Goethes tägliches Wirrwarr
Was die Tagebücher des Dichters erzählen
Sie standen bis heute im Schatten des dichterischen Werks von Johann Wolfgang von Goethe: seine Tagebücher. 57 Jahre lang – mit einigen Unterbrechungen – hat Goethe Tagebuch geschrieben, beginnend am 15. Januar 1775 mit einer Reise in die Schweiz, endend am 16. März 1832, einige Tage vor Goethes Tod. Aus diesem Schattendasein holte Prof. Helmut Koopmann, langjähriger Ordinarius für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Augsburg, Goethes Tagebücher bei einem Vortrag an der Uni hervor. Eingeladen hatte dazu die Goethe-Gesellschaft in Augsburg.
Wie ein roter Faden zog sich durch den Abend Koopmanns Klarstellung, was Goethes Tagebücher nicht sind: Tagebücher im traditionellen Sinn, die eigenes Erleben und Erfahren des Dichters widerspiegeln.
Ein Sammelsurium, ein tolles Durcheinander
Es finde sich darin kaum eine Bestandsaufnahme des eigenen Inneren. Sie dienten nicht der Selbsterforschung, seien auch kein Bekenntnis. Nirgendwo ziehe Goethe in diesen Aufzeichnungen irgendeine „Summa“. „Sie sind ein Sammelsurium, nicht mehr“, so der Literaturwissenschaftler, „ein tolles Durcheinander“.
Darin finden sich Tag für Tag, oft nur in einem Satz oder stichwortartig, Ereignisse und Begebenheiten, kleine Notizen wie „Der Wein ist angekommen“, Betrachtungen zum Wetter, Anekdotisches, Lesefrüchte, vor allem ein „Kosmos von Personen“, die Goethe getroffen oder mit denen er korrespondiert hat. Nüchtern etwa die gelegentliche Bemerkung „Abends bei Herrn Schiller“. „Es sind Fakten, nur Fakten“, meinte Koopmann. Auch wenn die Notizen in späteren Jahren etwas ausführlicher geworden seien, habe sich Goethe selbst ausgespart. Auch das Weltgeschehen leuchtet in den Aufzeichnungen nur sporadisch auf.
Was hat der Dichter mit dieser täglichen Übersicht des Geleisteten bezweckt? Durch das Notieren, so Koopmann, werde das Geschehen festgehalten. Es könne auch eine Weise sein, um gegen das Verfließen der Zeit anzuschreiben.