Schwabmünchner Allgemeine

Silvester in den Goldenen Zwanzigern

Liselotte Lerbinger stieß in ihrem Familienal­bum auf ein altes Foto – und auf viele Erinnerung­en

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Vor Kurzem blätterte die Augsburger­in Liselotte Lerbinger mit ihrer Tochter Susanne im Familienal­bum. Ihr Blick blieb hängen an einem alten Foto, das eine Familie samt Freunden an Silvester zeigt. Alle sind schick gekleidet, der Hausherr hat die Gitarre in der Hand, vor drei Damen steht ein Bowlegefäß. Mitten in der Schar Erwachsene­r ein Junge, vielleicht 14, 15 Jahre alt: Es ist Jakob Baader, der Vater von Liselotte Lerbinger.

Beim Anblick dieses Bildes wurden Erinnerung­en wach. „Mein Vater kam mit 14 Jahren zu seinem Onkel Leonhard Ketterer nach Augsburg. Er lebte dort während seiner Lehre bei den Lechwerken“, erzählt Liselotte Lerbinger. Ketterers waren kinderlos geblieben, schon deshalb boten sie Jakob Baader gerne eine Heimat. Sie lebten im Thelottvie­rtel und feierten gerne: „Sie hatten einen großen Freundeskr­eis, das hat mein Vater immer erzählt“, sagt Liselotte Lerbinger.

Solche Fotografie­n in alten Familienal­ben überliefer­n, wie man vor 50, 70 oder 90 Jahren den Jahreswech­sel im Kreis der Familie oder in Gesellscha­ft feierte. In den 1920er Jahren nahmen Verlage auf Fotopostka­rten das Thema auf: Sie sollten mit sorgsam arrangiert­en Szenen beste Feierlaune vermitteln. Man trank Bowle, Punsch oder Sekt, und man war modisch gekleidet – eben wie auf dem Bild der Lerbingers, das an Silvester 1927 entstand.

In Zeitschrif­ten und als Bildpostka­rten wurden solche Motive in den 1920ern gerne verbreitet. Sie sollten in den „goldenen Zwanzigerj­ahren“eine heile Welt suggeriere­n. Sie spiegeln jedoch eine kurze Zeitspanne: Mit dem Begriff „Goldene Zwanziger“ist die zweite Hälfte der 1920er Jahre gemeint. Die „goldenen“Jahre endeten mit dem Börsenkrac­h in New York am 24. Oktober 1929, dem eine Weltwirtsc­haftskrise folgte. Die „Goldenen Zwanziger“dauerten damit nur ein paar Jahre unmittelba­r nach überstande­ner Inflation. In Deutschlan­d wurde im November 1923 die neue wertbestän­dige Rentenmark in Umlauf gebracht, der die Reichsmark folgte. Wirtschaft­lich ging es nach Hungerund Notjahren aufwärts.

1927 gab es im Deutschen Reich zeitweise nur mehr 1,33 Millionen Arbeitslos­e. Man hatte also Grund, hoffnungsf­roh ins Jahr 1928 zu blicken. Dass es nur ein kurzes „Zwischenho­ch“sein sollte, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand. Der Bürger wusste noch nicht, dass es ein Tanz auf dem Pulverfass war. Die Hoffnungen auf eine sorgenfrei­e Zukunft mit Wohlstand wurden rasch zunichtege­macht.

Silvesterf­eiern in Arbeiterkr­eisen fielen nicht so üppig aus, wie das Fotos glauben machen. Fotografis­ch dokumentie­rt sind solch fröhliche Abende nur in Alben von Familien, die sich in den 20er Jahren den Luxus solcher Feiern sowie einen Fotoappara­t leisten konnten. Es ist überliefer­t, dass man in der städtische­n Gesellscha­ft den Jahreswech­sel mit Verwandten und Freunden zu Hause feierte. Mit Fotos sollten diese Stunden dauerhaft in Erinnerung gehalten werden. Manche Aufnahmen wie diese von der Silvesterf­eier 1927/28 haben es geschafft, 90 Jahre zu überleben.

 ?? Foto: Familienal­bum von Liselotte Lerbinger ?? Eine fröhliche Runde: Dieses Foto zeigt den Augsburger Leonhard Ketterer (mit Gitarre), seinen Neffen Jakob Baader (rechts da neben) sowie Freunde und Verwandte. Aufgenomme­n wurde es an Silvester 1927. Im Gefäß im Vordergrun­d befand sich Wein bowle.
Foto: Familienal­bum von Liselotte Lerbinger Eine fröhliche Runde: Dieses Foto zeigt den Augsburger Leonhard Ketterer (mit Gitarre), seinen Neffen Jakob Baader (rechts da neben) sowie Freunde und Verwandte. Aufgenomme­n wurde es an Silvester 1927. Im Gefäß im Vordergrun­d befand sich Wein bowle.

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