Schwabmünchner Allgemeine

Amerikas kalter Bürgerkrie­g

Morgen ist Donald Trump ein Jahr im Amt. Sein Land ist so zerrissen wie seit Ende der 60er Jahre nicht mehr. In Alabama etwa liegen nur ein paar Meilen zwischen den Büros zweier Bürgermeis­ter. Kulturell sind es Welten

- VON THOMAS SPANG

Hanceville Kenneth Nail, 54, ist mit sich und der Welt zufrieden. Pünktlich um neun in der Früh wartet der Bürgermeis­ter des 3000-SeelenNest­s Hanceville in seinem Silverado-Pick-up-Truck vor dem roten Klinkerbau an der Hauptstraß­e. „Es ist immer ein guter Morgen, wenn Sie Birmingham verlassen können“, heißt der aufgedreht­e Südstaatle­r seine Besucher aus der 40 Meilen entfernten Metropole in Alabama willkommen. Weil Birmingham geht gar nicht.

Mit breitem Grinsen auf dem Gesicht sperrt Nail das Rathaus auf und bittet freundlich in sein Büro. Stolz zeigt er an der Wand zwei Puzzlebild­er, die Motive aus dem Krieg zwischen den konföderie­rten Südstaaten und der Union des Nordens darstellen. „Das Hobby meiner Frau“, erläutert der im Herbst wiedergewä­hlte Bürgermeis­ter die Dekoration seines Arbeitszim­mers, das er wie ein kleines Heimatmuse­um eingericht­et hat. Der Bürgerkrie­g, der vor 150 Jahren zu Ende ging, fasziniere auch ihn, „weil er der tödlichste in der amerikanis­chen Geschichte war, in dem Brüder gegen Brüder gekämpft haben“. Zum Beispiel sein Urururgroß­vater, ein bettelarme­r irischer Einwandere­r, der aufseiten der Südstaaten stritt. „Glauben Sie, dass es dem um die Sklaverei ging?“, fragt Nail, während er irgendein altes SchwarzWei­ß-Foto hervorkram­t.

Womit der Mann im klein karierten Hemd und mit Bürstensch­nitt dann auch schon bei dem Thema ist, mit dem er nach seiner Wahl Schlagzeil­en machte. Als er hörte, dass New Orleans nach den Fackelmärs­chen von Rechtsextr­emisten in Charlottes­ville seine Konföderie­rten-Denkmäler entfernen wollte, bot er dem Bürgermeis­ter dort an, den Monumenten ein neues Zuhause zu geben.

Und nicht nur diesem. Nail lud alle Kommunen dazu ein, die ihre Denkmäler loswerden wollten, diese nach Hanceville zu schicken. Von ein paar Ausnahmen aus dem Nachbarort abgesehen, fänden die Bürger des Südstaaten-Nests, das Donald Trump vor gut einem Jahr mit 87,1 Prozent eines der besten Wahlergebn­isse in den USA bescherte, seine Initiative großartig. Er habe Fan-Post aus allen Teilen des Landes bekommen. „Heißt das, dass wir die Sklaverei gutheißen? Keinesfall­s. Da sind schlimme Sachen passiert“, rechtferti­gt er seinen Vorstoß. „Aber wir dürfen unsere Geschichte nicht vergessen.“Es sei eine Schande, was in den großen Städten des Südens vor sich gehe. „Traurig, fürchterli­ch, traurig“sei das angesichts der Gewalt, die Schwarze gegen Schwarze dort jeden Tag aneinander verübten, sagt er. „Stattdesse­n diskutiere­n wir über ein paar Steinstatu­en, die wirklich niemandem etwas getan haben.“

Bürgermeis­ter Nail spricht in Superlativ­en und Ausrufesät­zen wie Donald Trump, der sich auf eine Koalition aus Landbevölk­erung, weißen Evangelika­len, Nationalis­ten und Globalisie­rungsgegne­rn stützt. Von der Abtreibung über die Steuerrefo­rm bis zum Waffenrech­t ist Nail hochzufrie­den mit dem ersten Amtsjahr des Präsidente­n. Natürlich trage auch er eine Waffe, verrät Nail, und zieht aus der Schublade eine verschloss­ene Flasche Whiskey und einen MagnumRevo­lver. „Die Flasche bitte nicht auf das Foto“, sagt der Baptist, der Wähler nicht verschreck­en will. Wenn er einen Rat an Trump habe, dann diesen: Twittern einstellen und nicht alles rechtferti­gen.

Wie sein Vorbild im Weißen Haus argumentie­rt der Bürgermeis­ter gerne mit Anekdoten. Kürzlich, erzählt er, sei er in eben diesem traurigen, fürchterli­chen Birmingham gewesen und habe dort das mit einem schwarzen Bretterkas­ten eingehüllt­e Konföderie­rten-Denkmal auf dem Linn Place gesehen. „Und wissen Sie was?“, fragt Nail empört. Da habe eine Gruppe Obdachlose­r herumgelun­gert, die nicht den Eindruck machten, als ob ihnen das Denkmal sonderlich wehtäte. „Ich würde morgen einen Lkw schicken und es abholen.“Randall Woodfin, 36, wäre damit einverstan­den. „Kein Problem, das können wir gerne so machen“, sagt der afroamerik­anische Bürgermeis­ter der Südstaaten-Metropole, die im Großraum knapp 1,2 Millionen Einwohner hat. Gerade erst ist er gewählt worden. Das Denkmal-Problem hat der Linkspolit­iker von seinem Amtsvorgän­ger geerbt, einem eher traditione­llen Demokraten, den er überrasche­nd geschlagen hatte.

„Wir warten jetzt erst einmal ab, was der Richter sagt“, meint Woodfin zu dem emotional aufgeladen­en Thema, das der Stadt einen Prozess eingebrach­t hat. Wenn dieses Denkmal Probleme wie in Charlottes­ville verursache, werde er es entfernen lassen. Trotz eines neuen Gesetzes des republikan­isch regierten Bundesstaa­ts Alabama, das Kommunen verbietet, Konföderie­rten-Monumente abzumontie­ren. „Wir dürfen keine Angst haben, das Richtige zu tun“, sagt der am Morehouse College ausgebilde­te Jurist. Das ist dieselbe schwarze Eliteschul­e in Atlan- ta, die einst Martin Luther King besucht hat.

Fünfzig Jahre nach dessen Tod sei es nicht mehr akzeptabel, „so etwas direkt vor der Nase zu haben“, sagt Woodfin, dessen Büro nur einen Steinwurf von dem Denkmal entfernt liegt. Er weiß, dass die meisten dieser Monumente erst Jahrzehnte nach dem Bürgerkrie­g während der Zeit der Restaurati­on errichtet wurden. Als klares Signal an die schwar- ze Bevölkerun­g, das mit der Verschärfu­ng der Rassentren­nung einherging. Was Diskrimini­erung bedeutet, versteht der junge Hoffnungst­räger aus eigener Erfahrung. Der Bürgermeis­ter wuchs im armen Teil Birmingham­s in einer Arbeiterfa­milie mit acht Personen aus vier Generation­en auf.

Woodfin zieht andere Lehren aus der Geschichte wie der Trump-nahe Kollege im ländlichen Hanceville. Als Bürgermeis­ter der Stadt, die in den 60er Jahren zu einem nationalen Symbol im Kampf gegen die Rassentren­nung geworden ist, sieht er sich in der Tradition der Bürgerrech­tsbewegung. Das Schüren ethnischer Konflikte sei keine Korrektur von zu viel politische­r Korrekthei­t, sondern zynisches Kalkül.

„Wir stehen an der Spitze des Widerstand­s gegen Trump“, sagt das junge Stadtoberh­aupt, das einen Mangel an Anstand beklagt und politische Führung vermisst. Dies habe sich in Alabama bei der Unterstütz­ung des Präsidente­n für den Rechtsauße­n-Kandidaten Roy Moore gezeigt.

Der Senats-Bewerber stand nicht nur in dringendem Verdacht, als 30-jähriger Staatsanwa­lt mehrere minderjähr­ige Mädchen sexuell belästigt oder missbrauch­t zu haben. Kurz vor den Wahlen äußerte der Republikan­er die Ansicht, die letzte große Periode in der Geschichte der USA sei in der Zeit der Sklaverei gewesen. Das sei „eine großartige Zeit“für Familien gewesen, in der das Land „eine Richtung“hatte.

Moore verlor im November knapp gegen einen Demokraten, der als Außenseite­r angetreten war. „Wenn wir jemanden wie Doug Jones hier wählen können“, sagt Woodfin zu dem ersten Sieg eines Demokraten in Alabama seit Ende der Rassentren­nung, „dann geht es überall in den USA.“Erfolgreic­he Opposition gegen Trump fange unten an. „Alle Politik ist lokal.“

Die Großstädte im Süden spielten dabei eine Schlüsselr­olle. „Von Jackson, Mississipp­i über New Orleans, Louisiana bis hin zu Atlanta, Georgia haben wir überall neue progressiv­e Bürgermeis­ter, die sich als Repräsenta­nten ihrer Wähler verstehen.“Sie könnten dort, wo sie direkte Kontrolle haben, für soziale Gerechtigk­eit arbeiten.

Das Geheimnis seines eigenen Erfolgs teilt Woodfin mit Trump und Barack Obama. In einem polarisier­ten Land, in dem oft nicht einmal die Hälfte der Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch macht, gewinnt, wer ein paar Prozent Nichtwähle­r motivieren kann. „Obama und Trump stehen für die zwei Amerikas“, sagt Woodfin. „Auf der einen Seite findet sich Hoffnung, auf der anderen Angst. Und egal, wo Sie stehen, können Sie damit Leute motivieren, wählen zu gehen, die normalerwe­ise nicht auftauchen.“

Trump hat es im ersten Amtsjahr geschafft, seine Basis zusammenzu­schweißen. Den Demokraten fehlt dagegen auf nationaler Ebene das charismati­sche Gegenstück. Woodfin lacht auf die Frage, ob er sich mal im Weißen Haus vorstellen könne. „Ich freue mich auf meine Aufgabe als Bürgermeis­ter von Birmingham“, antwortet er ausweichen­d.

So etwas Ähnliches sagt auch der Gemeindevo­rsteher von Hanceville. Als dem stolzen Mitglied der „Söhne der Konföderie­rten“jemand die Idee antrug, für das Staatsparl­ament von Alabama zu kandidiere­n, betete der fromme Nail zu Gott. „Ich habe das Gefühl, an der richtigen Stelle zu sein“, sagt er jetzt bei einem Rundgang durch den Veteranenp­ark.

Neben dem Denkmal aus dem Linn Park in Birmingham, mit einer Inschrift für den Präsidente­n der

Aus der Schublade zieht er einen Magnum Revolver

Den Demokraten fehlt ein charismati­scher Kandidat

Südstaaten, Jefferson Davis, kann er sich entlang des Ententeich­s von Hanceville auch eine Statue für den schwarzen Bürgerrech­tler Martin Luther King vorstellen. Von dem Kollegen in New Orleans habe er bis heute nichts gehört, schimpft Nail. „Ich finde das ziemlich respektlos.“Wie er auch von den Bedenken schwarzer Bürgerrech­tler und Politiker nicht viel hält, die in Frage stellen, welcher Geschichte mit den Konföderie­rten-Denkmälern eigentlich gedacht werden soll. „Die sollten nicht so vernagelt sein.“

Zum Abschied drückt der Bürgermeis­ter aus Hanceville seinen Besuchern einen Anstecker in die Hand. „Eine positive und progressiv­e Gemeinde“steht darauf. Nicht weniger als das verspricht Randall Woodfin für Birmingham. Doch beide meinen etwas anderes damit.

Zwischen der Metropole und dem Dorf liegen nur ein paar Meilen, doch kulturell trennen Welten die beiden Amerikas. Nach einem Jahr Trump im Weißen Haus fühlt sich das Land so zerrissen an wie auf dem Höhepunkt der Vietnam- und Rassenunru­hen Ende der 60er Jahre. Schwarz gegen Weiß, Arm gegen Reich, Religiöse gegen Säkulare, Protektion­isten gegen Globalisie­rer, Nord gegen Süd. Wie ein Bürgerkrie­g, in dem nicht geschossen wird.

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Fotos: Thomas Spang Links: Kenneth Nail, 54, Bürgermeis­ter der Kleinstadt Hanceville, Trump Anhänger. Rechts: Randall Woodfin, 36, Bürgermeis­ter der Metropole Birmingham, Trump Gegner.
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