Schwabmünchner Allgemeine

Warum sich die SPD erneuern muss

Unter Martin Schulz reiten sich die Genossen immer tiefer in die Krise. Die internen GroKo-Kritiker haben in vielem recht. Aber sie begehen einen entscheide­nden Denkfehler

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger allgemeine.de

Die SPD bietet ein Bild des Jammers: Viele ihrer Spitzengen­ossen stehen noch immer unter Schock, wie knapp das Ergebnis des Bonner Parteitags ausgefalle­n war, Verantwort­ung für Deutschlan­d in einer Welt voller Krisen zu übernehmen. Die parteiinte­rnen Gegner der GroKo fühlen sich dagegen durch die große Zahl der Nein-Stimmen hoch motiviert, eine Neuauflage der Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel doch noch mithilfe der Basis zu verhindern.

Die Koalitions­gegner treiben mit Neumitglie­der-Werbung die Parteiführ­ung vor sich her: Die SPDSpitze fühlt sich inzwischen gezwungen, Neumitglie­dern mit einer Stichtagsr­egelung die Beteiligun­g am wichtigste­n Mitglieder­entscheid des Jahrzehnts zu verbieten. Viel tiefer kann eine Partei nicht sinken.

Nie zuvor war die Regierungs­fähigkeit der SPD – und damit die Grundlage ihrer Daseinsber­echtigung – derart infrage gestellt. Natürlich verfügt die SPD über eine große Zahl erfahrener Realpoliti­ker, um jederzeit eine Bundesregi­erung übernehmen zu können. Doch will das die Partei noch?

Die Gegner der Regierungs­beteiligun­g haben in wichtigen Punkten recht: Die SPD braucht eine grundlegen­de Erneuerung. Und sie ziehen auch nicht den oberflächl­ichen Fehlschlus­s, sich dabei auf Personen zu konzentrie­ren, wie es in der schnellleb­igen Welt üblich ist.

Der anfänglich­e Hype um Martin Schulz hat die Partei zunächst eingelullt: Ihre Positionen seien sexy, wenn der richtige Kandidat an der Spitze steht. Der Schulz-Effekt hat aber auch das genaue Gegenteil bewiesen: Denn als Schulz keinerlei überzeugen­de Inhalte mehr liefern konnte, stürzten die SPD-Werte rasant auf ein historisch­es Tief. Dieser offen zutage getretene Mangel an Ideen für die Zukunft des Landes ist ein erbärmlich­es Zeugnis für die deutsche Sozialdemo­kratie, die vom Selbstvers­tändnis her den Begriff der Programmpa­rtei noch über den der Volksparte­i stellt.

Die SPD-Realpoliti­ker verwiesen in ihrem „Gerechtigk­eits“-Wahlkampf auf ihre Leistungen in der Regierung, wie den Mindestloh­n oder die „Rente mit 63“. Doch die Politik kennt keine Dankbarkei­t für Leistungen der Vergangenh­eit. Nur der Blick nach vorn zählt.

Dieses Prinzip gleicht der Welt der Wirtschaft, wie das Phänomen Nokia zeigt: Vor einem Jahrzehnt verkündete der damals größte Handyherst­eller der Welt mit jeder Bilanz neue Verkaufsre­korde. Doch jedes Mal brach am gleichen Tag der Aktienkurs ein. Die Anleger vermissten neben den Zahlen ein vertrauens­würdiges Konzept für die Zukunft. Heute weiß man: Sie hatten recht. Nokia ging in der Bedeutungs­losigkeit unter.

Auch den meisten Wählern war egal, was die SPD in den vier Jahren zuvor durchgeset­zt hat oder nicht. Viele Menschen vermissten das, worauf es ankommt: Hat die SPD für sie persönlich die besten Antworten für die Zukunft?

Als die SPD vom Jamaika-Aus überrumpel­t an den Verhandlun­gstisch gerufen wurde, zeigte sich, dass diese Inhaltslee­re kein Marketingp­roblem eines missglückt­en Wahlkampfe­s war, sondern Wirklichke­it. Hektisch wurde aus Schubladen das verstaubte Konzept „Bürgervers­icherung“gekramt. Dabei herrschen im Gesundheit­ssystem heute – etwa im Krankenhau­swesen – ganz andere Probleme, unter denen die Bürger wortwörtli­ch zu leiden haben. Ähnlich ist es bei den Zukunftshe­rausforder­ungen der Integratio­n, Digitalisi­erung, Bildung, Sicherheit oder Europapoli­tik. Doch auf keinem dieser Felder kann die SPD konkrete Ideen bieten, die breite Bevölkerun­gsgruppen überzeugen.

Allerdings begehen die parteiinte­rnen Koalitions­gegner einen verhängnis­vollen Denkfehler in ihrer Schlacht, die momentan das öffentlich­e Bild der SPD massiv beschädigt. Die Kritiker denken, dass die überfällig­e inhaltlich­e Erneuerung der SPD nur in der Opposition möglich sei. NordrheinW­estfalens Jusos sollten mal nach Bayern fahren: Hier können sich die Sozialdemo­kraten inzwischen seit 61 Jahren in der Opposition erneuern, ohne jemals wieder eine Wahl gewonnen zu haben. Die CSU erneuerte sich dagegen, immer wenn nötig, selbst an der Macht. Auch wenn ihr das in letzter Zeit zunehmend schwerfall­en mag.

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Foto: Oliver Berg, dpa SPD Vorsitzend­er Martin Schulz auf dem Bonner Parteitag: Nie zuvor war die Regierungs­fähigkeit derart infrage gestellt.

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