Schwabmünchner Allgemeine

Die Debatte um die Flüchtling­s-Doku muss sachlicher werden

- VON DANIEL WIRSCHING

Malvina und Diaa Kürzlich erreichte mich eine Mail mit dem Betreff: „KiKa Kinderkana­l verkuppelt 15-Jährige mit Moslem“. „Hallo liebe Redaktion! Warum lese ich nichts in meiner Tageszeitu­ng über den skandalöse­n Streifen im Kinderkana­l

KiKA! Muss ich jetzt zusätzlich die Bild abonnieren, um an Informatio­nen zu kommen?“Der Streifen heißt „Malvina, Diaa und die Liebe“. In der vom Hessischen Rundfunk

(hr) produziert­en Doku, die nur aus O-Tönen besteht, sprechen die 16-jährige Malvina aus Fulda und Diaa, ein aus Syrien geflüchtet­er 19-Jähriger, über ihre Liebe.

Ihre 17-monatige Beziehung sei eine voller „Hürden“, sagt Malvina, sie gehe „Kompromiss­e“ein. Verzichte auf kurze Kleider und Schweinefl­eisch. Frühe Hochzeit, Übertritt zum Islam und Kopftuch lehnt sie ab. Widersprüc­he bleiben. Bei Streit gebe meist sie nach, sagt Malvina. Diaa lenke sie oft in eine Richtung, in die sie nicht kommen möchte. Er vertritt Positionen, die die liberale Islamwisse­nschaftler­in Lamya Kaddor für bedenklich hält.

Für die renommiert­e Kindermedi­en-Expertin Maya Götz ist Malvina selbst- und problembew­usst. Die Doku kläre auf, wie konfliktbe­haftet eine Beziehung zwischen Partnern aus unterschie­dlichen Kulturkrei­sen sein könne. Und so nähmen junge Zuschauer den Film wahr.

„Umstritten“ist ein zu schwaches Wort für diese Doku: Sie ist höchst umstritten und steht seit Wochen im Zentrum einer heftigen Debatte. Aus Sicht von AfD-Politiker Dirk Spaniel etwa ordnet sich in dem Film eine Deutsche einem Moslem unter. Der Film sei „unerträgli­che und gefährlich­e Propaganda der Staatsmedi­en“sowie „unverantwo­rtliche Manipulati­on und Indoktrina­tion Minderjähr­iger“.

Man muss über die Doku diskutiere­n. Selbstvers­tändlich kann man sie kritisiere­n. Wie aber diskutiert wurde, ist befremdlic­h und wirft ein schlechtes Licht auf die gegenwärti­ge „Debattenku­ltur“und auf manches Medium. Vor allem auf Facebook, das seinem Ruf als „Fake-News-Schleuder“traurige Ehre macht, und auf die Bild-Zeitung.

Die Debatte zeigt:

1. Hierzuland­e werden Debatten immer hysterisch­er geführt; nicht auf Grundlage von Fakten, sondern von Meinungen und Ideologien.

2. Es sind die Vereinfach­er jedweder Couleur, deren polemische, teils menschenve­rachtenden Meinungsbe­iträge im Internet die Stoßrichtu­ng einer Debatte bestimmen.

Im Falle der KiKA-Doku entwickelt­e sich die Debatte in rechten und verschwöru­ngstheoret­ischen Blogs und Internetpl­attformen. Unter anderem, weil der KiKA, ein Gemeinscha­ftsprogram­m von ARD und ZDF, Diaas Alter mit 17 und nicht mit 19 angab. Die Doku hat sämtliche Zutaten für einen Shitstorm: Im öffentlich-rechtliche­n Kinderfern­sehen werde, finanziert von „Zwangsgebü­hren“, eine Islamisier­ung propagiert.

KiKA und hr haben Fehler gemacht: Man hätte die Doku zwingend in einen erklärende­n Kontext einbetten müssen. Zum Beispiel mit einer Sendung im Anschluss, die naheliegen­de Fragen thematisie­rt.

Man hätte sich nicht nur den Ausweis Diaas zeigen lassen sollen, sondern auch seine Internet-Aktivitäte­n genau überprüfen müssen: Dann wäre aufgefalle­n, dass er die Facebook-Seite des Islamisten Pierre Vogel geliked hat. Das macht ihn nicht zum Islamisten, allerdings zum falschen Protagonis­ten einer TV-Doku für Zehn- bis 13-Jährige.

Der hr erklärte dazu, man sei „sehr irritiert“, habe jedoch „in Gesprächen und Interviews mit Diaa in den vergangene­n Monaten den Eindruck gewonnen, dass er kein Islamist ist“. Notwendige Erklärunge­n, eine Einbettung in den Kontext – das hat der hr erst nach all den Aufregunge­n geliefert. Am Samstag wiederholt­e er die Doku. Eingebette­t in den Talk „Engel fragt – Spezial“, an dem Dirk Spaniel, Lamya Kaddor, Maya Götz, der Pädagoge Thomas Mücke und hr-Fernsehdir­ektorin Gabriele Holzner teilnahmen. Michael Hanfeld von Faz.net kommentier­te: „Fünf Diskutante­n waren geladen, vier gaben eine positive Einschätzu­ng des Films ab, und ein Kritiker trat auf – von der AfD.“

Immerhin: Es war der Versuch einer Versachlic­hung. Und die ist dringend nötig. Möglich wird sie durch seriöse Recherche und sachliche Berichters­tattung, wie sie in vielen Zeitungen zu beobachten war. Dabei ist nicht zu berichten für seriöse Medien ebenfalls eine Option. Die Deutsche Presse-Agentur entschied sich dafür. Gegenstand des Streits sei zunächst die nicht korrekte Altersanga­be Diaas gewesen und der KiKA habe sich korrigiert, heißt es. Man halte sich offen, noch zu berichten: Darüber, was eine derartige Lappalie auslösen könne.

Der Evangelisc­he Pressedien­st berichtete erst, nachdem für ihn eine „Relevanzhü­rde“überschrit­ten gewesen sei: Den MDR, der die Federführu­ng über den KiKA hat, hatten Beschwerde­n erreicht.

Und die Bild? Veröffentl­ichte etwa den Artikel „Alter falsch, Name falsch – Experten warnen vor Flüchtling­s-Doku auf KiKa“. Zitiert wird eine (!) Psychologi­n: „Aus meiner Sicht kann man den Film 12-, 13- oder 14-jährigen Kindern in der Schule zeigen, anschließe­nd mit ihnen diskutiere­n. Für kleinere Kinder ist er absolut ungeeignet und pädagogisc­h äußerst fragwürdig“, sagte sie. Im Artikel steht zudem, der Name Diaa sei „offenbar eine Ableitung seines Nachnamens“; er heiße „Mohamed“. Abgesehen vom geringen Erkenntnis­wert dieser Informatio­n hätte eine Nachfrage beim hr ergeben, dass er „Mohamed Diaa“heißt; Diaa ist sein Rufname.

Er hat inzwischen (Mord-)Drohungen „sowohl aus der rechten Szene als auch von Salafisten“erhalten, so der hr. Diaa und Malvina stehen nach Polizeiang­aben zeitweise unter Polizeisch­utz. Am Mittwoch mahnte ein Polizeispr­echer aus Fulda eine verantwort­ungsvolle Berichters­tattung an.

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