Abschied vom „Hotel Mama“
Wenn man den Alltag rund ums Studium selber organisieren muss, tauchen plötzlich viele Hindernisse auf
„Was gibt es heute zu essen, Mama?“Als ich noch zu Hause wohnte, konnte ich die Frage noch ganz naiv stellen. Jetzt stehe ich vor dem eigenen eher leeren Kühlschrank und kann Mama leider nicht fragen, was es denn heute zu essen gibt.
Daheim im Elternhaus waren die meisten Aufgaben noch recht übersichtlich. Spätestens in der ersten WG oder der ersten eigenen Wohnung beginnt aber die organisatorische Herausforderung, um nicht am Alltag zu scheitern. Ich muss eine eigene Balance finden zwischen Lernen und Einkaufen, Waschen und Spülen, Geld verdienen und auch wieder ausgeben. Gerade das erste Semester führte mir anstrengend vor Augen, dass zum Studieren manchmal mehr als das Lernen umständlicher Fachbegriffe gehört.
So stehe ich jetzt beispielsweise frühmorgens auf, um rechtzeitig in der Arbeit zu sein und merke, dass ich unbedingt wieder Pfandflaschen wegbringen sollte. Warum nicht einfach verschieben? Ach ja, weil ich das gestern schon gemacht habe. Ich versuche, die Wohnung schnell zu verlassen, um noch im Supermarkt die Tüte voll mit verschiedensten Behältern abzugeben und trotzdem rechtzeitig in der Arbeit zu erscheinen. Dann stehe ich nach der Fahrt mit der Tram voll beladen endlich vor dem Pfandautomaten. Und schon steigt die erste Hitzewelle in mir auf. Anscheinend bin ich nicht der Einzige, der vor der Arbeit „noch mal schnell“seine Flaschen wegbringen musste. Die zweite Hitzewelle setzt vor der Kasse ein, sobald ich einen ersten Blick auf die Uhr wage: 9.40 Uhr. Jetzt schnell weiter. Mit leichten Schweißperlen rechtzeitig am Arbeitsplatz angekommen, kann ich erst einmal durchatmen – und einen Punkt von der Aufgabenliste streichen.
Nach der Arbeit geht es nicht weniger anstrengend weiter: 15.45 Uhr hält der Professor die Vorlesung. Leider wartet er dabei nicht auf mich. Ich schnappe mir eine Semmel und schaue noch schnell in der Bibliothek vorbei, um die BüBuchseiten cher, die ich mir geliehen habe, rechtzeitig abzugeben. Dies sollte man besser nicht vergessen. Sonst kostet die eigene Vergesslichkeit eine saftige Mahngebühr. Das ist überhaupt weitere Erfahrung, die sich mit dem Auszug aus dem Elternhaus schmerzlich zeigt: Termine und Rechnungsbeträge sollten besser eingehalten und beglichen werden, sonst wird man mit Zusatzkosten daran erinnert.
Wenn ich die Vorlesung überstanden und mich mit Kommilitonen und Kommilitoninnen darüber ausgelassen habe, wie unnötig die anstehende Klausur ist, ist der Gang zum Copyshop am Campus unvermeidlich. Unterlagen und Texte müssen ausgedruckt werden. Am Drucker der Eltern war das noch bequemer. Ohne auf Seitenzahlen zu achten, hatte ich alles für den eigenen Werdegang mit gutem Gewissen gedruckt. Jetzt versuche ich auf Vorder- und Rückseite acht unterzubringen, um möglichst viel Geld und Platz zu sparen. Dabei bin ich offenkundig nicht der Einzige, der auf einen eigenen Drucker verzichtet. Im Copyshop stehe ich in Stoßzeiten zehn Minuten in der Warteschlange, bis ein Gerät frei wird.
Am Ende des Tages kommt auf mich noch die Königsdisziplin der Alltagsbewältigung zu: das Einkaufen. Beim Supermarktbesuch wird mir vor allem die eigene finanzielle Schwäche vor Augen geführt. Auch hier war ich von zu Hause doch noch anderes gewohnt. Jetzt stehe ich vor den Nüssen und versuche, den Kilopreis zu berechnen, um herauszufinden, welche die wirklich günstigeren sind. Aber auch das Einkaufen wird irgendwann zu einem Ritual und kann mit etwas sportlichem Ehrgeiz unter Umständen angenehm werden. Hier gilt ganz besonders der Grundsatz, dass Hunger ein schlechter Ratgeber ist. Dann landet zu viel im Einkaufskorb. Beim Biss ins Abendbrot hat der anstrengende Tag dann aber doch etwas Gutes: Ich kann mich zufrieden zurücklehnen. Alles erledigt. Dumm nur: Dieses schöne Gefühl hält nicht lange an. Die Wäsche ist noch zu machen und für das morgige Seminar sollte noch ein Text gelesen werden...