Vaterersatz, Lehrer und Mentor
Wie es ehrenamtlichen Helfern gelingt, lernschwache Schüler zu motivieren und durch die Lehre zu bringen
Bernd Mützel ist ein ziemlich umtriebiger Typ. Er hatte eine Zahnarztpraxis in München, hat sich aber noch mit 45 Jahren entschlossen, Psychologie zu studieren und in diesem Bereich an einem Tag in der Woche gearbeitet. Und er hat Erfahrung als Fachlehrer an Berufsschulen. Seit einem Jahr ist der 66-Jährige im Ruhestand, und jetzt kümmert er sich in Augsburg – neben anderen freiwilligen Aufgaben – um junge Leute mit Lernschwierigkeiten. Im Moment betreut er für den Senior Experten Service (SES), der vom Bundesverband der Deutschen Industrie, den Arbeitgeberverbänden und den Kammern getragen wird, drei Schützlinge.
Dass das Ehepaar Mützel vor einem Jahr nach Augsburg gezogen ist, hat nach seinen Worten weniger damit zu tun, dass er gebürtiger Augsburger ist („Ich kann mich an nicht mehr viel erinnern außer ans Turamichele und den Plärrer“), sondern dass es ihm wie vielen Münchnern in der Landeshauptstadt zu laut und voll und auch zu teuer geworden ist. Immerhin: Er bestellte sofort unsere Zeitung und fand darin nach kurzer Zeit eine Anzeige, mit der der SES Senior-Experten suchte. „Nach so etwas hatte ich gesucht“, sagt Mützel, „ich wollte gern etwas mit jungen Menschen machen.“
Einer seiner Schützlinge ist der 17-jährige Kevin (Name geändert). Sein bisheriger Bildungsweg lässt sich auf den Nenner bringen: Er hat schon einige Chancen verpasst. Kevin hat den qualifizierenden Abschluss der Mittelschule, scheiterte dann aber doch an der mittleren Reife. Damit war ihm sein Berufsziel Erzieher verbaut, er konnte aber Kinderpfleger werden, ein ähnlicher Beruf, nur mit weniger Verantwortung. Die Probezeit in der Kita bestand er nicht – wegen zu schlechter Berufsschulnoten. Es gibt aber noch Hoffnung: Jetzt nimmt er einen zweiten Anlauf, möchte die Lehre abschließen und anschließend eine zum Erzieher anhängen.
„Er ist das Lernen nicht gewohnt“, konstatiert Mützel kurz und bündig. Das liegt wohl nicht nur an Kevin. Seine Eltern sind geschieden; er lebt bei seiner Mutter, die berufstätig ist und sich wenig um ihn kümmern kann. Mützel trifft sich mit ihm einmal pro Woche im Aufenthaltsraum der Berufsschule und sie sprechen durch, wie die Woche gelaufen ist. Kevin brauchte wohl jemanden, der ihn motiviert. Mützel sieht bei ihm positive Ansätze: Er arbeitet gern in der Kita; es wird vor allem darauf ankommen, dass es in der Schule besser läuft. Ziel ist ein Notenschnitt von 3, dann wäre die Erzieherausbildung noch möglich. Kevin kann sich nicht lange konzentrieren und lässt sich leicht ablenken, aber er will jetzt – nach dem Vorbild seines Senior-Experten, sogar Psychologie studieren. Unrealistisch, aber Mützel freut, dass er sich Ziele steckt und Lust aufs Lernen zeigt.
Insgesamt betreut Mützel derzeit drei Schützlinge für den SES. Einer ist ein anerkannter syrischer Asylbewerber aus Aleppo. Auch bei ihm fungiert der Senior-Experte als Vorbild und ein bisschen auch als Vaterersatz. Der Syrer macht eine Hotelkaufmann-Lehre. Dafür bringt er gute Voraussetzungen mit.
Sein Vater führte ein Restaurant in Aleppo, er hat einen guten Schulabschluss. Trotzdem hat auch er Probleme mit dem Lernen. Es ist auch sprachbedingt – und es wird mehr verlangt als in seiner Heimat. Zudem hat er eine „schreckliche Fluchtgeschichte“hinter sich, so Mützel, und seit drei Jahren keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern in Syrien. Einmal sagte er: „Sie sind nicht nur ein Lehrer, sondern wie ein Vater.“Solche Erfahrungen findet Mützel erfüllend.
Mit jedem seiner drei Schützlinge soll Mützel zehn bis zwölf Monate lang arbeiten. Darauf ist er zu Beginn mit einem zweitägigen Einführungskurs in Würzburg vorbereitet worden; es gab Vorträge und Rollenspiele. Mitunter meldet sich der SES, ob er einen weiteren Schüler übernehmen kann, aber er fühlt sich im Moment voll ausgelastet. Sicher wird sich Mützel aber weiterer Jugendlicher annehmen. Eine Berufsschullehrerin hat ihm bereits signalisiert, an ihrer Schule gebe es zehn weitere Schüler, die einen SeniorExperten an ihrer Seite brauchen könnten.