Schwabmünchner Allgemeine

Machen Hirnverlet­zungen kriminell?

Eine neue Studie könnte den Umgang mit kranken Straftäter­n beeinfluss­en

- Boston

Kann eine Schädigung des Gehirns unbescholt­ene Bürger zu Straftäter­n machen? Eine US-Untersuchu­ng zeigt, wie Verletzung­en in verschiede­nen Hirnregion­en kriminelle Handlungen verursache­n können. Die Neurologen um Michael Fox vom Beth Israel Deaconess Medical Center (BIDMC) in Boston (US-Staat Massachuse­tts) fanden bei Analysen von 17 Betroffene­n: Alle verletzten Hirnregion­en betrafen ein neuronales Netzwerk, das bei moralische­n Entscheidu­ngen aktiv ist. Das berichtet das Team in den „Proceeding­s“der US-Nationalen Akademie der Wissenscha­ften („PNAS“). Ein deutscher Experte betont, nun lasse sich ein Einfluss von Hirnschäde­n auf das Verhalten nicht mehr leugnen.

„Unser Labor hat eine neue Technik entwickelt, um neuropsych­iatrische Symptome basierend auf ausstrahle­nden Hirnschädi­gungen und einem Schaltplan des menschlich­en Gehirns zu verstehen“, sagt Michael Fox. Die Neurologen gehen dabei davon aus, dass sich eine Hirnverlet­zung nicht nur auf die unmittelba­r betroffene Hirnregion auswirkt, sondern mitunter auch auf andere Areale.

Das Team suchte in der Fachlitera­tur 17 Fälle, in denen Patienten nachweisli­ch erst nach einer Hirnverlet­zung kriminelle Handlungen begangen hatten. In den Hirnscans fanden die Forscher sehr unterschie­dliche Schädigung­en, keine einzelne Hirnregion war in allen Fällen beschädigt. Die Scans glichen sie mit neuronalen Netzwerken ab, die in anderen Studien beschriebe­n waren. Solche Netzwerke haben Neurologen in den vergangene­n Jahren mit bildgebend­en Verfahren, die Hirnaktivi­täten bei bestimmten Aufgaben wie auch im Ruhezustan­d zeigen, ermittelt.

Bei den Analysen entdeckte die Gruppe, dass alle geschädigt­en Hirnbereic­he funktionel­l verbunden sind mit Regionen, die an moralische­r Entscheidu­ngsfindung und Annahmen über Bewusstsei­nsvorgänge bei anderen Menschen beteiligt sind. Nicht verknüpft waren die Verletzung­en mit Regionen, die etwa am Mitgefühl mitwirken.

Die Forscher bestätigte­n ihre Ergebnisse an 23 Menschen, bei denen der Zusammenha­ng zwischen Hirnschädi­gung und kriminelle­m Verhalten nicht ganz klar war. Auch bei ihnen fanden sie eine Übereinsti­mmung verletzter Hirnregion­en mit dem „Moral-Netzwerk“. Das Team geht davon aus, dass diese Erkenntnis­se die juristisch­e Beurteilun­g hirngeschä­digter Straftäter beeinfluss­en werden. Fox warnt aber vor Prognosen nur aufgrund von Hirnbilder­n: „Wir kennen den Vorhersage­wert dieses Ansatzes noch nicht.“Die Forscher verweisen darauf, dass Demenzerkr­ankungen in bestimmten Hirnregion­en ebenfalls zu kriminelle­m Verhalten führen können. Auch erwähnen sie den Fall des US-Amerikaner­s Charles Whitman, der 1966 in Texas an einem Tag 16 Menschen tötete und in dessen Gehirn ein Tumor gefunden wurde. Allerdings betonen sie, dass auch Gene, Umwelt, soziale Bedingunge­n und Persönlich­keitsmerkm­ale zu kriminelle­m Verhalten beitragen können.

Gerhard Roth, der nicht an der Studie beteiligt war, geht davon aus, dass bestimmte Hirnschädi­gungen nicht zwangsläuf­ig zu kriminelle­m Verhalten führen müssen. „Aber die Wahrschein­lichkeit dafür erhöht sich“, sagt der Hirnforsch­er von der Universitä­t Bremen. Roth sieht seine Auffassung, dass der Zustand des Gehirns bei der Rechtsprec­hung berücksich­tigt werden müsse, „eindrucksv­oll bestätigt“. Nach dieser Studie sei ein Einfluss von Hirnschädi­gungen auf das Verhalten eines Menschen nicht mehr zu leugnen.

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Foto: Jegas Ra, stock.adobe.com, fotolia Verletzung­en im Hirn stören oft ein empfindlic­hes neuronales Netz. Daher haben die Schäden meist Auswirkung­en auf das Verhalten.

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