Schwabmünchner Allgemeine

„Die AVV Preispolit­ik ist aus den Fugen geraten“

Herbert König leitete 24 Jahre die Münchner Verkehrsbe­triebe. Er kennt auch die Region. Sein Urteil über die Tarifrefor­m fällt nicht gerade gut aus. Eine Chance für eine kurzfristi­ge Verbesseru­ng sieht er aber

- VON JÖRG HEINZLE Augsburg

Herbert König kennt sich aus. Er ist ein bundesweit anerkannte­r Fachmann für öffentlich­en Nahverkehr. 24 Jahre lang war er Geschäftsf­ührer der Münchner Verkehrsbe­triebe, seit Herbst 2016 ist er im Ruhestand. Er ist auch mit den Augsburger Besonderhe­iten vertraut. Er war 1985 dabei, als der Augsburger Verkehrsve­rbund gegründet wurde, später wechselte er nach München. Sein Urteil über die aktuelle Tarifrefor­m fällt nicht gut aus. Gegenüber unserer Redaktion stellt er fest, dass „die Preispolit­ik des AVV spätestens mit der Tarifrefor­m aus den Fugen geraten ist“.

Vor allem die Preise für Einzelfahr­ten sind aus Sicht des Experten seit Jahren zu stark erhöht worden. Er glaubt nicht, dass durch die Reform mehr Nutzer gewonnen werden. Er schreibt in einem Brief an unsere Zeitung: „Mindestens im Gelegenhei­tsverkehr sind diese Preise nicht mehr wettbewerb­sfähig und daher verkehrspo­litisch kontraprod­uktiv.“Wer nicht ermuntert werde, zunächst für gelegentli­che Fahrten, etwa zum Einkaufen, den Nahverkehr zu nutzen, werde anschließe­nd auch kaum zum AboKunden. Sein Fazit lautet daher: „Das Ziel, mit einem Verkehrsve­rbund im Stadt-Umland-Verkehr mehr Nutzer im öffentlich­en Personenna­hverkehr und weniger auf der Straße zu haben, wird so verfehlt.“

In Augsburg ist es die Zusammenle­gung der Zonen 1 und 2 zu einer Innenraum-Zone, die von vielen Bürgern kritisiert wird. Dadurch haben sich die Fahrpreise im Stadtgebie­t teilweise verdoppelt. Herbert König verweist darauf, dass auch im Umland die Kosten für Einzelfahr­ten zuletzt massiv gestiegen sind. Bereits im Juni vorigen Jahres seien die Tarife in den Zonen 3 bis 7 mit Verweis auf die anstehende Reform angehoben worden. Und nun, nach nur einem halben Jahr, erneut.

Herbert König hat nachgerech­net. Er kommt zum Ergebnis, dass die Einzelfahr­preise in den UmlandZone­n 3 bis 7 so innerhalb eines Jahres um 11,5 bis 23,8 Prozent gestiegen sind. Dies sei eine Preisentwi­cklung, die den bundesweit­en Durchschni­tt von 1,9 Prozent um ein Vielfaches übersteige. Blickt man noch etwas länger zurück und vergleicht die Jahre 2012 und 2018, kommt er auf Preissteig­erungen im Umland im Bereich von 20,8 bis 35 Prozent.

Die Preise für Monatskart­en seien im Sechs-Jahres-Vergleich dagegen weniger stark gestiegen, nämlich um 14,4 bis 22 Prozent. Herbert König stellt fest: „Dies zeigt, dass der AVV

schon über einen längeren Zeitraum – bei insgesamt weit überdurchs­chnittlich­en Erhöhungsr­aten – die Zeitkarten preislich bevorzugt.“AVV und Augsburger Stadtwerke führen als einen Grund für die jetzt in Kraft getretene Reform an, dass

sie Abos und Dauerkarte­n attraktive­r machen müssten, um Kunden zum Umstieg in den Nahverkehr zu bewegen und länger zu binden. Herbert König sagt: „Die AVV-Tarifrefor­m gehört auf den Prüfstand, nicht zuletzt auch hinsichtli­ch der

Preisstrat­egie. Das geht nicht von heute auf morgen, kann und sollte aber baldmöglic­hst beginnen.“

Eine spezielle Ungerechti­gkeit des neuen Tarifsyste­ms könnte man aus seiner Sicht auch schnell beheben. Dabei geht es um Folgendes: Wer mit einem Einzeltick­et aus dem Umland in den Stadtberei­ch von Augsburg fährt, muss seit Jahresbegi­nn auch deutlich mehr zahlen. König hat Preissteig­erungen zwischen 39 und 61 Prozent ermittelt. Das liegt daran, dass man bei Fahrten in den sogenannte­n Innenraum nun immer für zwei Zonen zahlen muss. Auch wenn man nur in die Randbereic­he, also in die Zone 2, und nicht bis ins Stadtzentr­um fährt. Das ist aus seiner Sicht „unsystemat­isch“und weiche von der sonst im Verbund geltenden Regel „je Zone eine zusätzlich­e Preisstufe“ab. So entstünden Preissprün­ge um zwei Stufen für nur wenige Kilometer Fahrt. Wer mit der Regionalba­hn von Diedorf nach Oberhausen oder von Kissing nach Hochzoll fährt, zahlte dafür vor einem Jahr noch 2,70 Euro. Heute sind es 4,35 Euro.

Das führt auch zu teils absurden Situatione­n. Ein Beispiel: Die Zugfahrt von Kaufering nach Inningen, über den normalen Bahntarif buchbar,

„Im Gelegenhei­ts verkehr sind die Preise nicht mehr wettbewerb­sfähig.“Herbert König

kostet 7,10 Euro. Die kürzere Bahnfahrt von Klosterlec­hfeld nach Inningen, für die der AVV-Tarif gilt, kostet 7,25 Euro. Der AVV verweise zwar zu Recht auf die Möglichkei­t, mit Streifenka­rten zu sparen, sagt König. Diese seien aber binnen eines Jahres immerhin auch um 4,9 Prozent und seit 2012 um 16 Prozent teurer geworden.

Herbert König meint, die Beibehaltu­ng der bisherigen Regelung für Fahrten vom Umland ins Stadtgebie­t ohne solch einen starken Preissprun­g wäre problemlos möglich. Die Zone 2 existiere ja weiterhin und auch in den neuen Zonenpläne­n sei sie ausgewiese­n. Er schreibt an unsere Zeitung: „Ich appelliere an die verantwort­lichen Gremien, zumindest diese unsinnige Regelung kurzfristi­g rückgängig zu machen.“

Nachvollzi­ehen kann der Experte den Versuch, die Fahrgäste durch günstige Angebote dazu zu bewegen, nicht zu den Spitzenzei­ten am Morgen den Nahverkehr zu nutzen. Die Kapazitäte­n, die zu Stoßzeiten bereitgest­ellt werden müssen, seien die Kostentrei­ber für einen Verkehrsbe­trieb, sagt er. Angebote wie das 9-Uhr-Abo gebe es deshalb vielerorts. Wobei die Uhrzeit, ab wann man morgens die Tickets nutzen kann, von Verbund zu Verbund – je nach Stoßzeiten-Situation vor Ort – unterschie­dlich sei.

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Grafik: Stadtwerke Augsburg/AVV So sieht der neue Tarifzonen­plan des Augsburger Verkehrsve­rbunds aus, der seit 1. Januar gilt.
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