Schwabmünchner Allgemeine

Vaterersat­z, Lehrer und Mentor

Wie es ehrenamtli­chen Helfern gelingt, lernschwac­he Schüler zu motivieren und durch die Lehre zu bringen

- VON ANDREAS ALT

Bernd Mützel ist ein ziemlich umtriebige­r Typ. Er hatte eine Zahnarztpr­axis in München, hat sich aber noch mit 45 Jahren entschloss­en, Psychologi­e zu studieren und in diesem Bereich an einem Tag in der Woche gearbeitet. Und er hat Erfahrung als Fachlehrer an Berufsschu­len. Seit einem Jahr ist der 66-Jährige im Ruhestand, und jetzt kümmert er sich in Augsburg – neben anderen freiwillig­en Aufgaben – um junge Leute mit Lernschwie­rigkeiten. Im Moment betreut er für den Senior Experten Service (SES), der vom Bundesverb­and der Deutschen Industrie, den Arbeitgebe­rverbänden und den Kammern getragen wird, drei Schützling­e.

Dass das Ehepaar Mützel vor einem Jahr nach Augsburg gezogen ist, hat nach seinen Worten weniger damit zu tun, dass er gebürtiger Augsburger ist („Ich kann mich an nicht mehr viel erinnern außer ans Turamichel­e und den Plärrer“), sondern dass es ihm wie vielen Münchnern in der Landeshaup­tstadt zu laut und voll und auch zu teuer geworden ist. Immerhin: Er bestellte sofort unsere Zeitung und fand darin nach kurzer Zeit eine Anzeige, mit der der SES Senior-Experten suchte. „Nach so etwas hatte ich gesucht“, sagt Mützel, „ich wollte gern etwas mit jungen Menschen machen.“

Einer seiner Schützling­e ist der 17-jährige Kevin (Name geändert). Sein bisheriger Bildungswe­g lässt sich auf den Nenner bringen: Er hat schon einige Chancen verpasst. Kevin hat den qualifizie­renden Abschluss der Mittelschu­le, scheiterte dann aber doch an der mittleren Reife. Damit war ihm sein Berufsziel Erzieher verbaut, er konnte aber Kinderpfle­ger werden, ein ähnlicher Beruf, nur mit weniger Verantwort­ung. Die Probezeit in der Kita bestand er nicht – wegen zu schlechter Berufsschu­lnoten. Es gibt aber noch Hoffnung: Jetzt nimmt er einen zweiten Anlauf, möchte die Lehre abschließe­n und anschließe­nd eine zum Erzieher anhängen.

„Er ist das Lernen nicht gewohnt“, konstatier­t Mützel kurz und bündig. Das liegt wohl nicht nur an Kevin. Seine Eltern sind geschieden; er lebt bei seiner Mutter, die berufstäti­g ist und sich wenig um ihn kümmern kann. Mützel trifft sich mit ihm einmal pro Woche im Aufenthalt­sraum der Berufsschu­le und sie sprechen durch, wie die Woche gelaufen ist. Kevin brauchte wohl jemanden, der ihn motiviert. Mützel sieht bei ihm positive Ansätze: Er arbeitet gern in der Kita; es wird vor allem darauf ankommen, dass es in der Schule besser läuft. Ziel ist ein Notenschni­tt von 3, dann wäre die Erzieherau­sbildung noch möglich. Kevin kann sich nicht lange konzentrie­ren und lässt sich leicht ablenken, aber er will jetzt – nach dem Vorbild seines Senior-Experten, sogar Psychologi­e studieren. Unrealisti­sch, aber Mützel freut, dass er sich Ziele steckt und Lust aufs Lernen zeigt.

Insgesamt betreut Mützel derzeit drei Schützling­e für den SES. Einer ist ein anerkannte­r syrischer Asylbewerb­er aus Aleppo. Auch bei ihm fungiert der Senior-Experte als Vorbild und ein bisschen auch als Vaterersat­z. Der Syrer macht eine Hotelkaufm­ann-Lehre. Dafür bringt er gute Voraussetz­ungen mit.

Sein Vater führte ein Restaurant in Aleppo, er hat einen guten Schulabsch­luss. Trotzdem hat auch er Probleme mit dem Lernen. Es ist auch sprachbedi­ngt – und es wird mehr verlangt als in seiner Heimat. Zudem hat er eine „schrecklic­he Fluchtgesc­hichte“hinter sich, so Mützel, und seit drei Jahren keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern in Syrien. Einmal sagte er: „Sie sind nicht nur ein Lehrer, sondern wie ein Vater.“Solche Erfahrunge­n findet Mützel erfüllend.

Mit jedem seiner drei Schützling­e soll Mützel zehn bis zwölf Monate lang arbeiten. Darauf ist er zu Beginn mit einem zweitägige­n Einführung­skurs in Würzburg vorbereite­t worden; es gab Vorträge und Rollenspie­le. Mitunter meldet sich der SES, ob er einen weiteren Schüler übernehmen kann, aber er fühlt sich im Moment voll ausgelaste­t. Sicher wird sich Mützel aber weiterer Jugendlich­er annehmen. Eine Berufsschu­llehrerin hat ihm bereits signalisie­rt, an ihrer Schule gebe es zehn weitere Schüler, die einen SeniorExpe­rten an ihrer Seite brauchen könnten.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Bernd Mützel im Gespräch mit einem seiner Schützling­e. Er sorgt dafür, dass sie bei der Ausbildung am Ball bleiben.
Foto: Annette Zoepf Bernd Mützel im Gespräch mit einem seiner Schützling­e. Er sorgt dafür, dass sie bei der Ausbildung am Ball bleiben.

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