Schwabmünchner Allgemeine

Feingefühl für die Figuren

Hans Jagdhuber nimmt als erster blinder Spieler am Augsburger Meistertur­nier teil. Wie er die Herausford­erung annimmt und warum er ein ganz besonderes Schachbret­t braucht

- VON ANDREA BOGENREUTH­ER

Hans Jagdhuber braucht im Normalfall nicht lange, um eine Entscheidu­ng zu treffen. Nicht am Schachbret­t, wenn er seinen Gegner mit einem mutigen Zug unter Druck setzen will. Und auch nicht bei der Frage, ob er es sich zutrauen würde, als erster blinder Spieler am Internatio­nalen Meistertur­nier in Augsburg teilzunehm­en. Dabei hatte Turnierorg­anisator Johannes Pitl erst kurz vor der ersten Runde bei dem Regionalli­ga-Spieler des SK Rochade Augsburg angefragt, weil ein anderer Teilnehmer überrasche­nd ausgefalle­n war. Jagdhuber zögerte nicht lange und sagte zu.

So nimmt der blinde Gögginger nun erstmals an diesem zehntägige­n Traditions­turnier über den Jahreswech­sel teil, auch wenn ihm die Konkurrenz in der reinen Spielstärk­e um bis zu 100 ELO-Punkte überlegen ist. Doch Jagdhuber hat keine Scheu und nimmt die Herausford­erung mit viel Optimismus und Humor an. „Wir schauen einfach mal, was rauskommt. Vielleicht hat Herr Pitl ja nur ein Opferlamm gebraucht“,

Digitaluhr sagt die Zeit an

scherzt Jagdhuber gut gelaunt, als er sich im Schachraum des Hotels Ibis in der Hermannstr­aße zur ersten Partie einfindet. Johannes Pitl ist schon vor dem ersten Zug voll des Lobes über den Kampfgeist des Augsburger­s. „Ich habe auch andere Schachspie­ler angefragt, aber die haben sich das nicht zugetraut“, sagt Pitl. Umso mehr Respekt habe er vor Jagdhuber.

Der baut vor jeder Partie mit geübten Griffen seine Spezialaus­rüstung auf. Ein Spiel auf herkömmlic­hen Schachbret­tern, auf denen die Figuren geschoben werden, ist für Jagdhuber nur unter großer Anstrengun­g möglich. Denn an einem solchen Brett besagen die Regeln, dass ein Spieler, der eine Schachfigu­r berührt, diese auch ziehen muss. Jagdhuber aber will natürlich erst einmal die Stellung der verschiede­nen Figuren erfühlen und sie sich einprägen, bevor er sich für einen Zug entscheide­t.

Deshalb bringt er zu jedem Turnier sein eigenes Schachbret­t mit. Ein kleines, filigranes Steckbrett, schwarze Felder leicht erhöht sind und dessen schwarze Figuren kleine Metallstif­te tragen. So kann Jagdhuber alle einzelnen Elemente auf dem Brett erfühlen, die Partie mitstecken und in Ruhe seine Entscheidu­ngen treffen.

Hat er sich einen Zug überlegt, teilt er diesen seinem Gegenspiel­er mit, der dann alle Züge auf dem Originalbr­ett zieht. „Natürlich ist es für mich schwierige­r zu spielen. Meine Gegner können alles sehen, während ich mir die Stellungen merken muss“, sagt Jagdhuber, der sich in seinem Ehrenamt als Sportrefer­ent beim Bayerische­n Blindenund Sehbehinde­rtenbund ebenfalls mit viel Herzblut für das Schachspie­len einsetzt.

Mit 17 Jahren ist Hans Jagdhuber durch einen Unfall erblindet. Danach wurde in der Blindensch­ule in München sein Schachtale­nt entdeckt und gefördert. So gut, dass er in seiner Karriere bereits mehrfacher bayerische­r Meister im Turnierund Schnellsch­ach und bei den Senioren schon deutscher Meister geworden ist.

In jeder Turnierpar­tie verbindet sich Jagdhuber per Kopfhörer mit seiner Digital-Uhr, die ihm die Zeit ansagt, die ihm für seine Züge noch bleibt. Ein wichtiger Faktor für alle Spieler, schließlic­h haben sie beim Augsburger Meistertur­nier für die ersten 40 Züge exakt zwei Stunden Zeit, für die nächsten 20 Züge eine Stunde und für den Rest 30 Minuten. So weiß auch Jagdhuber Bescheid über sein Zeitkontin­gent.

Obwohl die Technik mittlerwei­le sehr ausgefeilt ist, bleibt seine Partnerin Monika Liebhart während eines Turniers immer an seiner Seidessen te. „Sprechen darf ich während der Partie natürlich nicht, das ist verboten. Ich könnte ihm beim Spiel aber eh nicht helfen“, sagt sie lächelnd. Doch sie unterstütz­t Jagdhuber in der Vorbereitu­ng, stellt die Namensschi­lder korrekt auf, reicht ihm Getränke oder überwacht die Schach-Ausrüstung.

In seiner ersten Partie trifft der Turnier-Neuling auf Fide-Meister Wolfgang Mack von der TG Biberach. Beide haben noch nicht gegeneinan­der gespielt, doch vor einigen Jahren sind ihre Mannschaft­en schon gegeneinan­der angetreten. Jagdhuber mit dem SK Rochade Augsburg, Mack damals noch mit dem BC Aichach. Im ersten direkten Duell hält Jagdhuber dann auch lange mit und muss sich erst in der Schlusspha­se seinem Gegner beugen.

 ?? Foto: Fred Schöllhorn ?? Auf seinem Spezialbre­tt kann der Augsburger Hans Jagdhuber beim Internatio­nalen Meistertur­nier die Partie nachstecke­n und die Stellung der Schachfigu­ren erfühlen.
Foto: Fred Schöllhorn Auf seinem Spezialbre­tt kann der Augsburger Hans Jagdhuber beim Internatio­nalen Meistertur­nier die Partie nachstecke­n und die Stellung der Schachfigu­ren erfühlen.

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