.