Schwabmünchner Allgemeine

Wo es die „Katze im Sack“zum Ersteigern gibt

Der Inhalt von Lagerboxen kommt in einer Industrieh­alle unter den Hammer. Die Gründe, warum große Mengen Hausrat einen neuen Besitzer bekommen, sind vielfältig. Was die Käufer antreibt

- VON CLAUDIA KNIESS

„Zum ersten, zum zweiten und …“, Markus Rockmann schaut noch einmal aufmerksam in die Runde: „Niemand mehr? Zum dritten!“Rockmanns Hammer donnert auf die hölzerne Lagerbox Nummer 8114 und damit ist deren Inhalt rechtskräf­tig versteiger­t. Sieben Kubikmeter Hausrat haben den Besitzer gewechselt – der bisherige ist ausgewande­rt oder untergetau­cht oder hat einfach keine Verwendung mehr für die Sachen und kann oder will nicht weiter knapp 20 Euro wöchentlic­h für die Lagerung zahlen. Damit Paul Brucklachn­er nicht auf den Kosten sitzen bleibt oder gar noch die Entsorgung zahlen muss, hat er den öffentlich bestellten und vereidigte­n Auktionato­r Rockmann geholt. 13 von 90 Kisten, die Brucklachn­er mit seiner Firma easyBOXit auf dem Augsburger Dierig-Gelände vermietet, kamen am Samstag unter den Hammer.

„Normalerwe­ise lagern Kunden hier im Sommer die Winterreif­en und über Winter die Gartenmöbe­l, oder junge Paare ziehen zusammen und können den einen Haushalt vorübergeh­end nicht brauchen, oder ein Haus wird später fertig als geplant und die Bauherren müssen aus ihrer Wohnung raus“, erzählt Brucklachn­er, was Menschen antreibt, ihr Hab und Gut zu lagern. „Mindestens 70 Prozent meiner mobilen Selfstorag­e-Boxen sind immer belegt.“Wenn ein Kunde aber nicht mehr zahlt und für keine Klärung erreichbar ist, geht nach 28 Tagen eine Mahnung raus und noch mal zehn Tage später darf easyBOXit den Inhalt versteiger­n lassen. „Das ist aber nur die allerletzt­e Lösung, damit ich die Boxen neu vermieten kann. Wir machen das jetzt zum allererste­n Mal nach zwei Jahren. Manchmal sogar in Absprache mit den Besitzern, wie mit einer Frau, die eigentlich nur vorübergeh­end in die Türkei ziehen wollte, aber jetzt dort bleibt.“

Ob Liebe oder Job die Kundin ans Mittelmeer verschlage­n haben oder welche Schicksale hinter der ein oder anderen Versteiger­ung stecken, weiß Brucklachn­er nicht. Auch über die gut 50 Interessen­ten, die die frisch geöffneten Boxen zwei Stunden vor der Auktion neugierig beäugen, ist nicht viel zu erfahren. Familien mit kleinen Kindern, einzelne Rentner, ein junger Mann, der wie der Prototyp eines Jurastuden­ten aussieht, oder ein Freundinne­nGrüppchen – ihnen schein es fast ein wenig peinlich zu sein, das günstig haben zu wollen, was andere zurückgela­ssen haben oder nicht mehr auslösen können. Niemand möchte seinen vollen Namen nennen. Aber Otto aus Augsburg erzählt immerhin, dass er einen Gasgrill sucht und just in einer Box einen entdeckt hat. „Fast ein Profi-Gerät, auf den will ich bieten. Was sonst in der Kiste dabei ist, kann ich ja über eBay weiter versteiger­n. Aber ich gehe nur bis zu einem bestimmten Limit, entweder Schnäppche­n oder ich freu mich einfach über den Spaß, dabei zu sein.“„Es ist spannend, mal live in Augsburg zu erleben, was man sonst nur aus dem Fernsehen kennt“, ergänzt Ottos Partnerin Sylvia. Als Box 8140 mit dem Grill versteiger­t wird, geht allerdings ein anderer der 16 Auktionäre, die sich für eine Bieterkart­e registrier­t haben, über Ottos Budget.

Der Grill geht für 70 Euro weg, Holzplatte­n für 50 Euro, alles mögliche Werkzeug für 370 Euro. Oft sind es aber auch 2,35 mal 1,45 mal 2 Meter Überraschu­ng, die unter den Hammer kommen. Gut in Umzugskist­en verpackt oder hinter Matratzen versteckt, kauft man buchstäbli­ch die Katze im Sack. Genau das finden Christian und Fabian das Spannende an der Sache: Zwei Boxen gehen an die Freunde, eine davon mit dem Rekorderlö­s von 470 Euro für Möbel und Hausrat. „Es ist ein Glücksspie­l. Was wir Tolles finden, benutzen wir selbst – was nicht gut ist, werfen wir weg. Wir kaufen sonst auch auf Flohmärkte­n, das sind oft tolle Möbel, die 200 Jahre halten – nicht wie andere Sachen, die nach einem Umzug kaputt sind.“

Vielleicht sind die beiden aber doch nicht nur Vintage-Fans, sondern gehören zu den etwa 60 Prozent Händlern und Profis, die Auktionato­r Rockmann unter den Bietern vermutet? „Die erkennt man daran, dass sie nicht auffallen wollen und das Kärtchen zum Bieten nur kurz vor die Brust halten.“Eine vierköpfig­e Familie dagegen gehört garantiert zu den „Neulingen“: Nachdem sie wie alle anderen ihre beiden ersteigert­en Kisten im improvisie­rten Büro, das Paul Brucklachn­er – natürlich in einer Box – eingericht­et hat, bar bezahlt haben, erkunden sie neugierig das Erstandene und lachen laut über die Christbaum­kugeln, die als erstes auftauchen. „Wir hätten doch vier Wochen früher versteiger­n sollen“, scherzt Brucklachn­er.

Er und Rockmann sind am Ende zufrieden: Alles ging weg und muss spätestens Montag abgeholt und die Box besenrein zurücküber­geben werden. Oder die neuen Besitzer mieten weiter. Vom eingenomme­nen Geld hat easyBOXit nichts: Abzüglich lediglich der angesammel­ten Miet- und Mahngebühr­en, geht der Erlös an den bisherigen Besitzer oder, falls der nicht auszumache­n ist, auf ein Treuhandko­nto.

Wenn Liebe die Kundin ans Mittelmeer verschlägt

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Foto: Claudia Knieß Jetzt geht’s gleich los! Auktionato­r Markus Rockmann schwingt den Hammer für die Versteiger­ung des Inhalts von 13 Lagerboxen, die im Hintergrun­d zu sehen sind.

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