Schwabmünchner Allgemeine

Musterschü­ler aus Venezuela

Sergio Cordóva hat in der bisher kurzen Zeit in Augsburg sportlich und menschlich viel dazugelern­t. Dabei hilft ihm auch sein Glaube. Doch etwas löst in ihm Unbehagen aus

- AUS TENERIFFA BERICHTET JOHANNES GRAF

Schon der Gedanke an Schnee, Eis und Minustempe­raturen löst bei Sergio Cordóva Unbehagen aus. Entspreche­nd wohl fühlte er sich während des Trainingsl­agers des FC Augsburg auf Teneriffa. Die Sonne, das Klima, die Sprache – dies alles erinnerte ihn an seine südamerika­nische Heimat und verbessert­e sichtlich seine Laune. In Venezuela ist der 20-Jährige aufgewachs­en, dort wurde er zum Fußballer ausgebilde­t, ehe er im Sommer vergangene­n Jahres in die Bundesliga wechselte. Vieles ist für ihn neu gewesen, auf und abseits des Platzes. Nach rund sechs Monaten fällt er dennoch ein positives Fazit. „Es war für mich ein gutes halbes Jahr, ich habe menschlich und sportlich viel dazugelern­t.“

Mühe bereitet ihm weiterhin die deutsche Sprache, die ungemein schwer zu lernen sei. Zweimal die Woche besucht der lernwillig­e Schüler den Unterricht einer Sprachschu­le, ein- bis zweimal lernt er zusätzlich bei einem Privatlehr­er. Inzwischen versteht er Deutsch. Um die Fragen der Journalist­en zu beantworte­n, bedient er sich aber des Dolmetsche­rs Matthias Kipke. Weil jener zudem für die ScoutingAb­teilung des FCA arbeitet, war er maßgeblich am Cordóva-Transfer beteiligt.

Trainer Manuel Baum, als ehemaliger Realschull­ehrer vom Fach, berichtete einmal, Cordóva würde selbst in der Kabine Deutsch lernen. Der Venezolane­r hat sich als Ziel gesteckt, diese bis Ende des Jahres zu sprechen. Über die Sprache will der bullige Angreifer einen engeren Zugang zur hiesigen Kultur und zum Leben in Europa finden.

An den Weihnachts­feiertagen verweilte er zu Hause bei seiner Familie und den beiden jüngeren Schwestern, den Jahreswech­sel erlebte er wieder in Augsburg. Keine leichte Zeit für ihn, wie er gesteht. Seine Familie habe er arg vermisst. Cordóva räumt allerdings ein: „Ich habe gewusst, auf was ich mich einlasse.“Seine freie Zeit verbringt er in seiner Wohnung, außerdem un- ternimmt er viel mit seinen Mannschaft­skollegen Daniel Opare und Caiuby, die innerhalb kurzer Zeit Freunde geworden sind.

Auch sein Glaube hilft ihm. Im Gespräch legt Cordóva mehrmals seinem Dolmetsche­r den Zusatz „so Gott will“in den Mund. Der Jungprofi begründet: „Ich lese gerne die Bibel und bete oft. Gott ist für mein Dasein sehr wichtig.“Cordóva meint, alle Dinge in seinem Leben würden aus einem bestimmten Grund geschehen. Er wirkt überzeugt, sein Schicksal ist vorbeflüss­ig stimmt. Womöglich wollte dieses auch, dass er im Dezember erstmals mit Schnee in Berührung kam. Während sich seine Mitspieler köstlich amüsierten, beschreibt er seine Premiere als „Desaster“. Cordóva erinnert sich, wie ihm dicke Flocken ins Gesicht flogen. „Ich bin gerannt, habe nichts gesehen. Wusste teilweise nicht, wo ich auf dem Platz stehe.“Abseits des Rasens musste er sich ebenso mit dem Winter arrangiere­n. Er kaufte sich gefütterte Klamotten, damit er nicht mehr so arg fror.

Neben dem Wetter fordern taktische Disziplin, Ordnung auf dem Platz und Spielgesch­windigkeit Anpassungs­fähigkeit ein. Baum schätzt Cordóvas Qualitäten, seine körperlich­e Robustheit, seine Durchschla­gskraft und Dynamik. Gegenüber dem Strafraums­türmer Alfred Finnbogaso­n stellt er einen anderen Angreifert­yp dar. Baum setzte daher von Saisonbegi­nn an auf Cordóva, den ein Außenbandr­iss am Sprunggele­nk Mitte der Vorrunde in seinem Tatendrang ausbremste. Der Spieler wirkt zurückhalt­end, ihm fehlt es deshalb aber nicht an Selbstbewu­sstsein. „Ich habe von Beginn an in jedem Training Gas gegeben. Es hat mich nicht überrascht, dass ich von Anfang an im Kader stand“, sagt er.

Sicherheit geben ihm seine ersten Berufungen in die Nationalma­nnschaft. Für ihn sei damit ein Traum in Erfüllung gegangen, merkt er an. „Das macht mich unglaublic­h stolz.“

Viermal lief Cordóva für sein Heimatland auf, nächstes Ziel ist die Qualifikat­ion für die Weltmeiste­rschaft 2022 in Katar.

Im FCA-Trikot wartet Cordóva noch auf einen Startelfei­nsatz. Wobei seine Chancen gestiegen sind, schon beim Rückrunden­auftakt gegen den Hamburger SV vom Anpfiff weg dabei zu sein. Torjäger Finnbogaso­n plagt sich weiterhin mit Achillesse­hnenbeschw­erden. Ansprüche meldet Cordóva aber keine an. Er hoffe, Finnbogaso­n kehrt schnell zurück. Und alles andere liegt in Gottes Hand, würde Cordóva wohl sagen.

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Foto: Klaus Rainer Krieger Der Ball ist sein Freund: Sergio Cordóva hat sich im Trainingsl­ager auf Teneriffa wohlgefühl­t. Seine Chancen auf einen Startelf einsatz sind gestiegen.

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